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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

23. 8. 2009 - 18:00

Es war einmal in Naziland...

Ein Vergeltungsmärchen, ein Sprachexperiment, eine Hommage an das Kino selbst: "Inglourious Basterds" ist Quentin Tarantinos vielschichtigster Film.

Einige von euch werden inzwischen schon herausgefunden haben, wie sehr dieser Film eventuelle Erwartungshaltungen sprengt. Weder kämpfen Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" auf den Spuren eines ähnlich betitelten italienischen Schundepos aus den siebziger Jahren. Noch steht überhaupt ein Haufen verwegener Hunde wirklich im Mittelpunkt.

Denn es gibt gar kein Zentrum in diesem Streifen, keine Hauptfiguren, auf die sich alles konzentriert, keine konventionelle Narration. Sondern nur eine Aneinanderreihung von kammerspielartigen Szenen, zusammengefasst in fünf Akten, bevölkert von einem Gewusel von Charakteren.

Eine bewusste Mogelpackung also. Noch mehr als die restlichen Tarantino-Werke beschwört "Inglourious Basterds" bodenständig-trashige Thrills und Kicks und erweist sich doch als höchst artifizielles Experiment mit Genrekino-Samples.

Auch die geballte Action, die der Trailer ebenso verspricht wie die knallige Posterkampagne, wird nicht eingelöst. Wenn körperliche Gewalt in diesem Film losbricht, dann nur in sekundenlangen, umso heftigeren Eruptionen, die der Regisseur in homöopathischen Dosen über die 154 Minuten Laufzeit verteilt.

Die Aggression, die Härte und Gnadenlosigkeit, mit der die bluttriefenden Plakate werben, kommt in "Inglourious Basterds" stattdessen in unzähligen Wortwechseln zum Ausdruck. Genau, es wird geredet, parliert, diskutiert, endlos scheinbar.

Das klingt spröde und anstrengend? Keineswegs. Meine Damen und Herren, dieses Vergeltungsmärchen aus dem Zweiten Weltkrieg zählt zu den unterhaltsamsten, spannendsten und ergiebigsten Filmen des Jahres.

Inglourious Basterds

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Im Vorfeld hörte sich "Inglourious Basterds", von dem diverse Drehbuchentwürfe schon lange kursierten, dabei noch nach einer Rückkehr zum abgebrühten Männerkino des frühen Tarantino an. Genau diesen Weg schlug der Autorenfilmer aber nicht ein. Glücklicherweise, muss ich sofort hinzufügen.

Denn seit "Jackie Brown" zeichnet sich eine wunderbare Entwicklung im Schaffen des Ex-Videothekars ab, die für mich mit den beiden "Kill Bill"-Teilen einen ersten Höhepunkt erreichte. Tarantino, der Großmeister des coolen Bubenfilms, rückt plötzlich noch entschieden coolere Frauen ins Bild.

Gleichzeitig lässt der postmoderne Zitatefladerant, der sich davor eiskalt hinter seinen ironischen Referenzen verschanzte, plötzlich Emotionen zu: Melancholie, Schwermut, Freude.

"Inglourious Basterds" setzt diesen Weg mitreißend fort, bringt mit der Figur der Rächerin Shosanna Dreyfus (gespielt von der fantastischen Mélanie Laurent) eine Ausnahmefrau in sein Ensemble von Ausnahmemännern. Und wieder scheut sich Quentin T. nicht davor, große Gefühle zu provozieren, anstatt sich wie früher auf das Beifallklatschen besserwisserischer Filmgeeks zu verlassen.

Seit dieser Richtungsänderung scheinen die formal stets perfekten Stilübungen des Regisseurs eine Seele, ein Herz, eine notwendige Sentimentalität bekommen zu haben.

Inglourious Basterds

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Jetzt bekommt auch die Sprache, immer schon das Hauptelement jedes Tarantino-Films, eine andere Funktion. Die Sätze in "Inglourious Basterds" sind nicht bloß clever aufgepimpter, aber letztlich ermüdender Smalltalk wie in "Death Proof", "Reservoir Dogs" oder dem ewig überschätzten "Pulp Fiction". Kein künstlerisch veredeltes Quatschen über Banalitäten findet mehr statt.

Im Vergleich zu den selbstzweckhaften Verbalexzessen in anderen Tarantino-Streifen erzählen die Dialoge, die - zur Hälfte untertitelt - in amerikanischem Englisch, britischem Englisch, Hochdeutsch, Österreichisch, Französisch, Italienisch und einem Mix aus all diesen Idiomen gleichzeitig geführt werden, unglaublich viel zwischen den Zeilen.

