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Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

21. 8. 2009 - 16:18

Vom Weltraum in den Staub

Für den britischen SciFi-Autor Tony Gonzalez ist das Onlinerollenspiel "EVE" heute nur der Anfang einer langen Reise.

Der isländische Spielehersteller CCP hat sich vom Geheimtipp zum Vorzeigemodell eines erfolgreichen Indie-Developers entwickelt. Dabei hatte sich der frühere Außenseiter 2003 nicht das leichteste Spielegenre ausgesucht: Mit dem MMORPG "EVE Online" schuf CCP eine komplexe Weltraumwelt, gleichermaßen beeinflusst von Neuromancer und Star Trek, von Bladerunner wie auch Star Wars. Mehrere hunderttausend Spieler halten sich in einer ungeteilten Onlinewelt auf - den typischen EVE-Spieler gibt es darin nicht: Wo es sich für den einen um Politik und Diplomatie dreht, spielt ein anderer als Spion, Bankbetrüger oder Boss eines interstellaren Konzerns.

CCP

Tony Gonzalez

Das offene Gameplay von EVE Online ist seine größte Stärke und Schwäche zugleich: Mitunter quälend langsam werden die spärlichen Fortschritte gemacht, aber die Zerstörung der erlangten Erfolge durch andere Spieler kann sehr schnell gehen.
Um auch die Freunde leichter verdaulicher SciFi-Kost auf "EVE" neugierig zu machen, entwickelt Hersteller CCP jetzt ein zweites Spiel, das in der SciFi-Welt angesiedelt ist: In ein bis zwei Jahren soll der First Person Shooter "Dust 514" erscheinen, dessen Geschehen auf Planetenoberfächen des EVE-Universums angesiedelt und mit dem Rollenspiel verbunden sein wird. Ein MMOFPS also, dessen Schlachten auch die Kräfteverhältnisse im MMORPG beeinflussen werden und umgekehrt. Tony Gonzalez, Chefautor von EVE, sieht den Shooter als Erweiterung des EVE-Universums, das er in einigen Jahren am liebsten auf Augenhöhe mit den weltweit populärsten SciFi-Trademarks sehen würde.

CCP

Ich habe mit Tony Gonzalez auf der Gamescom in Köln gesprochen:

Ein Grund für mich, EVE Online zu spielen, war immer die aufwendige Hintergrundgeschichte, die sich ständig weiterentwickelt. EVE ist in dieser Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Findest du, dass die Kunst des Schreibens in der elektronischen Spielkultur allgemein gut repräsentiert ist?

Leider nicht. Dabei ist die Vorstellungskraft eines Autors nicht eingeschränkt durch Technologie. Wir können beim Schreiben mehr zeigen, als das Spiel – die Welt, so wie wir sie im Spiel eines Tages darstellen wollen, aber noch nicht können. Schreiben für ein Spiel ist also einerseits das Zeigen dessen, wohin das Spiel in Zukunft gehen kann, und andererseits das Erzeugen von Immersion.

Die EVE-Geschichte erscheint in vielen verschiedenen Formaten: Es gibt Kurzgeschichten in einem Printmagazin, ein Buch, mehrere Online-Romane, die sogenannten EVE Chronicles, Online-Kurzgeschichten und vieles mehr. Nun hat CCP dieser Tage einen Spinoff-Titel von EVE Online vorgestellt, den Online-Shooter „Dust 514“, der mit der Welt des Online-Rollenspiels EVE verbunden sein wird. Wird es auch zu „Dust“ eine so aufwendig geschriebene Saga geben?

Ich will noch nicht zuviel verraten. Lass es mich so erklären: Die Piloten von EVE, die aufgrund ihrer Rettungskapseln unsterblich sind, werden Wege finden, diese Technologie auch für Operationen auf Planetenoberflächen einzusetzen. „Dust“ wird sehr eng verwoben sein mit „EVE Online“, sowohl hinsichtlich der Geschichte, als auch hinsichtlich des Designs – ich denke das kann man gut in unserem ersten Trailer sehen.

„EVE Online“ ist ein unverwechselbares Game. Doch Groundpounder-Shooter wie „Dust 514“ existieren wie Sand am Meer. Befürchtest du nicht, dass EVE durch Dust an Einzigartigkeit verliert?

