Erstellt am: 22. 8. 2009 - 10:52 Uhr
Tanz im Licht
- Im FM4 Festivalradio am Sonntag, den 5. September, zwischen 13 und 17 Uhr, überträgt Radio FM4 5 Songs vom Radiohead-Konzert beim Frequency 2009.
9/11, Michael Jackson tot, Radiohead. It takes a Nation of Millions to hold us back: Keine andere Band in den vergangenen 10, 12 Jahren hat mit stärkerem kulturellem Impact und zeichenmächtigerer Wucht meinungs- und geschmacksbildend in die diversen, höchstmöglich schwammig definierten Indie-Subkulturen (in all ihren Ausformungen) und den indieaffienen Mainstream hineingewirkt als Radiohead. Zu Radiohead soll man eine Meinung haben, es ist eine Frage der persönlichen Positionierung in der Welt wie man sich zu Radiohead verhält.
Das FM4 Frequency Festival 2009
- Das genaue Line-Up
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Fotostrecken:
- Green Stage und Weekender Stage
- Soviel Spaß im Wasser
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- Impressionen
- Der Schlamm ist da
- Auf der Green Stage
und
Mit Mia., Jesse Hughes, den Lines und den wahren Stars des Festivals, der Traisen und dem Zeltplatz
Das Werken und Wirken der fünf Herren aus Oxford ist ja gut dokumentiert mit beinahe Legendenstatus behaftet: Mit "OK Computer" haben Radiohead 1997 ein epochemachendes Album veröffentlicht, das so ziemlich perfekt die Pre-Millenium-Tension in sich trägt und nicht wenigen als Album des vorangegangenes Jahrzehnts gilt, nur um dann mit "Kid A" und seinem bösen Zwilling "Amnesiac" die Gitarren von Bord zu schmeißen, mit Laptop-Gebrutzel viele vor den Kopf zu stoßen und trotzdem, das muss man sich einmal WIRKLICH vorstellen, immens erfolgreich zu sein: Das ist ja eine "schwierige" Musik, Einstieg von Null auf Eins in den U.S. Albumcharts, ein Grammy, mit all dem Gefiepse und Gebrumm und keinen Songs drauf.
Man muss da aber nicht gleich unbedingt an der Pink-Floydisierung der Band verzweifeln und es bieder mit Fran Healey von Travis halten, der da immer wieder mal gerne meint: "I liked'em better when they were still writing proper songs.", man kann Radiohead auch von der anderen Seite her betrachtet langweilig finden: Radiohead, die smarten Adepten, haben Warp-Elektronik und Stockhausen in den Mainstream getragen, Krautrock verwässert, alles nur geklaut, zusammengeschnitten und die Avantgarde verraten. I heard you and your band have sold your guitars and bought some turntables. Bester Klospruch ever - true story: Du bist auch nicht cooler, nur weil du Radiohead scheiße findest.

Radio FM4
Außer vielleicht denjenigen, die am Freitag beim Frequency ein paar Stunden vorher wegen Farin Urlaub und seinem Racing Team vor der großen Bühne gewartet haben, oder denen, denen gerade das markerschütternde Glück zu Teil wird, auf der Green Stage der leibhaftigen Erscheinung von Grace Jones beizuwohnen, hat da die halbe Welt draufhingelebt, auf das erste Konzert von Radiohead in Österreich überhaupt, so jung kommen wir nicht mehr zusammen. Davor kann man bei Bloc Party, quasi als kleinem Headliner, noch sehen, wie das geht, ein okayes, ein gutes, ein nettes Konzert zu spielen. Die vier Herren sind gewohnt sympathisch, Sänger Kele Okereke erkundigt sich beim Publikum, ob ihm die Hitze wohl nicht zu sehr zugesetzt hat, Bassist Gordon Moakes bedient nebenbei das Glockenspiel, zwischen die kantigen Rocknummer schieben sich die Balladen, festivalgerecht zugeschnitten. "Solide" heißt das und ist das Gegenteil von Radiohead.

