Erstellt am: 19. 8. 2009 - 12:41 Uhr
Und es hat Voom gemacht
Johnny Depps Augen röten sich unaufhörlich, Hunde bellen. Das Klingeln eines Telefons und die Störgeräusche eines verstellten Radios wechseln sich ab. Dann tropft auch noch der Wasserhahn. Ich stehe vor einem verheulten Johnny Depp, der auf einem hochformatigen, gerahmten Bildschirm in der Neuen Galerie in Graz hängt. Es ist eines von neunzehn Videoporträts des amerikanischen Künstlers Robert Wilson und länger hinsehen wird schnell unerträglich.
Man kennt Depp, wie in "Ed Wood", er mimt eine alternde Diva, der nicht mehr bleibt als ihre Pose, die längst in die eigene Körpersprache übergegangen ist. Doch Robert Wilson geht durch Reduktion einen Schritt weiter: er baut das Setting der Bilder über Ton und Musik aus. Und er nimmt den Porträtierten ihr Blinzeln. Wie lange kann man die Augen offenhalten ohne zu blinzeln?
Es sind diese minimalen Bewegungen, die Wilsons scheinbare Standbilder zu reizvollen Objekten machen. Ob die Pupillen einer Schneeeule pulsieren, bevor ihr Köpfchen 360 Grad rotiert, Steve Buscemis Fuß zu wippen beginnt oder ein Stofftier plötzlich spricht - die Spannung wird durch Details erzeugt. Die eigene Wahrnehmung wird vorgeführt wie bei Wackelbildern in der Volksschule.
Seit 2004 gestaltet der Autor, Theatermacher und Kurator Robert Wilson Videoporträts in Zusammenarbeit mit VOOM HD Networks. Entstanden sind bisher sechzig Porträts von Personen aus unterschiedlichsten Bereichen, hauptsächlich bekannt aus Film, Funk und Theater, doch auch unbekannte Personen und nicht wenige Tiere setzt er in Szene.
Robert Wilson, 1941 in Waco, Texas geboren, begann als Theatermacher und widmete sich bald experimentellen Aufführungen und monumentalen Opern. Mit Philip Glass schuf er „Einstein on the Beach“, an der Berliner Schaubühne entsteht 1979 „Death, Destruction And Detroit“, Anfang der Neunziger präsentiert er „The Black Rider“ (Musik: Tom Waits, Buch: William S. Burroughs) und „Alice“. Auch "Parsifal“, "Die Zauberflöte“, "Madame Butterfly“ und "Lohengrin“ kleidet er in seine formale und visuelle Sprache.
Jeden Sommer lädt Wilson Studierende und Kunstschaffende in sein Watermill Centre, ein interdisziplinäres Laboratorium für Künste und Geisteswissenschaften.
Entgegen aller Unkenrufe
Ein Dutzend Hornfrösche beherrscht den schönen Spiegelsaal der Neuen Galerie. Die Schöpfung oder wer immer hat dem unglaublich hässlichen Lurch Neonfarben geschenkt. Es ist wie ein Take aus einem "Universum Spezial" zum 80er Jahre-Revival, zu Musik von Bach spiegeln sich die Lurche impressionistisch im Wasser. Nie bekomme ich auch nur zwei von ihnen gleichzeitig zu fassen. Wilson schickt die Besucher auf einen Trip, intensive Farben als Bildhintergrund und das Spiel mit der Gleichzeitigkeit erzielen ihre Wirkung.
Robert Wilson's Voom Portraits_Horned Frog 2006_Spiegelsaal Neue Galerie Graz_Foto N. Lackner_LMJ
Sie sind immer extrem aggressiv, weiß das Booklet zur Ausstellung über die südamerikanischen Froschlurche. Diese Frösche greifen alles an, was sie bedroht. Sie können schmerzhafte Bisse zufügen und beißen sich wie eine Bulldogge an ihrem Opfer fest. Dabei wird das Tier nur 20 cm groß. Im Spiegelsaal ist jeder Lurch mit einem 1-Meter-Flatscreen aufgeblasen.
Skurril, von überlebensgroßen Froschaugen umzingelt zu sein. Beängstigend jedoch ist der Sohn der Künstlerin Ingeborg Prinzessin zu Schleswig-Holstein. Vor einem roten Vorhang, der dem Bild eine unheimliche Tiefe gibt, steht der Bub in Anzug mit Krawatte auf einem Podest. Eine grellgrüne Wolfsmaske verdeckt sein Gesicht. Als er sie abnimmt, zeichnet sich ein Lächeln das einen verfolgten kann. Wie tief aus dem Bereich des Unbewussten oder Lynch'er Welten dringt etwas an die Oberfläche. Obwohl man genau ahnt, wie Wilson dem kleinen Alexis Broschek die Anweisungen zum Hochziehen der Mundwinkel gab, ist das Spiel mit Zeit und Raum gekonnt.