Überhaupt nicht. Wir erzeugen mit EVE eine virtuelle Welt. Und es gibt viele verschiedene Perspektiven, sich in dieser Welt aufzuhalten. Wir offenbaren eine neue Perspektive, aber du wirst wissen, dass du in der Welt von EVE bist – und die fundamentale Prämisse von EVE, dass du in einer ungeteilten Welt bist, in der deine Handlungen Konsequenzen haben, bleibt erhalten.

Es ist August. Tradtionellerweise gibt es um die Weihnachtszeit herum eine große Erweiterung von EVE Online, das wäre also in etwa vier Monaten. Bestimmt schreibst du gerade an neuen Geschichten für diese Erweiterung?

Gollancz

"The Empyrean Age", der erste Roman von Tony Gonzalez

Ich schreibe gerade mein zweites Buch. Es erzählt die Geschichte, wie die Evolution der Rettungskapsel-Technologie zustandekommt, so dass diese auch auf Planetenoberflächen eingesetzt werden können – das Buch ist die Fortsetzung von „Empyrean Age“. Außerdem schreibt Abraxas einen dritten EVE-Roman, der nicht so sehr mit Dust zu tun hat, aber einen Teil des EVE-Universums zeigt, den wir im Spiel bisher nicht zeigen konnten.

CCP

Ist es schwieriger, einen Roman zu schreiben, während die Spielentwicklung rund um dich geschieht?

Ja, auf jeden Fall. Aber EVE ist auch unsere Leidenschaft, für alle im Team: Autoren, Programmierer, Designer, Producer. Wir glauben wirklich an dieses Ding. Wir glauben, dass EVE für eine lange Zeit hier sein wird. Für mich im speziellen ist es sehr schwierig, konzentriert auf's Schreiben zu bleiben, denn wenn irgendetwas anderes passiert, das mit EVE zu tun hat, will ich sofort dabei sein. EVE ist ein Teil meines Lebens seit 2003, ich habe Freunde auf der ganzen Welt gewonnen wegen dieses Spiels. Jetzt ist es mehr als ein Spiel und Zeitvertreib für mich, es ist eine Mission.

Ich bin Musiker. Um Tunes zu schreiben, muss ich mich oft zurückziehen, um Ruhe zu finden - mir Urlaub nehmen, mich auch einmal bewusst vor Menschen verschließen. Ich höre das auch von anderen Künstlern und denke, dass es beim Schreiben von Romanen so ist. Wie findest du die Ruhe?

Ich weiß nicht. Ich reise mehrmals im Jahr zwischen den drei CCP-Büros (Island, USA und China) – das Reisen hilft. Ich schreibe außerdem meistens in der Nacht. Was mir sehr hilft ist Musik. Ambient vor allem - Musik ohne Text, sie erzeugt eine Stimmung und erlaubt es mir, kreativ zu sein. Manchmal ist der blinkende Cursor mein größter Feind. Ein anderes Mal schreibe und schreibe ich und merke gar nicht, was ich tue. Es hilft mir auch, an mehreren Projekten gleichzeitig arbeiten, um eines wirklich gut zu machen. Ich bin ungeduldig und leicht ablenkbar, also beschäftige ich mich mit vielen Dingen zugleich. Aber ich denke, das ist für jeden anders.

Das entspricht meiner Erfahrung. Jeder hat unterschiedliche Zeiten für's kreative Schaffen, unterschiedliche Settings, andere Arten von Musik – aber die eine Sache, die bei allen Künstlern gleich zu sein scheint, ist die: Wir müssen in einen veränderten Bewusstseinszustand gehen, in eine Art von hypnotischer Trance, während der wir dann kreativ sind. Teilst du diese Erfahrung?

Ja, zweifellos. Ich habe Szenen geschrieben und nicht bemerkt, dass ich die ganze Zeit dabei geweint habe. Ich habe Dinge geschrieben und nicht gemerkt, dass ich mich fast dabei übergebe. Wenn du wirklich drin bist, bist du fast wie ein Reporter: Du siehst Dinge in deinem Kopf ablaufen und schreibst sie. Einer der Gründe, warum es mir leicht fällt, über EVE zu schreiben, ist der: In EVE gibt es keine Ewoks, keine Cylons und keine Vulcans. Es ist die Geschichte von Menschen – von all dem Scheußlichen und all dem Guten, das mit Menschen einhergeht.