Erstellt am: 18. 9. 2009 - 12:00 Uhr
Andreas Hofer und die Tiroler Identität
Dabei steht der Anführer des Tiroler Aufstands gegen die bayrische Herrschaft im Jahr 1809 noch gar nicht so lange als Sinnbild für die Bewohner Tirols, genauer gesagt erst seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Erst da hat die Tiroler Landesregierung begonnen eine eigene Tiroler Identität zu forcieren und dafür Andreas Hofer herangezogen.
Nicht dass der Kult um die Person Andreas Hofers, der 1810 in Mantua hingerichtet wurde, 150 Jahre lang nicht existiert hätte, Hofer wurde nur von anderen als der Tiroler Regierung vereinnahmt: Von allen, denen ein Held gut zu Gesicht stand, ein tapferer Landesverteidiger, ein strategisches Genie, ein Märtyrer, ein Revolutionär, ein besonnener Landesvater – dabei hatte es diesen Hofer nie gegeben. Dieser Hofer sei seine Erfindung, schreibt Josef von Hormayr, der eigentliche Kopf hinter dem Tiroler Aufstand, schon kurz nach Hofers Tod.

Simon Welebil
Die historische Bewertung, ob Hofer nun ein Freiheitskämpfer oder ein reaktionärer Antidemokrat, guter Katholik oder „oberster Taliban“ (wie ihn ein Gerhard Fritz, Die Grünen Innsbruck, bezeichnete), gesellig oder ein Säufer war, ist hier nebensächlich – viel interessanter ist die Geschichte seiner Inszenierung. Der Mythos, der in 200 Jahren um seine Person entstanden ist, ist für eine Instrumentalisierung von allen Seiten offen.
Hofer für und gegen alles
Zuerst, Mitte des 19. Jahrhunderts, setzen bürgerliche und intellektuelle Kreise (diejenigen, die 1809 den Aufstand ablehnten) Hofer als Symbol gegen den Wiener Absolutismus ein. Danach interpretieren Deutschnationale den Aufstand in einen deutschen „Freiheitskrieg“ um: Hofer kämpft für ein monokulturelles Tirol, gegen alles italienische – bis der Kaiser einschreitet und den verlorenen Sohn heimholt. Die kriselnde Monarchie am Ende des 19. Jahrhunderts braucht einen Nationalhelden – Kaisertreue und Katholizismus sind Ausschreibungskriterien. Hofer erledigt diesen Job mit Bravour. Die Tiroler Schützen lassen sich im ersten Weltkrieg mit Begeisterung an der Südfront abschlachten, weil sie wie die Helden von 1809 sein wollen und die restliche Bevölkerung kauft Kriegsanleihen, die ihnen Hofer aufdrängt.
Die Monarchie verliert den ersten Weltkrieg, Hofer nur die Kaisertreue. Er kämpft weiter: Gegen die Italiener, den welschen „Erbfeind“, gegen die Brennergrenze und für die „deutschen Brüder“ in Südtirol. 1921 findet man Hofers Konterfei auf Wahlplakaten für den Anschluss Tirols ans Deutsche Reich, aber auch auf Filmplakaten, der Kult um Andreas Hofer erlebt seine Blütezeit.

