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Albert Farkas

Ein kühnes Kratzen an der Oberfläche von Hohlräumen.

19. 8. 2009 - 18:37

TV on the Radiohead

Ein (fast) ganz unmusikalisches Small Screen Stories - Spezial mit Chefkopf Thom Yorke.

Die/der gemeine Berchtesgadener/in hat es gut. Jeden Tag wacht sie/er auf, um ihr/sein Dasein mit einem seligmachenden Hochgefühl zu bestreiten. Denn sie/er weiß: In ihr/seinem Land haben Radiohead schon mal ein Konzert gespielt. 30 Kilometer weiter östlich oder westlich haben es die Menschen nicht so gut: Die Welt ist kalt und traurig, weil Radiohead in ihrem Land noch nie ein Konzert gespielt haben (kalt und hart wäre sie halt eben auch, wenn Radiohead gerade ein Konzert in ihrem Land spielen würden, aber natürlich auch intensiv und schön). Aber am Freitag, den 21. August, um planmäßig 22 Uhr 15, da wird diese Scharte ausgewetzt, da muss sich endlich niemand mehr vor Schande zu Hause verstecken, da hat Österreich das Oscar-Goldene Palme-UN Generalsekretär-Tischtennisweltmeister-Radiohead Auftritt - Set endlich komplett.

thom yorke

flickr.com/alterna2

Erasmus-Auslandszivildienst-Europäisches Freiwilligenjahr-bedingte transnationale Romanzen fällt es zu, dafür zu sorgen, dass die jungen (und nicht so jungen) Leute regelmäßig mit dem Zug, Auto, Flugzeug oder Schiff von Athen nach Brügge und von Innsbruck nach Stettin usw. kreuz und quer durch die Gegend fahren, und so die europäischen Personentransport-Branche über Wasser gehalten wird. Bislang hat sich zu diesen von Ankunfts- und Abschiedsküssen eingeklammerten Strukturerhaltungshandlungen als Motivation zur Fernfahrt der ganz spezielle Radiohead-Konzerttourismus dazugesellt. Es war nicht ungewöhnlich, direkt mit der Sprachbox eines/r Freundin/es in Verbindung gesetzt zu werden, weil diese/r sich nach Oxford, Berlin, Verona oder Budapest vertschüsst hatte, um sich diese doch außergewöhnliche Band mal anzusehen. Und das ist nur fair, weil Radiohead so eine Pilgerfahrt ja auch wert sind und sich die/der Prophet/in nicht beklagen kann, wenn es doch auch mal Berge gibt, die nicht bei ihr/ihm vorbeischauen können. Und weil all diese Orte eh nicht wirklich weiter weg sind als die Arena oder die Arge oder das Kamot. Sobald man sich mal aufgerafft hat, aus dem Haus zu gehen, ist alles ungefähr gleich weit weg.

Vor allem St. Pölten. Und was für ein hypnotisches, erquickendes Erlebnis es nicht sein wird, wenn wir uns alle zu veranschlagter Zeit am ausgemachten Ort versammeln, um uns im Hier und Jetzt in unsere identitätsstiftende Lebenslieder über's Nicht-mehr-nach-Hause-kommen, den Gestank, sich vernetzende Yuppies, 2nd-Hand-Berührungen, Steuerflucht und die Karma-Kripo zu versenken. Aber, wenn ich so drüber nachdenke, lassen wir's bleiben. Ja klar, warum nicht -anschauen kann man sie sich für die eigene persönliche Glückseligkeit ja schließlich eben auch noch anderswo, und der einzige Weg, um zumindest Thom Yorke ein unvergessliches Konzerterlebnis zu bereiten, führt wohl wirklich darüber, einfach nicht aufzukreuzen. "No Surprises" halt ich jetzt nämlich mal für ein reines Lippenbekenntnis, das Yorke's offensichtlichen Enthusiasmus für den nicht ausgetretenen Pfad nur spärlich kaschieren kann. Alles, was von der erwartbaren Norm abweicht, das lässt das Blut wirklich schneller fließen und die Gesichtsmuskeln lockern sich.

