Erstellt am: 15. 8. 2009 - 18:40 Uhr
Theorie und Tanzen
Es ist ein graues Brot von vorgestern, das Leben als Maler, Musiker, T-Shirt-Bedrucker. "Einkommensrechtliche Klarheiten für Freiberufler und Gewerbetreibende" heißt da der Vortrag, der im Festivalzentrum der c/o pop zu hören ist. Harter Tobak, die meisten Anwesenden sind am Freitag, dem dritten Tag des Festivals, wohl aber ins Schauspiel Köln gekommen, um dem darauffolgenden Interview mit, hüstel, Legende Daniel Miller beizuwohnen. Dennoch ist das Convention-Programm der c/o pop mit seinen Panels und Vorträgen ausnehmend gut programmiert: Da wird nicht irgendwie vage von der "Krise" geschwafelt, ja, eh, die Musikindustrie ist den Bach runter, sondern konkret beispielsweise Musik-Fernsehen im Netz, wie es ist und wie es sein wird, diskutiert, oder unter dem Schlagwort "Books - Gutenberg 2.0" die mögliche, man ahnt es schon, Zukunft des Lesens abgeklopft. Da kann man was mitnehmen.

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Eine knappe Stunde unterhält sich Heiko Hoffmann, Chefredakteur der Groove, dem guten Magazin für elektronische Musik und Clubkultur, mit Daniel Miller, dem Gründer von Mute Records, dem Mann, der unter dem Namen The Normal mit dem Stück "Warm Leatherette" quasi im Vorbeigehen einen der klassischsten Klassikertracks der elektronischen Musik produziert hat. Das Gespräch verhandelt jedoch nicht irgendwelche theoretisch-ökonomischen Axiome, sondern arbeitet sich anhand von Hörbeispielen, die mehr oder weniger eng mit Millers Biografie verknüpft sind, anekdotisch an dessen Leben ab.
Can, weil Köln, gibts da zu hören, Depeche Mode, die Superstars von Mute, Moby, Silicon Teens, ebenfalls ein Projekt Millers, oder, es geht nicht ohne, Kraftwerk. Miller erzählt wie ihm die Boys von Depeche Mode das erste Mal über den Weg gelaufen sind, und sie ihm zunächst nicht sonderlich weltbilderschütternd bloß als ein Haufen "New Romantic Kids" in Erinnerung geblieben sind, oder wie das so war, damals, als er gemeinsam mit den deutschen Marschmusik-Elektronikern von DAF bei seiner Mutter gewohnt hat: "We were one big happy family."

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Remember Helena Christensen?
Musikalisch darf freilich auch am Freitag wieder sehr viel erlebt und noch viel mehr versäumt werden. Den Offenbachplatz, den am Donnerstag Patrick Wolf beleuchtet hat, bespielen The Whitest Boy Alive. Dass Daniel Nentwig, Marcin Öz, Erlend Oye und Sebastian Maschat gemeinsam eine supertighte Partycombo stellen, hat sich mittlerweile schon herumgesprochen. Und so bewegen The Whitest Boy Alive mit ihrem vollelastischen, diskoid unterfütterten Sensiblchen-Pop locker die Tanzbeine des halben Platzes. Und wenn dann noch der Hit "Fireworks" gedankenstimulierend in, die Band ist für ihre Vorliebe für Coverversionen weltbekannt, Chris Isaaks "Wicked Game" übergeht, finden sich endgültig alle mit ihren Loved Ones am Sandstrand wieder. In Schwarzweiß. Schunkel, Kopfnick, Sterne in den Augen.

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Jenseits der Donnerkuppel
"I told my DJs that it feels like playing in a junk yard", hat Amanda Blank am Nachmittag noch gesagt, "well, then I figured, THIS IS a junk yard." Das Odonien, ausnahmsweise nicht im Zentrum Kölns gelegen, die Location in der die Rapperin aus Philadelphia auftritt, ist eine mit höchstem Eifer fürsorglich runtergerockte Mischung aus Wagenburg, Arena Wien, Schrottplatz, Mad Max und Wanderzirkus: Überall wuchert das Grün, Autowracks, seltsam zusammengeschweißte Metallskulpturen, Open-Air-Kino, Hippie-Chique trifft Industrial-Strenge. Dixie-Klos, "psychedelisch" bemalte Lieferwagen, das Odonien lebt von einem Design, das ein blinder Clown im Fieberrausch zusammengetragen hat.

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I Feel Love
Amanda Blank, die gerade ihr sehr schönes Debütalbum "I Love You" veröffentlicht hat - produziert u. a. mit den üblichen Nasen, wenn es um knallbuntes Beat-Mischmasch geht, Diplo, Switch und der Gang von Spank Rock - eilt der Ruf voraus, eine gar nicht faule Performerin zu sein. Ihr Mix aus weichgekochtem Booty Bass, Oldskool-Electro, HipHop jeglicher Ausformung und Bubblegum-Pop mitsamt deutlich expliziten Texten ist dabei freilich ein in erster Linie auf dicke Party abzielendes Unternehmen und erweist sich auch an diesem Abend als unnachgiebige Endorphinschleuder.
Amanda Blank versteht etwas von Ausdruckstanz the HipHop Way, Rappen kann sie, das muss einmal gesagt werden, und ist hinsichtlich der Publikumsgespräche nicht unbedingt von der ganz alten Schule: "I lost my virginity in Cologne. True story. And now I'm back!" Begleitet wird sie von den beiden DJs Devlin und Ronnie Darko, beide ebenfalls aus der Spank-Rock-Posse, die schon auch mal kurz einen Justice-Track oder ähnlich leicht Entschlüsselbares in den Mix schmeißen, und so gestaltet sich eine nachvollziehbare Party, die mit nicht wesentlich länger als 30 Minuten, den weiten Weg ins Odonien (Exklusivitätsfaktor und Hipness-Bonus Amanda Blank schon eingerechnet) gerade noch haarscharf rechtfertigt.

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Bitte Hilf Mir Durch Die Nacht
Ein Höhepunkt der c/o pop ist - immer noch, nach all den Jahren - die jährliche Familienfeier von Kompakt, auch wenn da der eine oder andere meinen mag, dass ihm Kompakt, das Label, der Vertrieb, die Familie, das Lebensgefühl, schon zu Mainstream, zu allmächtig oder bloß zu durch aufstoßen mag. Dementsprechend lang ist die Schlange, dementsprechend voll und heiß sind die Opernterrassen. Dementsprechend sehr gut ist die Party. Wenn sich die Artists von Kompakt auf zwei Floors die Plattennadel in die Hand geben und richtig echte Livekonzerte zwischen die Auflegerei mischen, dann kann Techno wieder wie ein Versprechen klingen.
Die Isländer Gus Gus präsentieren live mit einem mit der Grazie eines Flamencotänzers ausgestatteten Sänger in weißem Hemd und Anzughosen ihr aktuelles, sehr gutes Album, "Add This Song", der Hit, kommt in dick aufgebrezelter Variante. Ada, die ja sonst eher auf Areal zuhause ist, vor Kurzem aber eine auch, jaja, sehr gute Mix-CD bei Kompakt veröffentlicht hat, besticht wie so oft mit einem Live-Set auf dem zweiten Floor und das Dreamteam Superpitcher/Michael Mayer raved uns mit viel Liebe, mal forsch, mal grazil, immer stilvoll in den Morgen, da kann dann auch wieder ein ganz alter Michael-Mayer-Hit ausgepackt werden:"Love is stronger than Pride." So soll es sein.

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