Erstellt am: 23. 8. 2009 - 11:29 Uhr
Die neue Spielestadt
Aller Anfang ist schwer? Nicht unbedingt. Wenn andere die Vorarbeit übernehmen, kann man bequem dann hinzustoßen, wenn alles schon fix und fertig vor einem liegt. Der freie Markt und ein paar dutzend Lobbyisten haben es möglich gemacht: Köln hat mit der "gamescom" eine Fertigteilmesse gestartet, die davor jahrelang in Leipzig als "Games Convention" zusammengezimmert wurde.
Vorspiel

Robert Glashüttner
Die Spieleindustrie hat ein Machtwort gesprochen und ist nun endlich an ihrem Lieblingsstandort angekommen. Große Konzerne wie Electronic Arts sind hier ansässig, die Flugverbindungen nach Köln sind besser, und zusätzliche Hotels müssen auch keine gebaut werden. Weil die Freude so groß ist, beginnt die Messe für das Fachpublikum nicht etwa am traditionellen Pressetag (ein Tag vor der offiziellen Eröffnung) sondern nochmals 24 Stunden davor.
Die Motivation ist klar: Aufmerksamkeit schaffen, sich von den anderen abgrenzen. Doch der Schuss kann auch nach hinten losgehen. Wenn Sony etwa am Rande der Stadt in ein altes Fabriksgebäude lädt, zu unüblicher Tageszeit und von FBI-mäßigem Wachpersonal abgeschirmt, ist das aus Journalistensicht nicht nur beeindruckend sondern auch großspurig und reißt vor allem ein großes Loch in den ohnehin engen Zeitplan.
Start auf hohem Niveau

Koelnmesse
Die Publikumsmesse "gamescom" feiert von 19.-23. August 2009 ihr Debüt.
Nach dem Industrie-Prolog geht es am Tag danach, am Mittwoch, auch in den Messehallen los. Die Architektur des Gebäudekomplexes und die Anordnung der Stände ist für eine Stunde lang verwirrend, doch die Orientierung kommt schnell. Die "gamescom" setzt dort an, wo die "Games Convention" 2008 aufgehört hat: Vier volle Hallen für die BesucherInnen, darüber hinaus ein geräumiges Businesscenter zum Geschäfte machen und Animieren der Pressevertreter.
Die Veranstalter haben sich sichtbar auf einen hohen Besucher- und Fachbesucheransturm eingestellt: Die Wege zwischen und innerhalb der Messestände sind geräumig, das Personal in Form von Ordnern und anderen Hilfskräften ist zahlreich vorhanden, Pressekonferenzen finden über die Messetage hinweg regelmäßig statt. Tatsächlich strömen bereits am Donnerstag so viele Menschen auf das Gelände, wie es in Leipzig immer nur Samstage geschafft haben.

Robert Glashüttner
Massen munter machen
Doch sowohl bei Konferenzen, im Gespräch mit PR-VertreterInnen als auch bei Rundgängen in den Publikumshallen wird klar: Für Enthüllungen und Staub aufwirbelnde Neuigkeiten ist die "gamescom" dann doch nicht geschaffen. Die passieren weiterhin in Japan und den USA, wo die neu erstarkte Vorzeigemesse "E3" in Los Angeles bereits Anfang Juni die Spielkatzen aus dem Sack gelassen hat.
In Köln wird all das nun neu aufbereitet, etwa Microsofts Hampelmann/frau-Technologie "Project Natal" oder Sonys neu designte PlayStation für unterwegs ("PSP Go"). Bei Nintendo war man bis kurz vor Messestart nicht mal sicher, ob die Firma überhaupt vertreten sein wird. Die einzige Hardware-Neuigkeit der gesamten "gamescom" ist eine verschlankte "PlayStation 3", die billiger und kleiner ab September zu kaufen sein, dann aber nicht mehr für Linux-Experimente zur Verfügung stehen wird.

Robert Glashüttner
Hausgemachte Polygone
Die Nase vorn hat die "gamescom" hingegen bei Software, von der die anderen Territorien nichts oder kaum etwas wissen: Games-Projekte, an denen in Deutschland und Österreich gewerkelt wird.