Außerdem würde ich Radiohead sowieso lieber mal beim Plaudern, also bei einem Symposium, als beim Musik abspielen sehen. Die Gelegenheit eines Gesprächs wird einem die Band, für die das Backstage-Security-Personal beim Southside-Festival von 2002 auf 2003 dem Vernehmen nach verdoppelt wurde, auch beim Frequency voraussichtlich nicht gewähren, und Zunftkollegen wie Robert Rotifer warten mitunter schon über 15 Jahre auf ein Interview mit dem Herrn am Gesangsmikrophon.

Was ich aus der Sicht von Thom Yorke aber auch okay finde. Wer die Szene in Grant Gee's Band-Film "Meeting People Is Easy" gesehen hat, in der, glaube ich, Colin und Johnny Greenwood über eine Viertelstunde nichts anderes machen als Sympathie beteuernde ID's für Radiostationen auf der ganzen Welt herunterzurattern, muss spätestens dann anerkennen, dass extensive Pressearbeit halt doch auch eine seelenschädigende Dimension haben kann. Aber auf der anderen Seite ist es für Liebhaber von Radiohead natürlich schade, weil Yorke's Bewusstsein für alle ethischen und ästhethischen Belange so unglaublich ausgeprägt ist, dass er es sich auch bei einer einzigen Befragung nicht erlaubt, in repetitive Routine-Floskeln abzugleiten. Überhaupt kann es, glaub ich, echt eine Qual sein, 24 Stunden am Tag Thom Yorke zu sein.

Da ist zum einen die Erinnerung an die frühen Jahre mit den langen Haaren.



Aber viel mehr als das plagt Yorke augenscheinlich seine übersensibilisierte Wahrnehmung, die einen Grad von Schärfe hat, bei der der Hang zu Verschwörungstheorien nicht mehr weit ist, und deren weitgehende Abwesenheit die Mehrheit von uns dazu befähigt, nach den Abendnachrichten weiter ein normales Leben führen zu können. Für Yorke, im Bewusstsein seiner kulturell einflussreichen Position, gibt's diese Überlebensstrategie nicht mehr wirklich. Hunger in den ärmeren Regionen der Welt? Nicht duldbar. Atomare Aufrüstung? Nicht duldbar. Umweltverschmutzung, Klimawandel, Versteppung in aller Welt? Nicht duldbar. Und dringend. Muss man eigentlich sofort was dagegen machen. Nein, nicht eigentlich, muss man sofort was machen. Und während den meisten von uns in Mitteleuropa der Irakkrieg nicht viel mehr als ein leichtes Unwohlsein beschert hat, ist Thom Yorke in diesem von Charlotte Roche brilliant geführten Interview von 2003 vom ganzen antihumanitären Ausmaß der Ereignisse sichtlich gezeichnet.


Thom Yorke bekleckert sich mit Schoko

Oxfam

Die Kombination von Yorke's Engagement für das Rechtschaffene und seinen finegetunten Bullshit-Detektor führt pointierterweise dazu, dass er eher dazu gewillt ist, sich im Namen eines gerechteren Welthandels über und über mit Schokolade beschmieren zu lassen, als sich zum tausendsten Mal auf eine behutsam penetrante Frage über die zwischenmenschlichen Mechanismen in der Band einzulassen.




Manche Interviewer/Innen wie diese Amerikanerin sind angesichts solcher Zurückhaltung dazu übergegangen, Yorke's zu antizipierende "Schwierigkeit" mit einer gleichermaßen verstörenden Gesprächsanordnung auszuhebeln. Unbezahlbarer Moment in diesem Video: Yorke's selbstverachtende Bemerkung über seinen damals neugeborenen, ersten Sohn - "apparently he looks like me, the poor sod."



Zum Abschluss ein besonderer Leckerbissen, bei dem nur der Himmel weiß (und wohl wissen will), wie es um dessen Legalität wirklich bestellt ist: Der von allen amtlichen Radiohead-Historikern als Meilenstein-Konzert qualifizierte Glastonbury-Triumph von 1997, inklusive des legendären Moments ab Minute 32, in dem Thom Yorke die/den Lichttechniker bittet, die Scheinwerfer auf das Publikum zu richten.



Das sieht schon alles sehr imposant aus. Ach, was soll's, gehen wir übermorgen doch hin. Thom wird's schon verstehen.