Sprache als Instrument der Unterdrückung und des Ausdrucks der Macht, das ist eines der Schlüsselthemen von "Inglourious Basterds". Um feinste Nuancen geht es dabei, um minimale Akzentverschiebungen, um perfides Tarnen und Täuschen.

Dass der Film durch seinen wahnwitzigen multilingualen Mix gewissermaßen unübersetzbar wird (was die deutschsprachigen Verleihfirmen nicht von einer sinnlosen Synchronfassung abhielt), liegt auf der Hand, kümmerte den Regisseur aber mutigerweise überhaupt nicht.

Inglourious Basterds

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Apropos Mut: Quentin Tarantino legt mit "Inglourious Basterds" auch seinen ersten dezidiert politischen Film vor. Und gerade weil er frech den gesamten Lauf der Geschichte ändert, weil er sich mit dem Vorspannsatz "Once upon a time in Nazi occupied France" gleich ein gesamtes Paralleluniversum abseits historischer Tatsachen erfindet, wirkt er radikaler als bemüht akribische Faktenfilmer.

Die braune Vergangenheit wird in diesem Film nicht bewältigt. Sie wird ins Groteske verzerrt, verstümmelt, in Fetzen geschossen, verbrannt.

Wenn sich andere durchaus wohlmeinende Regisseure dem Dritten Reich nähern, dann ist bei aller zeigefingerhaften Warnung vor dieser Greuelära noch immer eine Ehrfurcht vor der nationalsozialistischen Ästhetik zu spüren, siehe etwa Bryan Singers "Valkyrie".

Tarantino dagegen erklärt gerade den Bilderwelten, Zeichen und Codes des Faschismus den Krieg wie kaum ein Regisseur zuvor. Da gibt es beispielsweise keine Diskussion mehr, ob Regimedarling Leni Riefenstahl nicht doch visuell aufregende Filme drehte oder ob Emil Jannings vielleicht sogar ein guter Schauspieler war.

Auch die handwerklich auffälligsten und in ihrer Position zwiespältigen Künstler der Nazizeit, da verzichtet "Inglourious Basterds" bewusst auf Grauzonen, stehen für den erstickend biederen Mief der deutschen Volkskultur. Und vor allem dagegen fährt Tarantino die gesamte Maschinerie der amerikanischen Popkultur-Coolness auf und auch das freigeistige Kunstverständnis der Franzosen.

Dass der menschliche Freiraum für die Täter, den Filme wie "Der Untergang" oder "The Reader" erkämpften, erst recht keinen Platz hat, versteht sich von selbst. Den perversen Nazi-Kasperln und schmierigen Sadisten in "Inglourious Basterds" bleibt nur ein grindiger, würdeloser Tod.

Inglourious Basterds

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Ausgerechnet dem unernsten Exploitationfetischisten Quentin Tarantino gelingt somit, was kein seriöser Filmemacher richtig schaffte. Ein lustvoll gemeiner Exorzismus, eine Art Schlussstrich in Sachen Nazi-Aufarbeitungskino.

Parallel dazu erweist sich dieser Streifen als Ohrfeige und offene Provokation für die Legionen von Mitmenschen, die noch immer oder schon wieder mit rechtsradikalen Ideen kokettieren. Denn "Inglourious Basterds" zieht alle und alles, was solchen Leuten heilig sein könnte, zuerst ins Lächerliche und dann in den blutigen Dreck.

Das wäre eigentlich schon viel mehr, als man sich von einem geplanten Remake eines spaßigen Italo-Kriegsfilms erwarten hätte können.

Dabei habe ich die grandiosen schauspielerischen Leistungen, vom zurecht überall gefeierten Christoph Waltz als sardonischem SS-Offizier Landa bis zum smarten Michael Fassbender als britischem Agenten, von der ganzen Basterdstruppe unter Führung des comichaften Brad Pitt bis zum herrlich eingesetzten deutschen Ensemble gar noch nicht erwähnt. Daniel Brühl führt als Propaganda-Babyface sein nettes Image köstlich ad absurdum, August Diehl sorgt neben dem grandiosen Waltz für Gänsehaut.

Am überraschendsten überhaupt ist schließlich die enorme Eleganz dieser bösen Komödie, die atemberaubende Schönheit vieler streng durchkonzipierter Kameraeinstellungen.

"Inglourious Basterds" ist nicht bloß ein kathartischer Befreiungsschlag, eine Reflexion über Sprache, eine Begegnung mit virtuosem Schauspiel, sondern auch, im wortwörtlichen Sinn, eine feurige Liebeserklärung an das Kino selbst.

Inglourious Basterds

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