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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 8. 2009 - 21:13

Journal '09: 13.8.

Ich bin ein Ausländer. Erster Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs. Heutiges Unterthema: LA-WM samt Doping.

Erster Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: LA-WM samt Doping.

Zweiter Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs; Gentrifizierung und Lokal-Patriotismus.

Der dritte Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: Die, die sich niemals an den Westen verkaufen werden: eisern Union.

Der vierte Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: A lightning that might strike. Bolt.

Der fünfte Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: Simulations-Parteien im Wahlkampf.

Der sechste Eintrag eines kleinen Berlin-Tagebuchs: Das Hemd an sich.

Nachtrag: Kümmernd und zweisprachig.

Es gibt viele Vorteile des sogenannten Urlaubs, auch wenn mir nicht viele davon geläufig sind und ich selber nur die wenigsten als solche empfinde.

Der allergrößte dieser Vorteile ist die unabwendbare Tatsache, dass man endlich einmal Ausländer ist.
Das lässt sich auch daran ermessen, wie hart und schwer die meisten Touristen versuchen diese Wahrheit wegzudrücken, indem sie sich in Clubs, in Resorts oder in anderen extra für sie geschaffenen Konstrukten (die sie als Oasen empfinden) zusammenducken um dort weiterhin ihre Rolle als Mehrheitsgesellschafter druchzuziehen.

Dieses in sich durch und durch lächerliche Verhalten erschafft einen künstlichen Raum, eine Gurkensalat-Tupperware-Verlängerung der Heimat und macht damit den größten der Vorteile die das örtliche Fremdgehen hat, postwendend zunichte.

Ich bin seit heute früh Ausländer, seit der Ankündung der Flugbegleiterin, dass es einen Snack gibt, der "Mahner-Waffeln" heißen würde, weiß ich es mit Sicherheit.
Und es ist durchaus gut so.

Provinziell auf andere Art

Hier im Ausland spricht man zwar dieselbe Sprache, könnte also verstehen, wovon die Rede wäre, aber keine Sau interessiert sich für perverse Justiz-Abwägungen, krause Kampusch-Kapriolen, Kremser Kalamitäten oder gar für einen Klagenfurter Kick. Österreich existiert nicht, oder in etwa so, wie in Österreich, sagen wir die Schweiz oder Slowakei existiert.

Dafür ist man, um beim Beispiel Berlin zu bleiben, und nur über dieses Beispiel kann ich derzeit an die Sache herangehen, auf andere Art provinziell.

So ergehen sich die gesamten Berliner Medien, egal ob das rbb-Radio/TV oder die kurios funkelnde lokale Zeitungslandschaft samt der matten Stadtzeitungen Tip und Zitty (deren jahrelange und strukturell bedingte Ärmlichkeit den Falter nur noch heller glänzen lässt), in jauchziger Vorab-Freude/Promo zu einem Ereignis, das wiederum etwa in Österreich nur bedingt wahrgenommen werden wird: die Weltmeisterschaften der Leichtatlethik.

Nicht, dass die medial nicht vorkommen werden, wenn es ab Samstag losgeht und Rekorde oder Stars purzeln oder gebrochen werden - aber ob dieses Ereignis in Berlin oder sonstwo stattfindet, wird dem geneigten Durchschnittskonsumenten eher nur ein geheucheltes "Echt? Na sowas!" entlocken.

Leichtathletische Aufgeregtheiten

Hier aber ist der Teufel los: Man überschlägt sich in Meldungen aller Art, bricht die Themen aufs Chronikalst-Mögliche runter und überschwemmt die Einwohner mit Wasserstandsmeldungen aller Art.

Auch wenn das für den Außenstehenden ein wenig putzig aussehen mag - letztlich ist die Art ein Großereignis (und in einem ungeraden Jahr ohne Olympia und Fußball-WM/EM ist die LA-WM das größte Sport-Event des Jahres, was Umsatz und Zuschauer betrifft) direkt bei den Menschen zu verankern, schon vorbildlich.
So hätte ich mir etwa vorgestellt, dass es bei der Euro 08 laufen wird - weltoffen, gewitzt, sich auf den Ansturm sinnhaft einstellend anstatt angsterfüllt, hyperprovinziell und kroneleserbriefmäßig xenophob und vorgartenumzäunend.

