Erstellt am: 21. 8. 2009 - 06:00 Uhr
Intergalaktische Ausflüge
Wer weiß, wie wenig mit ambitionierten Comics - abseits von so tollen wie seltenen Erfolgen wie "Persepolis" - im deutschsprachigen Raum finanziell wie auch aufmerksamkeitsökonomisch zu holen ist, kann nichts anderes als Bewunderung für diejenigen verspüren, die sich in ihrer Zeichenarbeit trotzdem nicht beirren lassen.
Orang. Comic Magazin #8.
"Neverending Stories"
Kiki Post/Reprodukt, 120 Seiten, 15 Euro
So auch für das lose Kollektiv rund um das Comic-Magazin "Orang", mit Verankerung in Hamburg quasi im Epizentrum der deutschen Comicszene beheimatet, das jetzt schon bei Nummer 8 seines Heftes angelangt ist.
Anouk Ricard
Das in Kooperation mit dem Berliner Reprodukt Verlag herausgegebene Magazin, das eigentlich eher aufwendiger Sammelband in Buchform denn Heftchen ist, widmet jede seiner Ausgaben einem Thema. Nachdem das in der Vergangenheit so unterschiedliche Komplexe wie "Wissenschaft", "Zwielicht" oder "Intérieur/Extérieur" waren, sind jetzt die "Unendlichen Geschichten" dran. Ein gefundenes Fressen für phantasievolle Comic-Cracks, die sich zwischen intergalaktischen Ausflügen kleiner skurriler Figürchen (in Farbe!), surrealen Ferien- und Autobahnerfahrungen wie auch in den Groteskerien des scheinbar ganz normalen (Beziehungs-)Alltags austoben.
Verena Braun
Angenehm ist hier die Mischung aus bereits aus ähnlichen Kontexten bekannten Hamburger KünstlerInnen wie Line Hoven, Arne Bellstorf, Moki oder Sascha Hommer, und internationalen Entdeckungen wie Anouk Ricard aus Frankreich, Ancco aus Südkorea, Nadine Gerber aus der Schweiz oder Yan Cong aus Beijing. Und, dass gute Comics sich mittlerweile selbstverständlich als internationales Genre verstehen, zeigen die englischen Untertitel für jeden der Beiträge. Besonders schön ist, dass die immer noch tief verwurzelten Klischees vom männlichen Comic-Nerd durch eine ausgewogene Verteilung – sieben Frauen, sechs Männer – einfach ad acta gelegt werden.
Ancco
Während die mehrfarbigen Arbeiten von Anouk Ricard (mit einem quietschbunten, fast kinderbuchartigen Stil), Moki (im elaborierten Illustrations-Style ohne Worte), Sascha Hommer (mit anthropomorphen, schematischen Characters in einer unbestimmten Zukunft) und Klaas Neumann (mit einem grafischen Suchbildchen) alle den intergalaktischen, Science-Fiction-affinen Charakter der gestellten Aufgabe betonen, geht es bei vielen der Schwarz-Weiß-Stories viel "erdiger" zu. Die zwei wohl anrührendsten Geschichten sind jene der Wahlhamburgerin Verena Braun, die in lakonischen Bildern vom Enden und Beginnen von Beziehungen erzählt und dabei den Alltag zwischen unerfüllenden Brotjobs nicht vergisst, und jene der Südkoreanerin Ancco, die vier Mittzwanziger-Freundinnen, alle auf ihre Weise unzufrieden und orientierungslos, auf eine Schnapsrunde in einem Apartment zusammenkommen lässt, während draußen dicke Schneeflocken vom Himmel fallen.
Line Hoven
Auch Line Hoven, wie immer mit ihrem faszinierend dunklen, perfekten Schab-Stil (ihre Bilder werden in einen schwarz beschichteten weißen Untergrund gekratzt), liefert eine so mysteriöse wie traurige Geschichte um unerfüllte Liebe, und Till D. Thomas, der fast so weird ist wie Daniel Clowes und dabei so simpel wie hübsch zeichnet, bringt eine gar nicht so abwegige Geschichte über Teenager mit ihren Eltern im Urlaub. Auch wenn die zeichnerische Qualität des gesamten Magazins gerade durch die Individualität der jeweiligen KontributorInnen durchwegs hoch ist, fällt doch der Beitrag der Luzernerin Nadine Gerber durch seine nur scheinbar unfertige, flächige Dahingeworfenheit besonders auf. Faszinierend, was man mit einem einfachen Bleistift so alles machen kann.
Nadine Gerber