Simon Welebil
Auch der österreichische Bürgerkrieg 1834 hat eine Hofer-Episode parat. Engelbert Dollfuß beruft sich auf 1809, um die Schützen gegen den Republikanischen Schutzbund um Hilfe zu bitten. Hofer bleibt den Austrofaschisten aber nicht ganz so treu, wie er es dem Kaiser war, er geht auch mit den Nazis fremd. Während Kurt Schuschnigg mit Hofers Kampfaufruf „Mander, es ist Zeit!“ vergeblich für die Volksabstimmung eintritt, die die staatliche Eigenständigkeit Österreichs bewahren soll, hilft Hofer auch der großdeutschen Propaganda.
Diese macht ihn zu einem deutschen Helden, zum Führer des „ersten deutschen Volkskrieges der neuzeitlichen Geschichte“, obwohl er durch seinen Glauben und seine Habsburgtreue nur bedingt für ihre Mobilisierung taugt. Es werden immer irgendwelche Aspekte oder Zuschreibungen Hofers unter den Teppich gekehrt, warum sollte es diesmal anders sein? Durch den „Anschluss“ wurde „Hofers größte Sehnsucht“ befriedigt, die „Heimholung Österreichs ins Reich aller Deutschen“.
Hofer wird zum Tiroler Landeshelden
Seit 2004 (!) wird die missbräuchliche Verwendung oder das Umdichten des „Andreas-Hofer-Lieds“ mit 2000 Euro bestraft.
Nach dem Krieg bleibt die Entnazifizierung Hofers wie bei so vielen Österreichern weitgehend aus.Vielleicht weil es neben dem völkischen Hofer auch die Version des Partisanenanführers, Antifaschisten und Kämpfers für eine friedliebende und demokratische Welt gibt. Vor allem aber, weil sich die Tiroler Landesregierung Hofers annimmt. Er wird zum Symbol für die Landeseinheit und zur Ausformung der Landesidentität herangezogen. Das „Andreas-Hofer-Lied“ wird 1948 zur Tiroler Landeshymne.
Ein Festkommers schlagender Burschenschaften im Juni hielt sowohl Hofer als "Deutschen Helden" als auch den "Südtirol-Terrorismus" hoch. Zwei Demos wehren sich gegen die öffentliche Darstellung rechter Gesinnung.
Das Monopol der Landesregierung auf die Hofer-Interpretation wird aber laufend in Frage gestellt: von den Linken, die ihn in den 1950er Jahren als Vorkämpfer gegen den Imperialismus sehen, oder von den Südtiroler Terroristen, im Volksmund verharmlosend die „Bumser“, die sich Hofer zum Vorbild nehmen. 21 Menschen sterben zwischen 1956 und 1988 bei ihren Anschlägen auf Symbole des italienischen Staates, mit denen sie eine Wiedervereinigung Tirols erreichen wollen. Anschläge gab es auch auf die Hofer-Denkmäler in Mantua, am Berg Isel (1961) und in Meran (1979). Hofer sollte symbolisch ein zweites Mal für „ein Tirol“ sterben. Die Terroristen werden noch heute von vielen als Reinkarnation der Helden von 1809 gesehen.
Erstmals werden aber auch Stimmen laut, die die Instrumentalisierung Hofers kritisch sehen. Das Bild Hofers als „Idealtiroler“ empfinden viele nur mehr als Tourismusklischee. Felix Mitterer fügt dem ehrlichen, gläubigen, treuen und patriotischem Wirt in seiner „Piefke-Saga“ den Geiz, die Gier und die Unterwürfigkeit hinzu, entlarvt den Schilehrer, Bergbauern, Bergführer und Wilderer als Tourismussklaven. Die Zweifel, ob Hofer und eine Tiroler Identität zusammenpassen, wachsen.
Hofer als leeres Symbol
In den zwei Jahrhunderten seit Hofers Tod haben sich seine Gegner gewandelt: Waren es zu Beginn noch Länder – Bayern/Frankreich, Italien, Nazi-Deutschland, abermals Frankreich, wieder Italien – wurden sie in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von Themen abgelöst – Hofer macht sich nun gegen den Bau von Kraftwerken in Zwentendorf und in Hainburg oder den Transitverkehr stark. Hofers Kämpfe werden allerdings immer absurder: Das Frauenreferat des Landes Tirol will mit dem Slogan „Mander, ‘s isch Zeit“ die Tiroler Männer zur Hausarbeit motivieren, die SPÖ und Richard Lugner Wahlen gewinnen. Auch die Grünen, die Jusos und die FPÖ greifen auf Hofer zurück. Hofer ist zu einem Opportunisten geworden.
Hofer steht aber nicht nur für politische Botschaften, er steht auch für Produkte ein, als Werbeträger für Feigenkaffee, Schokolade, Bier oder Käse. Auch Hofer-T-Shirts gibt es zuhauf.

Simon Welebil
Teil des Landesgedenkjahres ist auch der Bau des Bergisel-Museums. Unter innsbruck.asus.sh gibt’s dazu einen Artikel von Martin Fritz
Mit dem Landesgedenkjahr 2009, zum Andenken an die Berg-Isel-Schlachten, versucht die Tiroler Regierung noch einmal, die Deutungshoheit über „ihren“ Helden zu erlangen. Dabei ist nicht einmal sicher, ob ihr das beim Landesfestumzug am 20. September, dem Höhepunkt des Gedenkjahres gelingt – Südtiroler Schützen haben bereits angekündigt, sich nicht davon abbringen zu lassen, Transparente mit „Los von Rom“ Parolen mitzutragen. Zumindest die Dornenkrone, die 1959 und 1984 bei den Festumzügen Leidenssymbol des geteilten Tirols mitgetragen wurde, wurde durch die Bestückung mit 2009 Rosen entschärft.
Für die Landesregierung bleibt Hofer im Zentrum der Tiroler Identität. Ob mit dem belasteten Bild Andreas Hofer allerdings das richtige Symbol für Tirol in einem vereinten Europa gewählt wurde bleibt zu bezweifeln.