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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

14. 8. 2009 - 17:32

Gewusel in den Gassen

Die c/o pop in Köln: Festival und Convention, Reden und Hören, ein großartiger Patrick Wolf und, logisch, viel Techno

Oh, nicht mal mehr die ganz Alten flüstern hinter vorgehaltener Hand noch irgendwas von der Popkomm. Vor sechs Jahren, in grauer Vorzeit, fand die große Musikmesse noch in Köln statt, um dann mit viel Gedöns nach Berlin abzuwandern, dort ein bisschen zu rumpeln und dann, dieses Jahr, einfach nicht mehr stattzufinden. Das mit dem Geld und der Musikindustrie geht sich ja bekanntlich alles nicht mehr ganz so einfach aus.

Die c/o pop, laut vollkommen akkurater Eigendefinition "Urbanes Festival für elektronische Musik, Indie, Pop- und Clubkultur", ist auch im sechsten Jahr ihres Bestehens nicht als Lückenfüller für die Popkomm zu verstehen, die ja - neben einem zugegebenermaßen immer auch interessanten Musikprogramm - nicht wenig mit Business Talk und wechselseitiger Bauchbepinselung der "Industrie" zu tun gehabt hat, die c/o pop ist ein Festival, das die ganze Stadt mitnimmt. Fünf Tage, 22 Locations, über die gesamte Stadt verteilt, grob geschätzt 200 Artists, zwei Abende in der Kölner Philharmonie und - nicht als bloßes Feigenblatt - zwei Tage Convention mit Vorträgen, Panels und Workshops zu Themen, die da beispielsweise heißen: "Branded Content", "TV & Music" oder "Vertriebe im digitalen Zeitalter".

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Köln, Offenbachplatz, c/o pop: Warten auf Patrick Wolf
schauspiel köln

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Exaltiertheit is Fun!

Nachdem am Mittwoch ein Konzert von Wonderboy Zach Condon und seinem Projekt Beirut laut vertrauenswürdigen Quellen zwar sehr schön, aber auch ein bisschen zahm und Modeselektor sehr voll (die Venue, nicht die Band) und sehr gut gewesen sein sollen, eröffnet den musikalischen Teil des zweiten Festivaltags ein Konzert von, nochmal Wunderknabe, Patrick Wolf. Das Areal am Kölner Offenbachplatz ist freundlich beschaulich und ebenso wie die Bühne von Anmutung und Dimension her in der Facon, wie man es von Stadtfesten gewohnt ist. "Stadtfest" wie in: Hinterobersdorf, Live: Hansi und die fidelen Schuasterbuam, DJ Jonny.

patrick wolf

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Patrick Wolf
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Wie man Fan wird: Selbst wenn man das Artifizielle und die Gemachtheit von Popmusik sehr zu schätzen weiß, mag einem möglicherweise das Überkandidelte und Hochinszenierte von Patrick Wolf mitunter zu dick auf die Cremeschnitte geschmiert daherkommen. Patrick Wolf, die alte Pfauenfeder, wischt mit einem Konzert, das - das kann man jetzt schon sagen - besser kaum sein könnte, alle Zweifel locker vom Schminktisch. Noch bei Tageslicht tänzelt er, unterstützt von einer kompletten Band, als funky Harlekin und, eh klar, Bowie in Personalunion in wallendem Blouson samt integriertem Buckel, sowieso kurzer Hose und karierten Socken auf die Bühne und ist vom ersten Moment an von hochelektrischem Sendungswillen durchzuckt. Er räkelt und windet sich, erklimmt die Boxen und schäkert mit dem Publikum: "C'mon! Join in!"

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patrick wolf

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Egal, ob an den Tasten, der Violine, der Gitarre oder bloß als ausladend gestikulierender, alle Posen durchlebender Entertainer, Patrick Wolf schlägt einen großartigen Bogen. Auf ganzer Länge hat bisher keines seiner vier Alben überzeugen können, verdichtet zu einem Konzertabend, wird man von der Masse an wirklich sehr guten Songs, die Patrick Wolf in seinem Leben schon geschrieben hat, durchaus ein bisschen erschlagen. Da gleitet er also mühelos von sachtem Folk über rumpelnde Elektronik hin zur gecroonten Pianoballade und zu echt "rockendem" Rock.

