Erstellt am: 23. 8. 2009 - 23:05 Uhr
Journal '09: 23.8.
Es gibt oder gab in Österreich oder Deutschland (hat man mir in einer Theater-Kantine erzählt, wenn's nicht wahr ist, ist's eine gute urban legend) ein Gesetz, wonach Schauspieler eine Stunde nach der Vorstellung vermindert schuldfähig sind.
Weil man davon ausgeht, dass sie noch im Wahnsinn der körperlichen und geistigen Überanstregung verhaftet sind. Es würde auch kein Löbl der Welt auf die Idee kommen einen Schauspieler oder Opernsänger direkt nach der Aufführung mit Befindlichkeits- oder Inhalts-Fragen zu behelligen, weil man davon ausgehen kann kein sinnhaftes Wort zurückzubekommen - von wegen vermindert fähig eben.
Im Popmusik-Live-Business ist das nicht anders: niemand würde versuchen Thom Yorke direkt nach Abpfiff zu einer Wortspende zu bewegen.
Interviews...
Ich erinnere mich an Beispiele aus der Steinzeit, wo das in Ausnahmen nötig war. Etwa an ein schreckliches Gespräch mit dem wortgewaltigen Prediger Michael Gira von den Swans, das direkt nach dem Konzert stattfinden mußte - es geriet zu einer blutleeren Gefälligkeit eines Ausgepumpten; und war mir eine Lehre.
Einzig im Sport hat sich die Unart des Zielraum-Interviews, also der Ansprache direkt nach der erbrachten Leistung, einer meist körperlichen, seelischen und geistigen Tour de Force, erhalten.
Wobei es da deutliche Unterschiede gibt.
Der ÖSV etwa schützt seine Athleten mittlerweile vor dem früher klassischen "Flash-Interview" im Zielraum und hat sich eine entscheidende Pause herausbedungen, die nicht nur dafür dient die Sportler als Werbe-Christbaum auszurüsten, sondern sie auch einmal ausschnaufen zu lassen und einer allerersten Möglichkeit der Selbst-Reflexion auszusetzen.
... direkt nach dem Auftritt...
Bei der heute auslaufenden Leichtathletik-WM war es ähnlich: Interviews on the track, aber mit deutlichem Abstand zum Lauf/Wurf/Sprung.
Es ist überall immer noch im Rahmen der nämlichen Schauspielerstunde, aber so, dass man (der Athlet oder Künstler) damit leben kann.
Es gibt nur einen einzigen Bereich in dem der Unfug mit dem sofort nach Abpfiff der Vorstellung unter die Akteur-Münden gehängten Mikro-Gurken noch Usus ist: der Fußball.
Genauer: der nationale Fußball.
International - auf Klubebene, also Champions League etc, oder bei Länderspielen - fahren FIFA und UEFA dazwischen und schützen die Menschen.
National, zumindest in Deutschland oder Österreich werden diese an sich natürlichen Menschenrechte mit Füßen getreten.
... oder dem Spiel...
Das ist nicht nur entwürdigend sondern auch doof.
Weil es eine ununterbrochene Lose-Lose-Situation nach sich zieht.
Die Fußballer und Coaches verlieren, weil sie natürlich (ich verweise auf die Schauspieler-Regel) direkt nach ihrem Spiel großteils Unfug daherreden, noch dazu auf sprachlich beeinträchtigtem Niveau.
Würde man sie wie Skifahrer oder Leichtathleten einmal durchatmen (und die TV-Zuseher aufs Klo gehen) lassen, dann wäre das Niveau deutlich besser.
Verlierer sind auch die Fragesteller. Sie steigen in jedem Fall schlecht aus. Werfen sie brave, biedere Hölzel um erwünschte Stehsätze zu bekommen, stehen sie selber dumm da. Versuchen sie sich in wortreich-klugen oder analytischen Fragen, überfordern sie die Akteure naturgemäß.
Das weiß jeder, der einmal von einer Bühne, einem Auftritt runterkommt und sich mit dem Kopf noch oben befindet, die Abläufe nochmal durchgeht und mit Anfragen von außen nur mühsam umgehen kann.
... gehören geächtet...
Augenfällig wurde das alles anläßlich eines viel zu schnell nach dem Spiel interviewten Coach Huub Stevens am Mittwoch.
Der war nicht aufgrund seiner mittelprächtigen Deutschkenntnisse, sondern wegen der eben angesprochenen Focussierung aufs eben erlebte und die verminderte Kommunikations-Fähigkeit nach einem wichtigen Auftritt, nicht fähig die tatsächliche Frage des Interviewers Jirka zu erkennen, sondern antwortete auf die von ihm in dem Moment imaginierte Frage. Das heißt, er antwortete nicht, er biß und keifte zurück.
Natürlich spielt da auch eine Menge Schuld mit, deren sich Stevens durchaus bewußt ist, und für deren Verdrängung er solche Taschenspieler-Tricks bedarf, aber auch der wenuig sympathische und die simpelsten Kommunikationsregeln mit Füßen tretende Stevens verdient die verminderte Schuldfähigkeit.
... weil sie die...
Ebenso wie Boris Jirka nichts dafür kann, dass ein zu hektischer Schedule, den die unselige Koaltion aus ÖFB und Liga in Ermangelung einer Schutz-Strategie für ihre Spieler und Verantwortlichen verantwortet, ihn in die Lage bringt, sich für etwas, was er gar nicht gefragt hatte, verteidigen zu müssen.
Schuld ist die nämlich Unkultur des sinnlosen Interview-Schnellschusses, der nur noch im Fußball-Bereich so gehandhabt wird. Sie stellt nämlich nicht nur den Fußballer blöder hin als er eigentlich ist, sie macht auch die Reporter zu Deppen - sie kommt daher wie das letzte Raucherzimmer an einem strahlenden Sommertag, so verschwitzt wie das Image der bierseligen Kumpanei dieser Branche.
Wenn man weiß oder ahnt, dass die positiven Kräfte auch im Fußball längst auf dem Vormarsch sind, dann nimmt es einen durchaus Wunder, dass gerade hier, in einem imagetechnisch so wichtigen Bereich, auf veraltete Strukturen, die von allen anderen Sportarten längst hinter sich gebracht worden sind, gesetzt wird.
... Menschenrechte ankratzen.
Klar, hier werden Suppen gekocht, werden ORF und Sky gegeneinander ausgespielt, ist der eine Coach dort freundlich oder dort ungut, kann Stevens seine fiese Schwindelei mit der von ihm erfundenen Fragestellung weiterziehen - das allerdings findet in einem verträglichen Rahmen statt, wenn alle ihre Zurechnungsfähigkeit wieder gewonnen haben.
Solange sich aber ÖFB, Bundesliga, Vereine und übertragende TV-Anstalten nicht nach ÖSV-Vorbild auf eine Verschnaufpause ehe es an erste Interviews geht, einigen können, tun sie nicht nur ihrem Sport nichts gutes, losen sie nicht nur imagemäßig weiter alle ab - sie machen sich auch als letztes Relikt einer überkommenen Old-School-Einstellung zum Gespött der Gesellschaft. Und das verdient und zurecht.