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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

17. 8. 2009 - 23:25

Journal '09: 17.8.

Simulations-Parteien im Wahlkampf. Der fünfte Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs.

Erster Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: LA-WM samt Doping.

Zweiter Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs; Gentrifizierung und Lokal-Patriotismus.

Der dritte Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: Die, die sich niemals an den Westen verkaufen werden: eisern Union.

Der vierte Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: A lightning that might strike. Bolt.

Der fünfte Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: Simulations-Parteien im Wahlkampf.

Der sechste Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: Das Hemd an sich.

Nachtrag: Kümmernd und zweisprachig.

Hier in Deutschland ist ja Wahlkampf.
Das merkt man daran, dass "Die Partei" mit ihrem Spitzenkandidaten Martin Sonneborn geflyert wird.
Oder daran, dass plötzlich Wahlhelferinnen der HSP, die das garuenhafte Konterfei des Spitzenkandidaten als T-Shirt tragen müssen, ins Cafe kommen.
Oder an diesem Stand der SPD am Potsdamer Platz, der mit kleinen roten Sitzgelegenheiten zum Innehalten wirbt.

Bis man dann draufkommt, dass zwei davon nicht real sind, dauert es ein wenig.

Das hat damit zu tun, dass die deutschen Parteien allesamt bereits nur noch Simulationen sind.
Sagt Martin Sonneborn, Titanic-Redakteur und Aktivist, das Gesicht von "Die Partei", der Fake-Bewegung, deren Kandidatur die Staatsmacht nur mit Mühe verhindern konnte. Weil es an Ernsthaftigkeit fehlen würde.
Sonneborn zitiert ein wissenschaftliches Essay, in dem mittels Baudrillard genau das postuliert wurde. Partei = Simulation.

Moderne Politik ist positionslos

Die SPD etwa, sagt Sonneborn, ist die Simulation einer sozialdemokratischen Partei. Und: "Die Partei ist dann die Simulation einer Simulation. Wir machen in diesem Land die modernste Politik, Inhalte sind uns egal. Parteien brauchen heute keine Positionen mehr, sie räumen sie notfalls im Minutentakt. Wir sehen uns als die letzte moralische Bastion", sagt Sonneborn im Tagesspiegel von letztem Freitag, zum Start des Films über seinen Scoop.

Im letzten Bundestagswahlkampf, als man die mediale Macht, die "Die Partei" erreicht, noch nicht erkannt hatte, weshalb sie kandidieren durfte, finanzierte man dort die Wahlkampfspots mittels Schleichwerbung, und setzte allerlei Maßnahmen, die nichts anderes sind als die Pervertierung, das Auf-die-Spitze-treiben bestehender Tendenzen und Positionen.

Letztlich tut das auch die Horst Schlämmer-Partei, das reine Gag-Vehikel von Hape Kerkeling.
Der setzt eine seiner Figuren, den ekelhaft-nervigen machoid-blödigen Lokalreporter Horst Schlämmer damit in Szene.
Und simuliert auf Teufel komm raus.
Niveau: meist bescheiden.
Aber: medial zündet auch dieser Funke. Und die letzten Was wäre wenn-Umfragen haben 18% Wählerpotential ergeben.

Kerkeling ist dann gut, wenn es ihm ernst ist in dieser abgeschmackten Farce. So lautet die Position Schlämmers zur Schwulen-Ehe wie folgt: "Als Politiker sage ich ja zur gleichgeschlechtlichen Liebe. Privat finde ich sie widerlich."
Kerkeling, selber homosexuell, bringt mit dieser nur leicht verschobenen Überzeichnung der Realität unglaublich viel an aktueller Bigotterie auf den Punkt, knüpft da durchaus an Sacha Baron Cohen an.

Reine Spaßparteien wie die FDP...

Noch schlimmer sind die, die gar nicht erkennen dass sie selber bloße Simulation sind.
Sonneborn etwa spricht, wenn er mit dem Terminus "Spaß-Partei" konfrontiert wird, von der FDP, auf die das tatsächlich zutrefffen würde; und wenn man die grotesk-weltfremden, auf eine schmale Oberschicht abgestimmten Forderungen dann auf Plakaten in Working-Class-Areas sieht, bestätigt sich das.

Die CDU aktiviert hier in Berlin gerade mit einer Dame mittleren Alters, die in Anlehnung an Merkels Bayreuth-Dekolletee-Outfit des letzten Jahres sehr viel Herz zeigt.
Und der Auftritt den die SPD auf dem Potsdamer Platz ablieferte, war in seiner wirren Jenseitigkeit (Aktivisten und rote Polsterhocker stehen rum, Peter Fox-Musik läuft, sonst passiert minutenlang genau nichts) die perfekte Entsprechung der Leere, der Simulation von Politik.

Die auch in Deutschland praktisch nicht mehr zu unterscheidenden Positionen der Großparteien treiben die Entwicklung der Simulations-Demokratie schnellstmöglich voran.
Der Unterschied zu Österreich: hier schlägt niemand wirklich populistisches Kapital draus. Die FDP als 5. Kolonne der CDU gibt Gas und will Spaß, die Grünen werden wohl wieder die Wahlempfehlung der Financial Times Deutschland bekommen, weil ihre inhaltlichen Forderungen so konservativ sind, und selbst die Linkspartei gemütelt vor sich hin - so zumindest erscheint es im Wahlkampf.

Simulation und Leere als Krankheit

Allerdings findet der hier nicht auf riesenhaften, alles zuscheißenden Plakatflächen statt, wie im diesbezüglich materialverschwendungssüchtigenm Österreich (wo ein Abbau der Wahlkampf-Arsenale wirklich nottut) sondern beschränkt sich auf kleine Poster an jeder Laterne, die in 2,5 Meter Höhe (damit sie nicht so leicht runtergerissen werden können) einen lächelnden lokalen Spitzenkandidaten (der dann auch was gilt, als Vertreter, als "mein Abgeordneter" - auch hier darf das österreichische Wahlsystem ruhig nachziehen) oder einen individuellen Slogan.

Die sind dann oft allgemein, manchmal lokalbezogen, meist larifari, aber haben noch den Geruch von Echtheit - die einzige Waffe gegen die schleichende Simulation und die Leere der An- und Aussagen, die von den beiden angesprochenen Satire-Initiativen nicht aus Jux und Dollerei, sondern aus reiner Notwendigkeit so drastisch thematisiert werden.

Für die einzige potentiell erfolgreiche Spaß-Partei, die Piratenpartei (die bei einer Social-Network-Umfrage, bei Xing, unlängst auf 80% kam, bei den bewusst Netz-Affinen also alles abräumt) gilt das mit der Leere auch; aber absichtlich.
Die haben halbleere Klein-Plakate auf den Masten hängen: dort solle man, als interessierter Bürger halt, draufmalen, was man von der Fraktion dann erwarten würde, im Bundestag.

Nicht dass ich bereits eine beschmierte Tafel gesehen hätte: asber selbst wenn die Piraten dieses Feedback dann gar nicht einsammeln, bewirkt diese Forderung zumindest einen Nachdenk-Prozess. Ebenso wie alles, was Kerkeling oder Sonneborn anstellen.
Und das ist aktuell mehr als das, was die traurigen Simulationen zustandebringen.