Erstellt am: 13. 8. 2009 - 14:10 Uhr
Die Schönheit des Moments
Ich wollte an dieser Stelle ja schon lange einmal eine Polemik gegen den Begriff der Zeitlosigkeit verfassen. Weil es wenige Vokabeln in Zusammenhang mit Pop gibt, die mir mehr das Gesicht einschlafen lassen.
Jetzt kommen mir aber Simian Mobile Disco mit dem Titel ihres neuen Albums zuvor. "Temporary Pleasure" heißt diese Sammlung von, wie die Band betont, ganz bewussten Momentaufnahmen und akustischen Schnappschüssen. Ein eindeutiges Bekenntnis zur oft kritisierten Rasanz des Pop, zu einer Vergänglichkeit, die besonders im Bereich der Dancemusik vielen altmodischen Kritikern aufstößt.
James Ford und Jas Shaw wollen diese Kurzlebigkeit positiv besetzen. Es geht ihnen um den Rausch des Hier und Jetzt, um den einen euphorischen Augenblick auf der Tanzfläche, in dem sich alle Emotionen verdichten. "Give up yourself unto the moment, the time is now", brachten Moloko dieses Gefühl mal auf den Punkt. Gestern ist Geschichte, das Morgen kann warten.
Simian Mobile Disco
Dabei sind Simian Mobile Disco alles andere als stumpfe Hedonisten, die mit lustigen Zuckerl vollgepumpt auf der endlosen Loveparade entlangtuckern. Ganz im Gegenteil. James Ford und Jas Shaw gehörten bekanntlich zur großartigen, feinsinnigen und sträflich unterschätzten Londoner Artpop-Combo Simian, bevor sich diese Band um 2005 herum auflöste.
Ford und Shaw machen damals ihr gemeinsames DJ-Hobby zur erfolgreichen Hauptbeschäftigung. Dank Tanzbodenkrachern wie "Hustler" oder "It's The Beat" und dem gefeierten Debüt "Attack Decay Sustain Release" (2007) gehören Simian Mobile Disco bald zu den zentralen Protagonisten der anhaltenden Electrowelle.
Auf "Temporary Pleasure", unserem FM4 Album der Woche, machen sich die Popwurzeln der beiden Herren nun wieder gehörig bemerkbar. Und wohl auch die Connections von Über-Drüber-Produzent James Ford, dem Mann, der bei den Arctic Monkeys oder den Klaxons das Mischpult bedient.
Mit Gästen wie Gossip-Stimme Beth Ditto, Electro-Soulcrooner Jamie Lidell oder Hot-Chip-Frontmann Alexis Taylor wagen sich Simian Mobile Disco weiter ins Territorium des Songwritings vor. Ihre Bezüge zur Neo-Raveszene und neuerdings auch zur Minimalecke leugnen Ford und Shaw dabei aber nicht. Die wenigen instrumentalen Stücke auf "Temporary Pleasure" entpuppen sich sogar als echte Highlights, die Auswege sowohl aus der Bratz-Bratz-Sackgasse als auch aus der reduzierten Fadesse zeigen.
Und ich übergebe jetzt an meine Kolleginnen Sophie Weyringer und Susi Ondrušová, die mit James Ford und Jas Shaw ein nettes Gespräch führten....
Simian Mobile Disco
Was ist die Idee hinter eurem Albumtitel "Temporary Pleasure"?
Dancemusic verändert sich rasend schnell. Und wir stehen dazu, wir wollen eine Momentaufnahme liefern, zeigen, wo wir hier und jetzt stehen. Der Titel soll diese blitzschnelle Vergänglichkeit positiv besetzen. Wenn man unbedingt und krampfhaft versucht, etwas Klassisches zu schaffen, kann es sehr konservativ werden. Wir dagegen denken jetzt schon über neue Richtungswechsel nach.
Wie seid ihr eigentlich zu den vielen Leuten gekommen, die das Album mit ihrem Gesang veredeln?
Die Liste unser Gäste ergab sich aus unseren Bekanntschaften. Leute, die wir auf Festivals kennengelernt hatten oder Freunde von Freunden, Leute, wo es bereits Kontakte gab oder zumindest vage Bekanntschaften. Es war letztlich aber alles überraschend leicht. Und unsere Tracks diktierten sozusagen auch bestimmte Gäste, wir hatten da manchmal schon gewisse Personen im Ohr und haben sie denen dann auch geschickt. Es kamen wirklich gute Vocals zurück, was uns sehr freute.
Wann kamen die Gäste dazu?
Wir hatten eine Phase letztes Jahr, die etwa sechs Monate dauerte, wo wir eine Menge Instrumentals herumliegen hatten. Und dann haben wir die Tracks zu verschicken begonnen und später auch Sänger ins Studio geladen. Heuer im Frühjahr haben wir dann in drei Wochen das alles zusammengemixt.
Funktionierten bestimmte Zusammenarbeiten überhaupt nicht?
