Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Punkrock, Pathos-Pop, Stil"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

21. 8. 2009 - 18:33

Punkrock, Pathos-Pop, Stil

Stillstand in der Rockmusik und Grüße aus der Vergangenheit: The International Noise Conspiracy, Tomte, Jello Biafra und Jarvis Cocker am Freitag auf der Race Stage beim FM4 Frequency.

Es ist ja wirklich keine schlechte Idee, um zwei Uhr nachmittags in der unmenschlich heißesten Sonne, die sich jemals ein Mensch ausgedacht haben kann, das Festivalpublikum mit einem jovialen "Good Morning!" zu begrüßen. Dennis Lyxzén und seine vier Kollegen von der International Noise Conspiracy sind, auch wenn sie in ihrer Karriere schon in weißgott besseren Slots denn in dem der Eröffnungsband des Tages aufgetreten sind, in relativer Spielfreude und grätschen als sexy Jeansboys mit nur von einem schwarzen Gilet bedeckten, sonst aber nackten Oberkörper gewohnt agil über die Bühne. Zur frühen unheiligen Stunde sind dann doch schon einige Menschen aus ihren Zelten vor die Race Stage gekrochen, es läuft nicht immer so rosig im Leben einer internationalen Festivalband: Lyxzén: "One time we played a festival in Canada and we had to start at noon. The gates opened at 12:30. I kid you not!"

der sänger schwingt das mikro, der gitarrist springt

Radio FM4 / Ute Hölzl

T(I)NC

Da hat sich in den grob geschätzt 17 Jahren ja kaum ein Millimeter bewegt in der Musik der Noise Conspiracy, die - man muss es immer wieder erwähnen dürfen - quasi aus der famosen Post-Hardcore-Band Refused hervorgegangen ist und sich neben Punk und Garagenrock nach wie vor glücklicherweise eben auch auf Soul, Psychedelia, wenngleich nicht mehr sonderlich hörbar, und immer wieder und immer wieder überdeutlich auf die großen Säulenheiligen des von Gospel befeuerten Punk, The Make-Up, Wahington, D.C. (wann kommen die denn ENDLICH wieder?) berufen. Viel tut sich da nicht mehr, es rockt, was soll's, schlaue Typen, "Capitalism Stole My Virginity" shalala, und so weiter. The Shape Of Punk To Come? Nein, lass mal.

der sänger von TInc zeigt sein tattoo

Radio FM4 / Ute Hölzl

Dennis Lyxzén

Nach der partylaunigen, nicht falsch verstehen, wirklich, wirklich ehrenwerten Systemkritik von der Noise Conspiracy wird ein Banner mit riesigem, roten Herz im Bühnenhintergrund angebracht. Was steht da drüber geschrieben? "TOMTE", das zweite "t" dabei aber kopfüber, in der Art, wie es Metalbands gerne als satanistisch umgewidmetes Kruzifix auf ihre T-Shirts drucken lassen. Tomte, die alten Spaßkanonen, also der Mittelweg aus "We Are Your Friends" und "Aber, hey! Arg sind wir halt schon auch ein bisschen!" Tomte, die Band aus Hamburg, heute Berlin, naja, naja, ich weiß ja nicht. Die Band, die bis in alle Ewigkeit hinein als die weniger intellektuell - mit voller Absicht - motivierten Tocotronic gelten dürfen, da geht's um die ganz großen, "ehrlichen" Rockgefühle. Nicht umsonst nennt Sänger Thees Uhlmann auch immer wieder Oasis als Haupteinfluss: Diese Band will nicht in den mahagoniverkleideten Literatursalon, nein, diese Band, Tomte, will ins Stadion.

Thees ullmann von tomte

Radio FM4 / Ute Hölzl

Thees Uhlmann, Tomte, fühlend

Heute ist aber erst einmal der frühe Nachmittag dran, und, um sich als Band gleichmal ästhetisch zu verorten und das Publikum, ähm, aufzuwärmen, spielt Uhlmann zunächst den Refrain von "Human" von den Killers, einer Band, die ja auch kein Problem damit hat, mit glattpoliertem, perfekt ausproduzierten POP die nächsten U2 oder Coldplay zu werden oder schon zu sein. Are we human or are we dancer? Wir sind Tänzer, wenn auch noch ein wenig verhalten. Die Stücke von Tomte tragen dann solch Titel wie "Die Schönheit der Chance","Wie sieht's aus in Hamburg?", "Heureka" und "Ich sang die ganze Zeit von Dir", Gitarrengeschrammel, die Welt SPÜREN, Jungmänner-Pathos, nur in Dosen zu genießen. Kuschelrock für die Indiedisco.

