Erstellt am: 15. 8. 2009 - 18:57 Uhr
Journal '09: 15.8.
Erster Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: LA-WM samt Doping.
Zweiter Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs; Gentrifizierung und Lokal-Patriotismus.
Der dritte Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: Die, die sich niemals an den Westen verkaufen werden: eisern Union.
Der vierte Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: A lightning that might strike. Bolt.
Der fünfte Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: Simulations-Parteien im Wahlkampf.
Der sechste Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: Das Hemd an sich.
Nachtrag: Kümmernd und zweisprachig.
Im Vorfeld war schon Gemunkel zu hören. Immer mehr hippe Figuren aus Mitte würden zu den Spielen von Union Berlin pilgern und so diesen klassischen Arbeiter- und Ost-Klub für sich vereinnahmen. Union, die eisernen, von der DDR-Staatsmacht untergebuttert und dauerbetrogen, nach der Wende dann von westlichen Aussaug-Versuchen bedroht und zudem noch ein Bollwerk gegen die erstarkenden Ost-Nazis, würden also der subtilen Macht des schicken jungen Berlin erliegen.
Ich konnte es mir nicht vorstellen. Ich war vor Jahren einmal dort, in Köpenick, auf der alten Försterei, die zurecht so heißt, weil sich da wirklich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, da war es noch ein halbes Naturstadion, verfallene Grandezza, und damals waren zwischen den vielen Ostlern ein paar versprengte Zentral-Berliner auszumachen, die den Verein aufgrund seiner Philosophie und aus Sympathie unterstützten, nicht mehr.
Dann kam es zu einer beispiellosen Fans-helfen-Verein-Aktion: Die Unioner bauten das neue Stadion quasi selber. Die Fans halfen in Extraschichten die Tribüne aufzubauen, die aus einem alten, vergilbenden Schmuckkästchen ein neues Prachttrüchen machten. Im Union Stadion in der Vorstadt steckt also das Herzblut und auch die Arbeitsleistung einer Region, die diesen Klub liebt.
Und der Verein versteht es zurückzugeben. Indem er auch weiterhin nicht größenwahnsinnig wurde, weiterhin das Gehaltsgefüge nicht sprengt und zudem auch noch von der dritten in die zweite Liga aufstieg und sich so wieder in Sichtweite zur übermächtigen, aber doch gern als großkopfert verspotteten Hertha liegt.
Man ist Underdog, man ist Ossie, man ist ärmer, aber man hat ein Stadion, in dem der Bär steppt, in dem lustige und traurige Lieder gesungen werden, in dem es keine Sekunde fad ist, man hat es selber gebaut und drin spielt eine Mannschaft, die das alles spürt und reflektiert.
Und die hippen Prenzl/Mitte-Typen sind genau wenige wie vor sechs Jahren, das Vorab-Gemauschel dazu: tendenziell Zuschreibung.
Heute mittag (der Sky-Stundenplan schreibt die beschissenen Ankickzeiten vor) war ein Verein mit großer Vergangenheit da, die Fortuna Düsseldorf. Und sie hatten gefühlt nie eine Chance. Die Unioner drängten sie rein, ließen sich vom Publikum treiben und nach vorne werfen und gewannen dann doch sicherer als es das Resultat von 1:0 besagt.
Bei Fortuna kommt in der Schlußphase Axel Lawaree rein, ehemaliger Bregenz- und Rapid-Stürmer, auch Torschützenkönig, ein kleiner wuseliger und guter Mann. Er ersetzt den Russen Bulykin, der einmal die Anlagen hatte der beste Stürmer der Welt zu werden, und sie weißgottwo verschleudert hat.
Diese zwei Zweitliga-Vereine gehen ein höheres Tempo als die untere Hälfte unserer Bundesliga, und ihre technischen Fertigkeiten stehen da noch drüber. Union spielt schnelles 1xBerühren, Pressing und immer nach vorne, in einem 4-4-2 mit nur einem 6er (der alte Younga-Mouhani), einem echten Fantasista (Dogan) und zwei launischen Stürmern, Benyamina und Mosquero, der junge Kolumbianer.
Sie spielen also auch noch schön und gut und schnell, so wie man es in Österreich gerne vermisst.
Und dazu das kleine fesche Stadion und die Fan- und Gesangs-Kultur, von einer beißend ironischen und immer wieder sehr ernsthaften Kurve getragen, und einem Stehplatz-Potential, das die Familien miteinschließt, Familien, auf die die heimische Fan-Unkultur aktuell grad kampagnenmäßig "scheißt", weil sie bei den lächerlichen tränengasmäßigen Pyro-Shows im Weg stehen.
Die Unioner brauchen keine Pyro um Party zu machen, abzugehen und auch noch inhaltlich gewitzte Slogans zu schreien. Sie brauchen keine kindergartenmäßige Choreografien, weil es reicht, wenn sie ihr durch Mark und Bein gehendes Vereinslied singen, eine Hymne auf den Osten, der sich nie an den Westen verkaufen wird, eine Metapher die für viel mehr steht.
Das ist eine Art der Spielanlage und eine Philosophie der Fankultur, die das, was sich in Österreich diesbezüglich abspielt, dann umso wert-, glanz- und hirnloser erscheinen lässt. Auch weil hier die Ernsthaftigkeit der Identifikation sinn- und identitätsstiftend ist und nicht wie etwa in Wien nur ein reiner Papiertiger ohne echten moralischen oder gar gesellschaftspolitischen Hintergrund.
Deswegen war das einerseits ein wunderbarer, aber dann auch wieder trauriger Mittagsausflug zu den Eisernen, raus in die Vorstadt.