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Zum Geknister von "15 Step", dem Opener von "In Rainbows", erscheint die Band auf der mit Röhren vollbehangenen Bühne, in grünes Licht getaucht, großes Johlen im Publikum. Thom Yorke schüttelt sich, tanzt, vor "There There" vom etwas an Überlänge krankenden "Hail to the Thief" entfährt ihm ein lapidares "Hi" Richtung Publikum. Unter ersten Gitarrenausbrüchen entfaltet sich nervöses Lichtgeflirre über Radiohead, eine Lichtshow, die im Laufe des Abends bedrohlich schwirrend tatsächlich noch atemberauben werden wird, Visuals im Hintergrund, links und rechts neben der Bühne zeigen die Mitglieder von Radiohead live aus dem aktuellen Moment heraus übertragen, das visuelle Geschehen, das die Band begleitet ist perfekt durchchoreografiert, anders wars von den Komplettisten Radiohead auch nicht zu erwarten.

Radio FM4

Radio FM4/ Ute Hölzl
Der Schwerpunkt des Abends liegt auf "In Rainbows", wer ein Hit-im-Sinne-von-Hit-Programm erwartet, hat Radiohead falsch verstanden. Da gleitet die Band und ufert aus, legt falsche Fährten aus, mal elektronisch ratternd, mal von Progrock geritten, von "Nude" über "Weird Fishes/Arpeggi" und "Myxomatosis" von "Hail to the Thief" schließlich im Mittelteil dann doch zu "Street Spirit" und "Karma Police", die Stücke, die im Publikum naturgemäß den größten Anklang finden. Sind ja auch wirklich schöne Lieder.
Die Kunst von Radiohead, liegt im nicht mittelmäßen Mittelweg, dass auch beim größten Herumdoktern an den Songschemata , die Ideen "Songwriting" und "Melodie" immer noch bestehen, dass hier die Formen neben - und auch ineinander existieren können, langweilig ist das nicht.
Das letzte Stück vor der Zugabe ist das auf einer Komposition des amerikanischen Elektronikpioniers Paul Lansky aufbauende "Idioteque". Das ist Radiohead: Aus einer minimalistischen Avantgarde-Kompositition einen ihrer größten Hits basteln. Der erste Zugabenblock beginnt mit dem eben erst (Thom:"Courtesy of the internet") veröffentlichten, fantastischen neuen Stück "These are my twisted words", der "Pyramid Song", ein Track, in dem alles Stärken von Radiohead - dieses Piano, dieser Gesang, die umkleidende Komposition von Jonny Greenwood, das sachte Drumming von Phil Selway - zusammengehen, fließt in "Reckoner", eines der besten Stücke auf "In Rainbows". "Paranoid Android" und "Everything in its right place" entlassen uns glühend in die Nacht.
Fotostrecke: Mehr Fotos vom Radiohead-Konzert
Wenn jetzt dann bald wieder am Ende des Jahrzehnts die Listen ausgepackt werden, wird Radiohead ganz oben stehen, als die prägendste, wenn vielleicht nicht beste, immerhin aber wichtigste Band der Gegenwart, die mit "Kid A" die die Nullerjahre vordefinierende Platte aufgenommen hat. Den Indierockern die Elektronik näher bringen, Kraut und Rüben. Jazz und Seemannslied, das Umdenken, weg von immer nur bloßen Songstrukturen hin zu offeneren Gebilden, Verzahnungen, Ausfransungen und die Möglichkeit, unterschiedlichste Stile zusammenzuführen. Machen heute ja alle. Dass es möglicherweise einen geeigneteren, feiertauglich zuarbeitenden Headliner für ein großes Festival - zumal in Österreich - geben könnte, darüber soll man sich keine Gedanken machen.Wirklich nicht. Ja: Everything in its right place.

Radio FM4/ Ute Hölzl
Am Sonntag, 6. September 2009, gibt es als Konzertmitschnitt 5 Songs on air im FM4 Festivalradio von 13 bis 17 Uhr zu hören.