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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 8. 2009 - 19:05

Journal '09: 22.8.

Embedded Journalism, Pink Floyd in Pompei und Kümmern beim Frequency

Als im Jahr 2003, im Gefolge des zweiten Golfkriegs der Begriff des Embeddes Journalism aufkam, war ein in Österreich weltweit gefühlter Schrei der Empörung zu hören: ein Wahnsinn und überhaupt. Sich von einer Partei einbinden und somit gängeln lassen - ethisch unter aller Sau.

Ich habe mich damals, auch privat, mit derlei Wertungen zurückgehalten. Denn, letztlich und ohne Verlogenheits- und Selbstschutz-Modus ist dieses Modell im alltäglichen Journalismus längst raumgreifend.

Als der Engländer Nick Davies das 2008 in seinem Buch Flat Earth News endlich so plastisch bestätigte, dass die Empörungs-Muster der Skandal-Gesellschaft Raum hatten, in die andere Richtung zu kreischen, kam allerdings keiner auf die Idee, die Verfremdung des Embedded-Terminus aufzuheben.

Wohl weil man sich dann ganz konkret mit den ganz normalen Mechanismen beschäftigen muss: mit der Abhängigkeit von den Objekten der Berichterstattung, den Deals, den "Hintergrundgesprächen", eine Art moralische Geiselnahnme, die verhindert, dass der Journalist das was er weiß weiterträgt, die Verhaberung, mit den Arbeitsbedingungen, mit Absprachen, Selbstzensur und Liebdienerei.

Dies alles ist im Bereich des innen- und außenpolitischen Journalismus nicht viel anders als im Kultur- oder Sport-Bereich; selbst das Niveau des Umgangstons unterscheidet sich nicht stark - Macht agiert überall gleich primitiv.

Embedded beim Frequency

Nun findet das Frequency-Festival nicht am Golf statt und FM4 ist nicht CNN - der strukturelle Vergleich ist aber zulässig.

Natürlich sind wir embedded.
Ganz automatisch.
Schaut man sich die Presse/VIP-Strukturen bei österreichischen Festivals im allgemeinen und beim Frequency im besonderen an, stellt man allerdings fest, dass das für alle Berichterstatter gilt. In dem Moment, wo man sich als Medienmensch in den Schutzraum der special areas zurückzieht, ist man gefangen.

Nun ist das VAZ nicht der Irak, die Besucher sprechen deutsch oder zumindest englisch und in ihrer wohl über 95%igen Mehrheit sind sie hier, weil sie das wollen, weswegen sie dann auch Musik, Umfeld und Action rundherum wollen, also auch gut finden wollen.
Insofern führt einen "rausgehen" nicht wirklich in die Verlegenheit etwas Negatives, etwas "gegen" den Embedder, den Veranstalter äußern zu müssen. Es findet trotzdem kaum statt. Wir sind da, nach Jahren der Erfahrung im Umgang mit Festivalberichterstattung, recht gut, andere Einzelfälle belegen, dass es auch geht (so war zb gestern ein kleiner, aber feiner ZIB24-Beitrag zu sehenm, der das konnte) - die allermeisten bleiben allerdings (um die Metapher weiter zu strapazieren) das ganze Festival über im Panzer.

Wie es geht zeigt aktuell z.B. der Berliner Tagesspiegel. Anlässlich der LA-WM erzählt man dort jeden Tag gleich sieben kleine Alltagsgeschichten rund um die Veranstaltung. Vorbildhaftest.

Dementsprechend fad ist das, was dann raus- und rüberkommt auch. Die herkömmliche Festival-Berichterstattung reduziert alles auf einen Ablauf von Konzerten, das Runterbeten von Zahlen oder übernimmt andere vorgefertigte Informationen.

Wo sind die Field Reporter?

Dass ich in praktisch keinem Fall ein Gefühl für die Örtlichkeit, das Gelände, das Umfeld, die Beschaffenheit des Publikums oder die grundsätzliche Stimmung vermittelt bekomme, und deshalb nur dann etwas über das Festival "erfahre" wenn ich dort war, ist schön für die Veranstalter, zeigt aber, wohin ein freudiges Akzeptieren und Sich-Reinkuscheln in die Embedded-Situation führt: in ein mediales Nichts.

Keine Sorge, ich weiß, wie es sich anfühlt live von vorort zu berichten (hab es früher oft genug getan), und wer dort an einem live oder quasi-live stattfindendem Produkt arbeitet, der kriegt wenig von dem mit, was draußen wirklich passiert. Deswegen auch die bei CNN (in diesem Fall FM4) üblichen Field-Reporter, die dann eben ausschließlich dort rumlaufen.

Wer allerdings Zeit hat, weil sein Bericht eh erst am Sonntag oder Montag erscheinen soll und sich dann auch nur auf das übliche beschränkt, wird es auch hinkünftig nicht schaffen eine plastischen Eindruck des Geschehenen zu bieten.

Ich hatte an sich gar nicht vor, das zu machen, aber unter anderem deshalb war ich heuer keine Sekunde im abgeschlossenen Bereich (geht mit einer normalen Karte auch gar nicht), sondern dort, wo's passierte: aufm Platz. Bloc Party und Radiohead, mehr als zwei Konzerte gehn in Wahrheit eh nicht.

Live in Pompei

Ich hab mich wie alle über die "freiwillige" Müllsack-Sache gewundert, war mit den breiten Wegen und auch der Klo-Situation durchaus zufrieden, habe das traumhafte Panorama vermisst, auch wenn dafür die An-/Abreise für Wiener sehr viel leichter geworden ist, schiach ist es halt, das Gelände, was man dann aber ab der vorletzten Band eh nicht mehr sieht.

Ich wusste nicht, dass Bloc Party so englisch sind, da kann man ja Fish&Chips drauf braten. Ich war auch überrascht wie mitsingtüchtig da ein großteils doch schon auf den Hauptact wartendes Publikum war.
Und ich hab bei deren zwischen Berührung und allzu perfekt gegossener Geste die ganze Zeit an die von Philipp L'Heritier in seinem Bericht dann auch angesprochenen Pink Floyd denken müssen, und zwar ganz konkret an ihren Konzertfilm Live in Pompei.

Mein Lieblings-Erlebnis war dann aber doch diese Episode die der Gruppe halblinks vor mir passiert ist, in der Pause vor Radiohead. Einer fehlte, und er fand sie (trotz wirklich deppensicherer Standortbeschreibung) nicht. Es ist dunkel und eins der Mädchen hat eine sehr helle Leuchte, die sie schwenkt um den Irrenden herzuholen. Nach langen Minuten des Nichtdaherkommens scheint die Gruppe aufzugeben. Er wird es schon schaffen, sagt einer aus der Gruppe, und erinnert an ein Frequency vor ein paar Jahren, als man sich in der dritten Reihe, ganz vorn verabredet hatte, und das auch schaffte. "Ja eh", sagt das Licht-schwenkende Mädchen, "aber trotzdem!". Und sie schwenkt weiter.
Das Happy-End dieses Praxis-Tests von solidarischem Kümmern verrate ich nicht; das soll sich jeder selber zusammendenken.
Oder beim nächsten Festival-Besuch doch einfach selber erleben.