Erstellt am: 19. 8. 2009 - 11:53 Uhr
Berlin, dein Gesicht hat Sommersprossen
Berlin...
Text: Sophia Weyringer und Alexandra Augustin
FM4/ Alexandra Augustin
Open Mike
Die "Carte Blanche" für FM4 MitarbeiterInnen, die sonst nicht, selten, oder in anderen Funktionen am Sender zu hören sind.
Die bisherigen Open Mike-Sendungen im Überblick
Die nächsten Termine:
- Erika Koriska/Markus Keuschnigg (26. August)
- Roli Gratzer (2. September)
- Alexandra Augustin/Christian Pausch (9. September)
London - Berlin
Berlin ist die Insel die allen ein Zuhause gibt, hat Joe Dilworth uns im Interview erzählt. Irgendwo im Berliner Stadtteil Prenzlauerberg sind wir an einem Sonntag gesessen. Sophia, Alexandra und Joe. Auf einer Bank im Gastgarten eines typisch deutschen Gasthaus in dem Knödel, Würstchen, Bierkrüge und fette Braten serviert werden. Seinem Lieblingsort in der Stadt.
Joe Dilworth - Ex-Stereolab Drummer, nun Kissogram-Drummer und Fotograf hat es vor vier Jahren von London nach Berlin verschlagen. Fremd fühlt er sich, trotz der kurzen Zeit die er erst hier lebt, aber nicht. Seit den 1980ern ist er regelmäßig durch die Straßen Berlins gezogen. Mal als Fotograf, mal als Musiker, mal als Suchender nach einem neuen Lebensgefühl. Nach einem neuen Zuhause. In Berlin meint er es gefunden zu haben.
FM4/ Alexandra Augustin
Berlin, wer hat dich bloß so jung gehalten, denn zum Schlafen kommst du nie ...
Und schon sind wir mittendrin im Thema des heutigen Open Mikes: Berlin, die Insel auf der alles möglich scheint. Die Stadt die so vielen ein Zufluchtsort ist und ein neues Zuhause bietet. Die Stadt die nie schläft und in der einem jeder Tag wie Sonntag erscheint, wenn sich die Menschen in den vollgestopften Cafés treffen, die Grünflächen stets belagert sind von jungen Menschen und immer irgendwo etwas passiert, das einem ganz anders, viel entspannter vorkommt als in vielen anderen Großstädten. Keine Rush Hours, keine Menschen die mit verzogerner Miene zur Arbeit hetzen.
Ein Vorteil der anderen Art. Berlin, die Stadt der ewigen Krise, die man zu jonglieren weiß und die als Futter herhalten muss um hungrige Angekommene zu sättigen. In deren städtebaulichen Lücken viele ein neues Zuhause finden, sich ein kleines Nest bauen und deren Schönheitsfehler so manche Inspiration anstubst.
Ob nun Musiker, Fotograf, bildende Künstler, Schriftsteller, Businessman oder Lebenskünstler - irgendwann und irgendwie strandet jeder einmal ein Berlin. So auch wir:
Sophia hat es vor einem Jahr dort hin gezogen. Alexandra hat es immer öfter dahin verschlagen bis das Gästezimmer zum Eigentum erklärt wurde. Zusammen sind wir im vergangenen Jahr so richtig in die Stadt eingetaucht und haben uns von anderen dort Gestrandeten durch ihr Berlin führen lassen.
Für das Open Mike haben wir sie gebeten, uns doch einmal an ihre Lieblingsorte in Berlin zu führen. Um uns "Ihr Berlin" zu zeigen.
Burghausen - Berlin / Liechtenstein - Berlin
In einem Loft im Bezirk Neukölln hat das Künstler- und Musikerpaar Warren Suicide ein altes Fabriksloft in ihr kreatives Zentrum verwandelt. Vor zehn Jahren sind sie hier gelandet und innerhalb der letzten Jahre haben sich allerhand Instrumente und viel Nippes hier angesammelt: Riesige Malerein, allerhand Krims Krams zwischen überlebensgroßen Kuscheltieren bis hin zum Fussballtisch. Man meint fast, eine Horde Musiker hätte sich hier einen riesigen Spielplatz eingerichtet.
In der Mitte des liebevoll genannten "Spielzimmers" liegt das Herzstück: Das Studio "Chez Cherie".
FM4/ Alexandra Augustin
Über die Jahre haben sich Netzwerke zwischen den befreundeten, dort spielenden und aufnehmenden Bands gebildet, deren Tragflächen auch immer weiter über die Grenzen Deutschlands hinaus reichen. Tocotronic haben hier "Kapitulation" und das kommende Album aufgenommen, Kante waren da, Ja, Panik! auch vor kurzem.