publikum bei tomte

Radio FM4 / Ute Hölzl

Das Altern in Würde

Der Titel "Legende" wird ja nur allzu gern allzu schnell verschleudert, Jello Biafra darf das Etikett ohne Widerspruch mit Sicherheitsnadeln am T-Shirt befestigt werden. Als der Herr, dessen Biografie auf keinen Bierdeckel passt, energetisch geladen die Bühne stürmt, ist VOR der Bühne deutlich weniger los als noch bei Tomte. Ist ja auch schon eine Weile her, das mit den Dead Kennedys. Jello Biafra, Sänger, Spoken-Word-Meister, Politaktivist, Präsidentschaftskandidat, Denker, guter Danebenbenehmer und allgemeiner Renaissancemann in allen Belangen wird von seiner neuen Band, der Guantanamo School of Medicine flankiert, eine Band, in der u.a. Gitarrist Ralph Spight von, der, doch doch, legendären SST-Jazzcore-Combo Victims Family werkt. Die sollte auch mal jemand wiederausgraben.

Biafra scheint nicht bitter oder sich zu schade und gibt einen gut gelaunten Entertainer, stellt zu Beginn des Konzerts artig die Mitglieder seiner Band vor und verkündet, dass ein neues Album demnächst, an Halloween, erscheinen soll. Was man zu hören bekommt, ist wenig überraschend Punk/Hardcore der Früh-80er-Bay-Area-Schule, also kein 1-2-3-4 Stop-And-Go-Akkord-Geschrubbe, sondern eher neonbunt, psychedelisch drängendes Gitarrengeleiere mit dem Trademark-Gejodele von Biafra on top of it. Sehr schön ist das, kennt man schon, reißt keine Bäume mehr aus. Klassiker von den Dead Kennedys muss es dann schon auch geben, selbst Punks wollen ihr Publikum glücklich sehen, also z.B. "Let's lynch the landlord" oder mit naheliegendem Österreich-Bezug "California Über Alles". Biafra: "Guess who this song is about now?"

jello biafra hat ein shirt, auf dem steht: i support iraq veterans against the war

Radio FM4 / Ute Hölzl

Jello Biafra, Mind The T-Shirt

Ein Konzert von einem unbewohnten Eiland, da, wo Weihrauch und Liebe regieren. Jarvis Island ist eine kleine Insel im südlichen Pazifik, entdeckt 1821 von der Besatzung des britischen Schiffes Eliza Francis. Darüber klärt uns Jarvis Cocker auf. Geschichts- und Geografie-Stunde mit Jarvis: "I didn't know that there was an island called Jarvis Island, but it must be a beautiful place." Dass Jarvis Cocker ein großartiger Performer ist, davon hat man schon gehört. Er hat magische Augen auf seine "Magic Hands" gezeichnet und versucht mithilfe kosmischer Energie die Namen einzelner Menschen im Publikum zu erfühlen ("Randy? Yeah, Randy!"), nur um dann in das Stück "Angela" zu starten.

jarvis cocker hat jeweils ein auge auf die handinnenfläche gemalt.

Radio FM4 / Ute Hölzl

Jarvis Cocker, Magic Hands

Da kann es heiß sein wie es will, Jarvis kommt in Cordhose, Krawatte und schickem Jackett und konzentriert sich in seinem Set vor allem auf sein aktuelles Album "Further Complications", das, gemeinsam mit Tonmeister Steve Albini aufgenommen, deutlich rockiger als von Jarvis gewohnt angelegt ist. Was auf Platte nur bedingt aufgeht, ist live ein Quell des Vergnügens. Es folgen das Titelstück "Further Complications", die Ballade "Leftovers", wie aus guten alten Pulp-Zeiten, und das Joe Strummer, der heute Geburtstag hätte, gewidmete "Home Wrecker" mit Mann am Saxofon. Von Jarvis' Debütalbum gilt es "Fat Children" und "Don't Let Him Waste Your Time" zu erleben, Jarvis tanzt, tänzelt, macht den klassichen Fußkick und wackelt mit dem Hintern. Dazwischen immer wieder Plaudergespräche mit dem Publikum ("Humanity is basically okay") und ein stilvoller Schluck aus dem Rotweinglas. Den Abschluss macht die gut angesoulte Disco-Nummer "You 're in my eyes", die auf einem Disco-Sample beruht, das vor kurzem erst auch bei der Band Glass Candy Verwendung gefunden hat. Danach Gitarrenrauschen, die Menschen, auch wenn nicht gar so viele, jubeln, ein Konzert, ein Geschenk von einem guten Freund. Warten auf Radiohead.

Jarvis springt

Radio FM4 / Ute Hölzl