Erstellt am: 21. 8. 2009 - 11:00 Uhr
Ich ist eine andere
K. bedient seinen PC neuerdings auf Italienisch. Das Handtelefon hat er auch sprachumgestellt. K. ist lupenreiner Burgenländer mit rudimentären, aber wachsenden Italienischkenntnissen, er ist kein After-Work-Angeber mit Hang zum Aperol-Spritzer-Verzehr in gentrifizierten Grätzl-Wirten, nein, er hat sich im Urlaub verliebt. K. hat die Amalfi-Küste mit der roten Nostalgie-Miet-Vespa erkundet und ist im Zuge dessen in Marias italienisches Dekolletée gefallen. Es war also nicht nur reiner Badespaß, der ihn in verboten erholtem Zustand aus dem Südländischen zurückkehren ließ.
FM4 Sommerrevue, intim: Mirjam Unger und Esther Csapo sprechen mit Euch in der FM4 Sommerrevue (samstags ab 13 Uhr) zwischen 15 und 16 Uhr dieses Mal über Urlaubsflirts. Verliebst du dich leichter im Urlaub als zu Hause? Was wurde aus deiner letzten Urlaubsbeziehung? Eure Meinung ist gefragt - entweder direkt hier ins Forum posten oder live in der Sendung anrufen - 0800 226 996.
Mit Herzerln in den Augen sitzt er nun schmachtend und entrückt in der Pizzeria, um mir die Vorzüge seiner amalfitanischen Perle zu schildern. K. ernährt sich seit seiner Rückkehr praktisch ausschließlich von italienischen Lebensmitteln, erzählt original italienische Insider-Witzchen über Berlusconi und hat natürlich mit seiner Maria den einen oder anderen Lottoschein aufgegeben, in der Hoffnung, der Gott des Glücksspiels habe erbarmen mit ihm und seiner Idee von der Strandbar und dem Dolce Vita auf Lebenszeit. Leider kommt mein Augenrollen nicht so gut bei ihm an.
Radio FM4
„Was is´?“ faucht er mich wölfisch an. Ich schnippe mit dem Zeigefinger zwei sich in der Paarung befindliche Stubenfliegen vom Marmortisch und setze zur dringend notwendigen Moralpredigt an: „Ich will dir nicht deinen Joker wegnehmen, aber samma uns ehrlich: du hast im Urlaub eine Frau kennen gelernt, die in der Bäckerei ihres Papas arbeitet.“ – „Ja. Weiter.“ – „Und du hast mit ihr eine spritzige Affäre gehabt – im Urlaub!“ – „Ja. Und?“ – „Na, was glaubst, was jetzt daraus wird? Soll sie zu dir ziehen und beim Anker Briochekipferl verkaufen?“ – „Geh, jetzt reiß dich zsamm!“ – „Nein, im Ernst! Ich verstehe, dass so eine Urlaubsliebe wahnsinnig toll fürs Ego ist und für die Seele und für den Körper sowieso, aber du bist wieder zurück im Alltag und solltest nicht Dinge erwarten, die nicht eintreffen werden. Du hängst einer Fantasie nach.“
K. bestellt sich einen Grappa – oder heißt das eine Grappa?, wurscht – und schwafelt unbeeindruckt von der großen Liebe, die er glaubt gefunden zu haben. Und während er schwadroniert und sehnsüchtig in die Ferne respektive zur Weingalerie schaut, mahne ich mich zur Milde. Ich erinnere mich an die Sprachreise nach Oxford, als ich mit meiner damaligen besten Freundin am ehrenwerten Campus in eine Gruppe Bierbong rauchender US-College-Jungs gestolpert bin, und wie ich mit dem blonden Ami aus Indiana die Zeit vergessen habe. Nämlich die begrenzte Zeit eines Auslandsaufenthaltes. Ich erinnere mich an das Gefühl, dass Herkunft, Vergangenheit, Freunde, Heimat, Studium, dass alles, was mich damals zu Hause beschäftigt hatte, in dem Moment keine Rolle gespielt hatte. Das Korsett des Alltags war weggesprengt und ich habe mich frei gefühlt. Frei, jederzeit einen anderen Weg zu gehen, als den, den ich bis vor kurzem noch als den einzig möglichen Weg betrachtet hatte. Der neue Weg war: Ich wurde von einem der amerikanischen Alternativkultur (sofern das kein Widerspruch in sich ist) zugewandten, gut aussehenden Studenten umgarnt, wir haben geflirtet, sind uns näher gekommen, haben uns vom Rest der Gruppe abgespalten und hatten eine sehr lustige, beflügelnde Zeit. Wir haben sämtliche Uni-Kurse geschwänzt und Bier getrunken und Musik gehört. Ich habe mich in einer anderen Sprache reden hören, habe gespürt, wie es mich in Schwindel erregende Höhen treibt, wenn wir schmusend am exakt vertikutierten Oxforder Universitätsrasen lagen, und ich weiß nicht, ob ich so weit weg von mir war, dass das nicht mehr ich war, oder ob ich so nah an mir dran war, dass das mein „wahres Ich“ war. Alles war in dem Moment möglich. In Gedanken. Im Herzen.
Als ich drei Wochen später wieder zu Hause in Österreich war, wollte ich dieses Gefühl der Freiheit und des Verliebtseins speichern, habe meinen Oberstufenatlas rausgekramt, bin stundenlang mit dem Zeigefinger über die USA-Karte gefahren und habe Rage against the Machine gehört, weil wir dazu in einem Club in London getanzt hatten. Jeder, der mich mit einem Augenrollen bedacht hätte, wäre in den Boden gestampft worden, keine Frage.
Ich schaue K. also in die Augen, grinse und höre mich sagen: „Hat sie dir heute schon geschrieben?“ K.s Gesicht strahlt: „Ja, wir chatten jeden Morgen via Facebook, bevor sie die Bäckerei aufsperrt. Halb italienisch, halb englisch, super lustig.“
Selbstverständlich habe ich nie wieder von dem blonden Amerikaner gehört. Ich kann mich nicht mal mehr an seinen Namen erinnern. Aber das erzähle ich K. jetzt besser nicht. Das hebe ich mir für den Abend auf, an dem Amalfi definitiv das Ablaufdatum überschritten hat.