Robert Wilson_Alexis Broschek_2005_Commissioned and produced by VOOM HD

Robert Wilson_Steve Buscemi_2004_Commissioned and produced by VOOM HD.jpg
Seine ihm zu Modell Sitzenden bringt Robert Wilson mit einer konstruierten Geschichte in Verbindung, deren Handlung sich über Musik und gesprochenen Text erschließen lässt. Das Porträt wird um imaginäre Bilder erweitert. Lou Reed, Tom Waits, Mogwai und RJD2 sind in Voom Porträts zu hören. Leider verschwimmt der Sound in einigen Räumen. Und die hochauflösenden Schirme sind bei näherer Betrachtung erstaunlich pixelig.
Wo beginnt der Loop und wo hört er auf
Robert Downey Jr. kann das nichts anhaben. Der Schauspieler ist die Krönung der von Peter Weibel kuratierten Ausstellung. Den Raum teilt sich Downey Jr. fürstlich mit einem Video-Scherenschnitt von Caroline von Monaco und einer Drag Queen in Feldherrenpose, die ihre Hand und einen Schokokeks hinter dem Rücken versteckt. Und ab und an heimlich nascht. Stehen bleiben die Besucher aber vor dem Downey. Der liegt als lebendiger Leichnam, mit einem Leintuch um die Lenden geschlungen, auf dem Anatomietisch.
Betrachtende legen die Köpfe schief. Blicken auf die sezierte Hand Downeys. Die Sehnen und die Venen offen. Die Hand- und Arminnenseite bis in die Fingerspitzen freigelegt. Der Rest des Körpers ist noch unversehrt. Wilson hat Rembrandts Gemälde "Anatomie des Nicolaes Tulp" von 1632 mit dem Hollywood-Star nachgestellt. Ist die Hand dazu montiert? Da! Haben sich nicht gerade die Finger bewegt? Ist das ein übergezogener Handschuh? Eindeutig, die Sezierschere wandert ein Stück. Doch es gibt keine einzigen aktiven Handlungen, Wilson stellt das Original vor der Kamera nach. In Rembrandts Gemälde ist der Arzt zu sehen. Hier konzentriert sich der Bildausschnitt auf den Leichnam. Von der sezierten Hand hüpft mein Blick zu Downeys Augen, die sich allmählich schließen. Schläft er ein? Schwer hebt und senkt sich der Brustkorb. Downey Jr. reißt die Augen auf.
Der Videoloop beginnt von Neuem, ohne dass ein Schnitt offensichtlich wäre.
Die Leiche in Rembrandts Gruppenporträt, das dem niederländischen Maler zum Durchbruch als Porträtmaler verhalf, hat freilich kein Tattoo. Das von Downey ist nämlich seltsam. Aber der Downey ist nun mal seltsam, unterbricht ein Freund die Überlegung. Stimmt nicht ganz: "Indio" ist der Name seines Sohnes.

Robert Wilson_Robert Downey Jr._2004_Commissioned and produced by VOOM HD.jpg
Apples, Peaches, Pumpkin Pie
Brad Pitt ließ der Inszenierungsprofi im Regen stehen. Genau genommen: hinter einer Kamera, vor der es regnet. Zum Plätschern spricht Christopher Knowles die Lyrics zu "Apple Peaches Pumpkin Pie", einem 1967er One-Hit-Wonder, wie einen Kinderreim zum Gummihupfen. I sneak up behind you, be careful where I find you
In seiner rechten Hand hält Pitt eine Pistole, die er mit unsäglicher Langsamkeit auf mich richtet. Pitt hat aber gegen Dita von Teese schweres Spiel. Schielt man nach links, sitzt von Teese am Bildschirm des nächsten Ausstellungsraums auf einer Schaukel und tut, was sie nun mal tut: schön nackt sein bis auf rosa Höschen, Strümpfe und glitzernde Nipple Covers. Ihre Füße stecken in Highest Heels.
Am 28. August wird Peter Weibel durch Robert Wilsons VOOM Portraits führen (18 Uhr, Neue Galerie, Sackstraße 16, Graz). Die Ausstellung läuft bis 6. September.
Da, wo Robert Wilson die porträtierten Personen nicht in ein Umfeld setzt, das ihnen fremd ist, verliert seine Herangehensweise ihren Glanz. Da kommt die Choreografie von Sofia Boutella zu RJ2Ds The Horror nicht über einen simplen Videoclip hinaus. Das Spannendste an Dita van Teeses Abbildung in HD ist ihr Augenaufschlag, als ein Militärflugzeug im Himmel über ihr durch die Audioboxen vorbeizischt. Während Pitt die Wasserpistole abdrückt. Immer kann's nicht Voom machen.