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Mari Lang

Moderiert, beobachtet und probiert aus – neue Sportarten, Bücher und das Leben in der Ferne. Ist Ungarn-Fetischistin.

14. 8. 2009 - 20:15

Ein Abenteuer mit verschiedenen Gesichtern

Das Sziget Festival in Budapest mit den Ting Tings, einem Labyrinth und lebenden Tarot-Karten.

„Und wie ist es?“, fragt mich meine 80-jährige Budapester Oma und meint das Sziget Festival. Jeder in der Stadt weiß Bescheid. Der Radiosender „Radio Café“ überträgt täglich live vom Festival, die Zeitungen bringen Fotos von hüpfenden Jugendlichen, und überall auf den Straßen sieht man Menschen mit bunten Eintrittsbändern an den Handgelenken. Die Insel ist momentan „the place to be“ in Budapest. Schließlich ist das Sziget Festival, das heuer zum 17. Mal stattfindet, das größte seiner Art in Ungarn. Und einzigartig in ganz Europa. Konzerte, Theateraufführungen, Bastelworkshops, Museen, Kino – es wird alles geboten, was man sich für eine Woche Festival nur wünschen kann. Selbst einen Massagesalon für müde Körper gibt es.

Mein ungarischer Freund Jozo wird dieses Jahr trotzdem nicht hingehen. Vor allem, weil die Eintrittspreise erhöht worden sind und es die "Talent Bühne", auf der ungarische Jungbands bisher spielen konnten, nicht mehr gibt. Mit seinem Gehalt, das er als Fahrradbote verdient, kann und möchte Jozo es sich nicht mehr leisten. Der Gruppe Salzburger, die ich am Festivalgelände treffe, ist die Preiserhöhung egal. Für sie ist das Sziget immer noch ein sehr günstiges Festival und das mit der besten Infrastruktur. „Sogar die Dixie Klos riechen angenehm hier“, meint einer. Naja, übertreiben muss man es nicht. Aber es hat schon gute Gründe warum um die 300.000 Menschen hier sind, und auch ich jedes Jahr wieder komme.

menschen tanzen neben metallsesseln

marilang

Engländer, Holländer, Franzosen, Deutsche – für die meisten Westeuropäer ist das Sziget Festival wie der Himmel auf Erden. Eine Woche abtanzen im Paradies und trotzdem noch ein bisschen Erspartes übrig haben. Heute Reggae, morgen Techno und übermorgen Metall. In der Früh frische Melonen, zu Mittag Gulasch und am Abend einen veganen Gemüseeintopf. „Jeder hat hier die Möglichkeit so zu sein, wie er möchte“, sagt ein Mädchen aus der Ukraine, das einen bizarren Kopfschmuck aus Tüll und Plastik trägt. Die Mode der 80er Jahre flaniert hier neben konservativem Krawatten-Outfit. Das Folklore-Röckchen wechselt sich ab mit dem glänzendem Overall. Eine Bläserkombo macht Platz für eine Elektro-Gitarre.

die ting tings

marilang

Jules De Martino und Katie White sind The Ting Tings

Das Konzert des britischen Duos Ting Tings, das viel zu Früh am gestrigen Nachmittag spielen musste, zählt zu meinen bisherigen Highlights des Festivals. Zwei Menschen auf der riesigen Hauptbühne wirbeln mit Schlagzeug-Beats und schrillem Gesang ordentlich Staub auf. Die Menge vor der Bühne tanzt, klatscht und schreit laut „That’s not my name“. Obwohl die Ting Tings in den drei Jahren ihres Bestehens erst ein Album veröffentlicht haben, klingen die Songs frisch. Von Tour-Müdigkeit keine Spur. Und von artsy-fartsy Arroganz auch nicht. Beim anschließenden Interview geben sich Katie White und Jules De Martino als gut gelaunte, sympathische Musiker, die mich darüber hinaus vor ihrem beißwütigen Manager verteidigen. Weil ich nicht auf der Liste der Medien, die zum Interview angemeldet sind, stehe, werde ich forsch gebeten den Backstage-Bereich zu verlassen. Aber die Ting Tings meinen „We’ll back you up. Just go on with the interview.“ Ein großes „Daumen hoch“ dafür!

zwei musiker vom bloc party

marilang

Selbst beim vorletzten Konzert auf der Hauptbühne kann man noch gemütlich bis ganz nach vorne gehen. Bloc Party spielen, passend zum Sziget, viele Nummern aus ihrem vorhergehenden Album "A weekend in the city" und geben sich redselig. Köszönöm (Danke) und die richtige Aussprache des Wortes Sziget sind auch im Repertoire der Londoner.
menschenmenge vor bühne

marilang

Der Headliner des gestrigen Abends - Fatboy Slim - verwandelt das Areal rund um die Hauptbühne in eine riesige Open-Air Techno Party. Menschen, Grashalme und Trinkbecher hüpfen auf und ab. Schweiß fließt in Strömen. La Roux und die White Stripes werden wild durcheinander gemixt. Der DJ ist in seinem Element.

Sonst habe ich mich dieses Jahr am Sziget schon ordentlich verlaufen - am Gelände, das ein bisschen anders aufgebaut ist, als in den Vorjahren, und im Tarot-Labyrinth. Seit Jahren wundere ich mich über einen Turm nahe der Theaterbühne, vor dem zu jeder Tages- und Nachtzeit eine lange Menschenschlange steht. Zwischen der Suche nach der Weltmusikbühne, dem Internet-Zelt oder den Toiletten mit Wasserspülung kann man sich am Sziget Festival auch selbst suchen. Man zieht eine Tarot-Karte, bekommt eine Figur zugeteilt, einen färbigen Hut auf den Kopf gesetzt und zieht los ins Labyrinth. Weiße Tücher hängen rund um ein Holzgerüst, rote Stufen führen rauf und runter, man muss durch kleine Öffnungen kriechen und viele Abbiegungen nehmen. Dazwischen trifft man auf bunt gekleidete Menschen, die „der Tod“, „die Kaiserin“ oder „der Turm“ heißen und einem seltsame Dinge sagen - „You wait to arrive, so that there will no longer be a need for letters or days.” Nach der etwa einen Stunde, die man durch das Labyrinth spaziert, ist man entweder erleuchtet, verwirrt oder zumindest ausgenüchtert - so wie die zwei Holländer, die ich treffe, und die in einem Satz zusammenfassen, was das Sziget Festival für sie ist – ein buntes Abenteuer mit tausend verschiedenen Gesichtern. Klingt vielleicht ein bisschen esoterisch, trifft es aber auf den Punkt.

Sziget Festival von 12.-17. August 2009 in Budapest - Óbudai Insel

Meine Oma war von dieser Antwort auf die Frage „Und wie ist es?“ auch begeistert. Mitkommen wollte sie heute trotzdem nicht. Schade, denn es spielen The Prodigy, die Erik Sumo Band, Birdy Nam Nam, u.v.m.