Ja, einiges, aber so unprofessionell sind wir nicht, dass wir jetzt Namen nennen! Aber im Großen und Ganzen waren es positive Überraschungen. Manchmal kamen wirklich ganz überraschende Dinge daher, wie zum Beispiel der Beitrag von Chris von Yeasayer. Der hat uns was geschickt, womit wir bei ihm gar nicht gerechnet haben. Aber es ist total genial geworden.
Wie erging es euch mit Beth Ditto von Gossip?
Das war eine ausgesprochen nette Erfahrung. Wir haben sie vorher schon auf Festivals getroffen.Wir haben ihr dann eine Nummer geschickt, und sie kam schon voller Ideen ins Studio. Wir wollten allerdings, dass sie gar nicht Gossip-typisch singt, wir wollten eine andere Seite von ihr zeigen. Letztlich war es großartig, es macht einfach einen Riesenspaß, mit ihr im Studio zu sein.
Simian Mobile Disco
Und wie habt ihr die Arbeit mit Gruff Rhys empfunden?
Er ist ein absoluter Kindheitsheld von uns, weil wir die Super Furry Animals so lieben. Es war wunderbar, ihn im Studio zu haben. Einer der Leute von unserem Label hat uns mit ihm connected. Gruff hat bei der Nummer sofort einen Bezug zu Todd Rundgren gehört, was toll war, weil wir den auch verehren. Die ganze Sache mit Gruff war so, wie wenn du einen deiner Helden triffst.
Alexis Taylor von Hot Chip singt ja auch für euch, der ist ja ein absoluter R'n'B-Fan, ihr eigentlich auch?
Einiges gefällt uns. Es gab eine Periode vor einigen Jahren, da war amerikanischer R'n'B das futuristischste Popgenre überhaupt. Das ist leider vorbei. Aber es gibt immer wieder mal Tracks aus der Richtung, die einen überraschen, und es ist interessant, das Genre zu verfolgen.
Und dann ist da noch Jamie Lidell...
Wir waren immer schon große Fans von Jamie Lidell, vor allem von seiner Band Super_Collider, die sehr elektronisch war. Auch seine Soloshows gingen früher in diese Richtung, er probierte wilde Dinge mit seiner Stimme aus, wir liebten das. Es war ein großes Vergnügen mit ihm im Studio. Er wurde seinem Ruf gerecht, und wir mussten seine Stimme mit allen möglichen Effekten manipulieren.
Was ist euer Fazit dieser Kollaborationen?
Die Arbeit mit allerhand verschiedenen Menschen, ob auf unserem eigenem Album oder bei der Produktion von Bands, das bringt dich weit voran. Denn jeder hat einen eigenen Zugang zur Musik. Die Möglichkeit, alle diese Zugänge kennen zu lernen, erweitert ungemein deinen Horizont und ist sehr inspirierend. Du kannst auch viele Tricks und Techniken übernehmen.
Freut ihr euch schon darauf, die neuen Nummern live umzusetzen?
Wir haben tatsächlich viele der neuen Nummern schon auf der Bühne ausprobiert. Und sie haben super funktioniert. Wir haben aber Pläne für eine aufwändigere und ausgefallene Liveshow. So viel ausgefallenes Licht wie möglich ist unsere Devise. Unsere Lichtcrew gibt jeden Cent für Möglichkeiten aus, die Leute blind zu machen.
Simian Mobile Disco
Fühlt ihr euch mehr als Band oder als DJs und Produzenten?
Es fühlt sich noch immer nicht wie eine Fulltime-Band an. Sondern eher wie ein Spaßprojekt. Vielleicht, weil wir beide so viele andere Produktionen betreuen. Wenn es uns keinen Spaß machen würde, hätten wir längst aufgegeben.
Wie seht ihr die aktuelle Situation mit den Blogs und all den Problemen der Musikindustrie?
Es ist eine spannende Zeit gerade. Das Internet hat viele gute Dinge ausgelöst, viele Menschen mit ungewöhnlicher Musik konfrontiert und auch neue Bands bekannt gemacht. Auf der anderen Seite verkauft man kaum mehr Platten. Das Interessante ist: Die meisten Musiker, die ich kenne, wollen ja gar nicht reich werden, sondern einfach ihre Rechnungen bezahlen. Es muss doch einen Weg geben, dass das wenigstens möglich ist.
Früher gab es so viele Gitarrenbands, heute kann man eine gewisse Electro-Inflation nicht leugnen...
Die Technologie macht sicher vieles möglich. Jeder mit einem Laptop und gecrackter Software kann Musik machen. Das ist erstmal positiv, weil demokratisch. Aber natürlich gibt es dadurch Unmengen von schlechter Musik. Das ist grundsätzlich kein Problem. Die Leute müssen sich nur durch mehr Musik hören, um den guten Stoff zu finden. Aber die tolle Idee zählt weiterhin als einziges. Diese Ideen müssen nur härter kämpfen, um gehört zu werden.