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Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

20. 8. 2009 - 20:00

Mysteriöses bleibt unaufgeklärt

In Thomas Glavinics "Das Leben der Wünsche" liebt ein Mann zwei Frauen und das Unterbewusste schließt einen Pakt mit dem Teufel.

Jonas begegnet ein Unbekannter, der alles Wesentliche über ihn weiß – verheiratet mit Helen, zwei Söhne, Werbetexter, eine Affäre mit Marie. Der Unbekannte will ihm drei Wünsche erfüllen. Jonas beschränkt sich auf den einen, dass ab nun all seine Wünsche in Erfüllung gehen. Der Unbekannte mit dem Koffer verschwindet, Jonas bleibt sitzen. Die erste Szene auf einer Bank vor einem Brunnen erinnert an das Erscheinen des Unbekannten in Bulgakows "Der Meister und Margarita": beiläufig streift das Mysteriöse den Alltag und weckt die Neugierde auf eine große Geschichte. Anders als bei Bulgakow bestimmt in "Das Leben der Wünsche" nicht der Leibhaftige den Verlauf der Geschichte, sondern der fleischliche Protagonist Jonas. "Das Leben der Wünsche" erkundet, was passiert, wenn sämtliche unbewussten Wünsche in Erfüllung gehen. Siehe da: bei Glavinic hat das Unterbewusste einen Pakt mit dem Teufel.

das cover des romans "das leben der wünsche", auf dem eine frau mit zwei zöpfen zu sehen ist

carl hanser verlag

Wie in "Die Arbeit der Nacht" heißt die Hauptfigur Jonas und liebt Marie. Dort irrt er durch eine menschenleere Welt und sucht sie, in "Das Leben der Wünsche" will er sie besitzen. Die beiden Romane sind unabhängig voneinander, aber sie gehören zusammen. "Ich verstehs selber nicht und es ist wirr und kompliziert," wiederholt Thomas Glavinic zwei Mal, "aber er ist derselbe und er ist nicht derselbe." Und er zitiert Charly Chaplin: "Ein Künstler, der seine Kunst ganz versteht ist kein Künstler, sondern ein Kunsthandwerker."
Der Umkehrschluss sei dennoch keineswegs zulässig. Aber, so Glavinic: "ich will nicht alles verstehen was ich mache."

So hat Glavinic Freude am Verwirrspiel: in der konsequenten Verfolgung ein inkonsequentes Gesamtwerk zu schaffen, das vom Lebensratgeber ("wie man leben soll") über den apokalyptischen Thriller ("Die Arbeit der Nacht") bis hin zur gefakten Autobiographie ("Das bin doch ich") reicht, genauso wie im Einzelwerk selbst.
Sein Mittel im Verwirrspiel ist die Katastrophe und die der Katastrophe innewohnende Überraschung: man versucht, Wendungen zu begreifen, eine Konstruktion zu verstehen, Hinweise auf den weiteren Verlauf zu bekommen und muss weiterlesen. Vergeblich (die Suche, nicht das Weiterlesen), denn Glavinic schreibt, wie er sagt, keine "literarischen Kreuzworträtsel". Das Mysteriöse bleibt unaufgeklärt, wir erfahren etwa nie, wer der unbekannte Wunscherfüller ist.

Am 20. August gibt es in Connected (15-19) ein Interview mit Thomas Glavinic zu hören

Jonas liebt im Grunde zwei Frauen, nur Helen liebt er schon viel länger, mit ihr lebt er, sie ist er gewohnt. Thomas Glavinic ermittelt, was ein Mann, der zwei Frauen liebt, jener wünscht, die er schon länger liebt und ist dabei durchwegs fatalistisch. Er geht von der Idee aus, dass Menschen, die einander lange lieben, das (unbewusste) Bedürfnis haben, einander zu verletzen und einander (unbewusst) nicht immer das Beste wünschen.
"Ich glaub, dass in Jonas viele dunkle Wünsche herrschen und diese dunklen Wünsche führen zu äußerst merkwürdigen Ergebnissen."

ein schwarz-weiß portrait des autors thomas glavinic

Thomas Pertramer

Jonas´ unbewusste Wünsche und Ängste nehmen sein Leben, also den Verlauf des Romans mehr und mehr in die Hand. Vor seinen Augen wird ein Tankwart erschossen, Wassermassen, bzw. die totale Dürre brechen über seine Umgebung herein. Jonas als Urheber dieses dunklen Szenarien wird von einem explosiven Gemisch aus Aggression und Angst getrieben. Dieses Gemisch steckt in jedem Menschen, der nicht weiß, wie und wen er lieben soll, der seinen durchschnittlichen Beruf durchschnittlich gut erträgt, dessen Grundwut sich nicht gegen das Establishment, sondern gegen sich selbst richtet. Oder, wie Thomas Glavinic es ausdrückt: "Viele Leute hören von einer Geiselnahme und wenn sie dann erfahren, es sind alle rausgekommen, denken sie, schade! Kurz denkt man sich, ein bisschen mehr Aufregung wäre interessant, 30 Tote, daran könnt man uns delektieren."

Thomas Glavinic - "Das Leben der Wünsche" ist im Carl Hanser Verlag, München 2009 erschienen.