Fuck the Police!

Fliegende Kostümwechsel, eine fantastische integrierte Cover-Version von Björks "Hyper-Ballad", Lobbekundungen für sein ehemaliges Label Tomlab, und schmissig und humoristisch ins Publikum geschleuderte Lebensweisheiten, es ist eine ganz große Unterhaltung, die hier heute veranstaltet wird. Der Schwerpunkt des Programms liegt freilich auf Wolfs aktuellem, nicht ganz so guten Album "The Bachelor", die Ballade "Damaris" ist dabei ein Höhepunkt, der alte Hit "Tristan" ein Hit, und bei "Battle" klettert der junge Mann ins Publikum und verteilt Euphorie und Körperkontakt.

"I came all the fucking way fom London!" sagt Patrick Wolf. Es ist kurz vor zehn Uhr und, Open-Air-Konzert im Stadtgebiet, pünktlich muss Schluss sein. Das gefällt Wolf, den ganzen Abend schon von sichtlicher Spielfreude geritten, gar nicht: "Bring on the motherfucking police!""Accident & Emergency" ist als wahnsinniger, wahnsinnig guter Abschluss zeitmäßig noch drin, als ihm beim darauf folgenden "The Magic Position" nach nur wenigen Wimpernschlägen (einer Libelle) der Saft abgedreht wird, wird er ungehalten. Rockstarpose, Mikroständer Richtung Soundmann schmeißen, und auch in ebenjene Richtung spucken. Das kann man rebellenmäßig lustig finden, ein bisschen divenhaft oder als einen vielleicht nicht ganz so würdigen Abschluss für ein sonst über alle Maßen großartiges Konzert befinden. Wir haben bei all der Wonne völlig vergessen, dass wir nebenbei die sanfte Gitarre von Gott Bill Callahan, ganz anderswo in der Stadt, und die scharfkantige Rave-Elektronik von den hübschen Engländern These New Puritans versäumt haben.

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Suchbild: Blonder Herr im Publikum
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Ecstasy

Dance Like It's Ok

So wandern die Menschen dann aufgekratzt durch die Straßen und Gassen von Köln, pendeln von Club zu Club, in Köln ist fast alles "Walking Disctance", um dem großen Gott Bassdrum in diversen Ausformungen zu huldigen. Im Studio 672 widmet sich die Yore Label Night von Andy Vaz geschmeidig House der alten Schule, während im Roxy Matias Aguayo, den man sonst hauptsächlich aus dem Stall von Kompakt kennt, sein immer noch brandheißes, so ganz nebenbei wirklich sehr empfehlenswertes Label Cómeme feiert. Sehr voll ist es da, und - Achtung Szenealarm - am Tresen ist Kompakt-Impressario Wolfgang Voigt anzutreffen. Für Techno-Touristen eine Erscheinung!

Im Bogen 2 läuft unter der sachten Obhut von Großmeister, Tiptop-DJ und Ex-Spex-Schreiber Tobias Thomas die Partyreihe "Total Confusion". Nicht nur in Köln mythenumrankt und von Anekdoten und Erweckungerlebnissen begleitet, ist die "Total Confusion", vielleicht DIE Nacht, die jahrelang den heute längst schon zu Tode geredeten "Sound of Cologne" vordefiniert hat.
Heute erhält Thomas Unterstützung von der französischen Houseband doP, sehr unterhaltsam mit ferienclubanimateurmäßigem MC, und, straight outta Berlin, BPitch Controls own Ellen Allien, die ein knackiges Superset auf die Plattenspieler legt. Die Menschen tanzen, die Menschen schwitzen, das Bett ruft, drei Tage dichtes Programm werden folgen. Da kommt noch so EINIGES. Die Menschen sind glücklich, Music ist okay.

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Ellen Allien
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