War halt nicht. Wiewohl er gehen würde, wie ich grade erlebe.

Im übrigen ist die LA-WM das einzige Feld, in dem Österreich überhaupt vorkommt, medial und aufmerksamkeitsmäßig.
Nicht weil tolle Athleten teilnehmen würden: Die Handvoll Antreter sind (wenn man sich ihre Jahresbestleistungen anschaut) von einer seriösen Chance jemals in ein Vorschlussrennen und somit in ein Fernsehbild zu kommen so weit entfernt wie ein Sparkassendirektor von einem Staatsmann.

Die Seppelt-Doku

Sondern weil einer in einer rechtzeitig vor der WM gestern um Mitternacht in der ARD ausgestrahlten Doping-Doku (die vom besten Kenner dieser Untiefen, Hajo Seppelt gestaltet wurde) vorkam und ein zweiter beschuldigt wurde.

Der erste ist Stefan Matschiner, Bernie Kohl-Manager, Langzeit-Leugner und jetzt Auspacker, der in dieser Doku die Flucht nach vorne antrat und erzählte, wie er mit Unterstützung von bestochenen Doping-Labor-Testern die Werte seiner Athleten checken ließ um so bestmögliche Schlupflöcher zu finden.

Dabei sprach Matschiner auch von einem deutschen Top-Läufer, den er derart betreut hatte. Das macht die Kollegen hier fertig: Bislang tat man sich in bundesdeutschen Sportsendungen hervor, die eigenen Sportler als brave Ausnahmen in einer bösen Welt (die prima durch verständliche, aber doch seltsam ausländisch agierende Österreicher repräsentiert wurde) darzustellen.
Und jetzt das.

Matschiner, Heredia, Wagner...

Deshalb ist auch der viel konkretere Anwurf eines zweiten Doping-Auspackers, des Mexikaners Angel Heredia, hier wie dort noch stärker präsent: Der erwähnte nämlich den wichtigen heimischen Sportmanager Robert Wagner als treuen Kunden seiner Doping-Geschäftspraktiken.
Wagner ist ein internationaler Player, hierzulande bekannt für seine Kunden Steffi Graf, Theresia Kiesl oder Elmar Lichtenegger, aber auch der Graf-Konkurrentinnen Jolanda Ceplak oder Kelly Holmes.

Alle sind ein- oder mehrmals erwischt worden - Steffi Graf nie. Bei ihr gab es bloße Verdachtsmomente.
Robert Wagner gibt an, Heredia nicht zu kennen, was von den deutschen Medien spöttisch kommentiert wird.

Die Nachforschungen, wer dievon Matschiner angesprochene deutsche LA-Hoffnung eigentlich ist, stehen da hintenan: Die WM selber wird rechtzeitig dazwischenkommen.
Und da gibt es genug andere absurde Doping-Umfeld-Meldungen. Etwa das Geständnis des internationalen Verbands, dass es im Jahr 2009 in ganz Afrika keine einzige Doping-Kontrolle gegeben hatte. Oder das Hin und Her um die Sperre von seche jamaikanischen Sprinter/innen (incl. Asafa Powell), die aufgrund eines gespritzten Trainingslagers, bei dem Kontrollen sicher waren, erfolgten, von internationalen Verband aber aufgehoben wurden, weil man die Stars sehen will - wurscht wie verdächtig die gerade sind.

Die von der WM kurz untergetauchte Doping-Seuche

Man hofft also auch hier, dass der Sport die Doping-Seuche überlagern wird. Die von bösen Ösen mitgestaltet wird.
Nicht dass das irgendwen auf der Straße hier berühren würde: Noch hat uns keiner "Dopingsünder!" nachgerufen, wenn er unseren Akzent erkannt hat.

PS: wer Tipp- und Übertragungsfehler findet, darf sie behalten. Ist mein Urlaubsgeschenk!

Aber es ist schon gut und richtig, sich einmal in einer Situation wiederzufinden, wo es völlig wurscht ist, was der "Ausländer" wirklich tut oder denkt, weil es nur um pure Instrumentalisierung geht. So gesehen sollte jeder, vor allem der das gern benutzende Populist und angrenzende "Volkes Stimmen"-Töner und anderen Bewahrer, den richtigen Urlaub als richtiger Ausländer auf sich nehmen, verpflichtend.