Robert Glashüttner
Das größte Medien- und Faninteresse wird der Fortführung der im deutschsprachigen Raum beliebten Rollenspielserie "Gothic" entgegen gebracht. Seitdem das eigenbrötlerische, aber höchst talentierte Entwicklerstudio Piranha Bytes im Streit mit dem ehemaligen Vertrieb Jowood auseinander gegangen ist, bauen die "Gothic"-Väter nun an ihrem neuen Titel "Risen".
Trotz des neuen Namens birgt "Risen" die Tugenden der alten Piranha Bytes-Spiele. Die steirischen Producer von Jowood werden es hingegen nicht leicht haben, die "Gothic"-Marke mit einem neu engagierten Entwickler-Team erfolgreich fortzuführen. "Risen" sieht schon jetzt sehr fertig aus und erscheint Anfang Oktober, die Spielewelt von "ArcaniA: A Gothic Tale" ist hingegen noch sehr leer - das Game kommt erst irgendwann 2010 auf den Markt.
Mostviertel Gaming
Dafür hat Jowood die geballte Kraft und den Enthusiasmus von niederösterreichischem Game Development an seiner Seite. Johann Ertl ist Leiter seiner 2007 gegründeten Spielefirma Homegrown Games. Das Studio ist in Wieselburg angesiedelt und arbeitet derzeit am vierten Teil der First Person Shooter-Reihe "Painkiller". Ertl hat sich schon mit seinem "Commodore 64" an Games-Programmierung geübt und sein Hobby nach und nach zum Beruf gemacht. Die Standortfrage ist für ihn kein Thema. "Störend sind nur die etwas langsamen Internet-Verbindungen", meint er.

Robert Glashüttner
Da am Monopol
Wer international den PC Spielemarkt regiert, kann man zu jeder Zeit der "gamescom" in Halle 6 beobachten. Dort wird man Zeuge des gigantischen Aufgebots von Quasi-Monopolisten Blizzard Entertainment. Der US-amerikanische Entwickler muss schon seit Jahren seine Zeit nicht mehr damit verschwenden, die Konkurrenz zu beobachten - in ihren kläglichen Versuchen, ihm das Wasser abzugraben. Die Firma gibt selbst die Richtungen und Trends vor.
Die Wartezeit zum Anspielen der bald erscheinenden Titel "StarCraft II" und "Diablo III" beträgt stets zwischen zwei und vier Stunden. Wer sich nicht so lange die Füße in den Bauch stehen möchte, aber trotzdem Fan ist, schlüpft nebenan in die Menschentraube vor die "World of WarCraft"-Bühne, wo Show-Kämpfe und Quiz-Einlagen stattfinden.

Robert Glashüttner
Dünnes Rahmenprogramm
Die hohen Budgets und Anforderungen der großen Firmen reichen aus, um die vier Messehallen weitgehend zu füllen. Beiwerk wie Casemodding-Meisterschaften, Musikbühnen und Ausstellungen ist im Vergleich zu den Jahren auf der "Games Convention" merkbar reduziert worden.
Über dem Pressezentrum findet ein eintägiger Fachkongress statt, der unentschlossen zwischen dem ewig deutschen Thema Jugendschutz und "Killerspiele" sowie Games-Marketing pendelt. Weil bezüglich E-Sport die "World Cyber Games" (WCG) in Leipzig geblieben sind, hat man für Köln die Konkurrenz in Form der "Electronic Sports League" (ESL) verpflichtet.

Robert Glashüttner
Hollywood der Spiele
Die "gamescom" ist das neue, europäische Aushängeschild der drei großen Hardware-Hersteller Microsoft, Sony und Nintendo sowie der weltweit größten Spieleverlage. Die klare Ausrichtung auf den Massenmarkt und das weitgehende Desinteresse an anderen Zweigen der Industrie - seien es Indies, Browsergames oder der facettenreiche asiatische Online-Games Markt - machen deutlich, dass die Diversifikation und Vielfalt von Videospielkultur weiter fortschreitet.
Die Zeiten, als Computer- und Videospiele noch ein gemeinsames Ganzes geformt haben, sind damit endgültig vorbei. Bleibt zu hoffen, dass dieser Reifungsprozess bald auch in den Köpfen der Entscheidungsträger und Meinungsbildner wahrgenommen wird.

Robert Glashüttner