Jüngster Geniestreich aus der Ideenküche ist aber die Berlin String Theory:
Befreundete Musiker spielen gemeinsam Songs in einer neuen Streicher-Version gemeinsam mit einem Orchester ein. 50 Menschen auf einer Bühne haben gemeinsam knapp zwei Stunden Zeit das zu verwirklichen. Klingt utopisch? Hat aber vergangenen Dezember in der Volksbühne Berlin bei einem Neujahrskonzert der anderen Art blendend funktioniert so wie auch kurz danach in Göteborg, wo Gods of Blitz, José Gonzales und Soundtrack of our Lives gemeinsam mit deutschen Bands auf der Bühne standen. Alles noch mehr oder weniger ein Geheimtipp, der momentan noch von der Mundpropaganda lebt. Wie sich das alles anhört? Haben wir auf Platte! Also das Radio aufdrehen zur Geisterstunde...
Rugby - Berlin
Auch Will Carruthers, den Ex-Bassisten von Spiritualized und
Spacemen 3, hat es vor knapp einem Jahr nach Berlin verschlagen. Zuerst wollte er hier nur ein Album mit Anton Newcombe und seinem Musikprojekt "The Brian Jonestown Massacre" aufnehmen. Doch der Kurztrip fiel eben etwas länger aus als geplant. Und Will ist immer noch da. Ihm gibt die Stadt etwas, was der ewige Rumtreiber, der bisher selten lange an einem Ort verweilen konnte, woanders nicht gefunden hat. Was es ist, das weiß er selber nicht. Das es sich gut anfühlt, das reicht ihm um zu Bleiben und um hier nun Musik zu machen. Zum Beispiel mit seinem Soloprojekt Freelovebabies.
"Berlin is good for what it is not", meint er, als wir mit ihm durch seinen Lieblingspark in Friedrichshain spazieren. Und Berlin ist vieles nicht:
Charmant zum Beispiel. Oder "schön" wie Städte wie Paris es sind. Reich. Strukturiert. Aber eines ist Berlin eben genau deshalb auch nicht: Langweilig. Bei jedem Spaziergang kann man eine andere Seite der Stadt entdecken.
FM4/ Alexandra Augustin
Wien - Berlin
Neue Seiten der Stadt haben wir auch mit Anna entdeckt.
Pascal Flamme
Die Dame kennt man noch aus alten Zeiten beim Wiener Kollektiv Go Die Big City, nun ist sie nach Berlin aufgebrochen und hat dort ein neues Musikprojekt ins Leben gerufen. Monsterheart nennt sich ihr erstes Soloprojekt, in der kindliche Melodien auf romantisch-bittersüße/-böse Geschichten treffen.
FM4/ Alexandra Augustin
Weggehen, allein sein. Sich neu finden. Das war Annas Motor, der sie nach Berlin getrieben hat. Und das geht hier in Berlin, trotz des nicht enden wollenden Gewusel, natürlich auch. Vor allem im böhmischen Dorf in Neukölln wo wir uns mit Anna getroffen haben. Mitten in der Stadt ein richtiges Dorf in dem die Zeit stehen geblieben scheint. Kopfsteinpflaster, niedrige Häuser die wohl schon ein paar hundert Jahre am Buckel haben, malerische alte Höfe. Nirgendwo Graffitis, alles blitzeblank. Man glaubt es kaum, aber auch das ist Berlin.
"Fast wie Grinzing, oder?" Ja, fast wie Grinzing entgegnen wir. In der Ferne das Altbekannte und soetwas wie ein Heimatgefühl entwickeln - auch das funktioniert in Berlin. Und sich eben seine eigene Insel schaffen.
FM4/ Alexandra Augustin
Open Mike, Mittwoch, 19. August 2009, 0-1 Uhr
In unserem Open Mike heute Nacht zwischen 00-01 Uhr entführen wir euch gemeinsam mit Warren Suicide, Will Carruthers, Joe Dillworth und Monsterheart an ihre Lieblingsplätze und zeigen euch Berlin mit deren und unseren Augen. Es wird eine feine Collage aus vielen Berlineindrücken werden, mit der wir versuchen ein anderes Bild von Berlin abseits einer gehypten Metropole zu zeichnen. Und keine Sorge, den passenden Soundtrack gibt es dann natürlich auch zu hören. Also einschalten!