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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

17. 8. 2009 - 16:35

Die Macht des Krauts

Das ursprünglich in Köln ansässige Label Italic feiert sein 10-jähriges Bestehen und richtet die Abschlussparty der c/o pop aus. Mit Kreidler, Von Spar, Antonelli und Prins Thomas.

Schon wieder heute. Nach vier Tagen konzentriertem und quer über die Stadt versprengtem Konzert- und Partyüberdruck ist auch bei der c/o pop in Köln der Sonntag ein Sonntag. Beinahe. Am Nachmittag findet der Spex 72 Cup, das traditionelle Fussballturnier von Musik- und Medienteams, mit Mannschaften von beispielsweise der Intro oder Raveline statt, für das musikalische Rahmenprogramm sorgt dabei der dieses Wochenende allgegenwärtige Matias Aguayo. Die ganz Harten haben auf den Pollerwiesen unter der Leitung von Paul Kalkbrenner und Adam Beyer vom Samstag bis in den frühen Sonntagabend hineingeraved, am Sonntagabend selbst steht nur noch eine einzige offizielle Party auf dem Programm. Stilsicher und mit Blick auf größtmögliche symbolische Strahlkraft ausgewählt, ist das Label Italic, das in seinem Labelkatalog ziemlich gut den Sound der Stadt - Vergangenheit und Gegenwart, möglicherweise Zukunft - bündelt, für die Gestaltung der Nacht zuständig.

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Festivalzentrale c/o pop
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Gutes Programm

Die Prägung durch die Stadt am Dom lässt sich bei wenig anderen Labels so schön heraushören wie bei Italic, das dieses Jahr sein 10-jähriges Bestehen feiert. Der Sound des Labels, das 2008 nach, geht wohl nicht anders, Berlin abgewandert ist, ist tief verwurzelt in der Köln/Düsseldorfer Schule der strengen Elektronik zwischen Minimal Techno, spröder Elektronika und - grundsätzlich immer, aktuell aber wieder besonders wichtig - Krautrock. Die merwürdige, merkwürdig wie in: super, Gruppe Von Spar eröffnet den Abend in den Opernterassen. Mit "Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative" hat die Kölner Band 2003 eine kratzbürstige, eine supernervige Platte im Fahrwasser von tanzbarem No Wave/Postpunk, Aszendent Goldene Zitronen, veröffentlicht, ein Album, das medial fast durchgehend von höchst wohlmeinenden Kritiken begleitet worden ist, nur um dann 2007 mit einem selbstbetitelten Album die Erwartungshaltungen völlig zu zerbröseln: Zwei ellenlange Stücke, krautrockartige Jams, wildes Schlagzeuggeklöppel, ein Rauschen, ein Wabern. Nix mehr mit von inhaltlichem Sprengstoff durchsetzten Popsongs.

Auf ihrer eben erst erschienen, man muss es sagen dürfen, sehr guten Single "HyBoLT" und auch live wird am selben Kraut weitergekocht. Da kann man das vielgliedrige Mäandern der Krautrock-Säulenheiligen von Can wiederfinden, den legendär motorischen Schlagzeugbeat von Neu! und grell gleitenden Synthesizer-Quatsch im Andenken an John Carpenter und Giorgio Moroder. Sänger Thomas Mahmoud hat die Band mittlerweile verlassen, gesungen wird hier kaum noch. Bäume reißt das Modell "Krautrock" heute freilich keine mehr aus, machen ja viele sowas, wie bei Von Spar aber improvartiges freies Fließen und konkrete Tanzbarkeit sich ergänzen, immer wieder austricksen, umspielen und schließlich zusammenkommen, das mag man sich schon sehr gerne anhören. Ein neues Album erscheint 2010 (wie arg das schon klingt). Dem live präsentierten Material nach zu schließen, kann man davon ausgehen, dass es sich um eine "Erscheinung" handeln wird.

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Von Spar
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Funky Aktenordner

Die Band Kreidler hatte man ja fast schon vergessen. Vor rund zehn Jahren sind die vier Herren im Zuge des ganzen Postrock-Hypes mit ihrer Vermengung von Buchhalter-Elektronik und seriöser Liveinstrumentierung im adrett gestärkten Hemd im Spannungsfeld zwischen Tortoise, Mouse on Mars und Stereolab zu mittlerer Berühmtheit aufgestiegen, die Nuller-Jahre von Kreidler haben danach eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden.

Im Oktober wird das neue Album von Kreidler, "Mosaik 2014", erscheinen, eine labyrintische Verzahnung von: mehr Rhythmus, mehr Beat, mehr Percussion, mehr Loops. Auch live zeigen sich Kreidler unerwartet locker in den Gelenken, mit steriler Kunstmusik hat das gar nichts mehr zu tun. Mit viel Bass und besonderem Fokus auf allerlei Gerassel, Gebimmel und Geklopfe an den Drums, Kuhglocken-Sounds gar, entsteht so eine vollkommen funky Tanzmusik, die Kreidler mitunter in die Nähe des famosen Talking-Heads-Seitenarms Tom Tom Club rückt und die der Band SO wohl kaum einer mehr zugetraut hätte.

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1x Kreidler-Schlagzeug

Schöner Raven

Der Düsseldorfer Stefan Schwander ist unter vielen Namen (u.a. A Rocket In Dub, Repeat Orchestra) ein bunter Hund der Elektronik. Unter seinem bekanntesten Pseudonym Antonelli hat er vor Kurzem das sehr gute
Album "Soulkiller" veröffentlicht, das genau das NICHT ist, was der Titel verheißt. Vielmehr mit viel Seele an ausschließlich analogen Drummachines und Synthesizern eingespielte Tanzmusik mit Herz im Geist der Klassiker des House. Viel zu sehen ist da natürlich nicht, wie Antonelli auf einsamer Bühne "live" an seinen Knöpfen dreht, aber die Leute sollen ja auch tanzen. Das tun sie.

Der norwegische Disco-Freigeist Prins Thomas - der übrigens einen formidablen Remix für Von Spars "HyBoLT" gefertigt hat - schickt im Anschluss vom DJ-Pult aus mit einem erwartungsgemäß bunt durch die Stile reitenden Set noch eine gänzlich unfeiertägliche Party aufs Parkett: Tropicalia, Spacerock, Funk und sowieso Disco, überschäumender Bombast-Pop, richtig echte Songs - der Prins weiß, dass es selbst in Köln nicht immer bloß Minimal sein muss. Draußen schiebt sich schon die Sonne in die Stadt, nach einem langen Wochenende erschöpft, ausgelaugt, von Glück und Erfahrungen betankt, wanken sie nach Hause, die Medienpeople und die Labelbetreiber, die Fotografen und die Modemacher, die Pizzabäcker und die Kinokartenabreißer, die DJs, die Tänzer, die Raver, die Lover. Ein Lied kann eine Brücke sein.

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Antonelli
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