Erstellt am: 10. 8. 2009 - 17:50 Uhr
Journal '09: 10.8.
Das Ausländer-Rein-Journal, Teil 1.
An dieser Stelle auch der Verweis auf die Drastik der Ausgangssituation im Jahr, in dem Österreich kippt.
Ich habe letzten Freitag, eigentlich nur aus gefühligem, semiaktuellem Anlass (es war ein kurzer Hatscher durch Wien-Favoriten) etwas besprochen, was etwa auch schon am Nationalfeiertag 2005 (und in Folge immer wieder in diversen Journalen) Thema war: die Dringlich- und Notwendigkeit einer ganz bewussten "Ausländer Rein"-Aktion, die den dumpfen miefigen geistigen/kulturellen Grundtenor des Landes durchlüften könnte.
Das klappt nur dann, wenn man nicht den bisherigen Fehler macht, nur genau die anzulocken, die selber bereits verösterreichert sind und bereit sind, sich im wohl-xenophoben Mittelmaß-Sumpf, den das kulturelle Klima hierzulande bereithält, einzuordnen.
Im Übrigen habe ich Heldenplatz, das 88 geschriebene und heute noch genauso aktuelle Bernhard-Stück, erst danach (auf Zuruf, aber aus anderen Gründen) wieder gelesen. Sonst hätte ich sicher den einen oder anderen Satz als Würze verwendet.
Die notwendige Verbürgerlichung
Mein Freund Fred schickt mir noch am selben Tag eine schnelle Mail und bezieht sich auf ein Gespräch von vor sechs, sieben, acht Wochen, als wir - anderer Zusammenhang, ähnliches Grundthema - versucht haben lösungsorientiert nachzudenken.
Und er schreibt:
"Ich darf im Zusammenhang deiner aktuellen Geschichte wieder auf die Notwendigkeit der Verbürgerlichung zurückkommen, die wir unlängst besprochen hatten. Oder zumindest die Möglichkeit der Verbürgerlichung von Menschen aus dem Ausland.
Denn nur, wenn diese gegeben ist, können sich auch Eliten bilden, die selbst - oder in weiterer Folge deren Kinder - 'was auf die Beine stellen'.
Nur Künstler und Intellektuelle ins Land zu holen bringt nichts, denn die werden zur Zeit höchstens von einer Gartenparty zur nächsten weitergereicht.
Die Parteien und ihre durchweg xenophobe Politik unterbinden derzeit sowohl Möglichkeit für alle, die könnten oder zumindest wollten. Selbst die Grünen drücken sich um dieses Thema aus Wahlkampfzwecken maximal herum, leisten aber nichts Aktives."
Diese Gewährleistung der potentiellen Verbürgerlichung, die Durchlässigkeit der Karriere- und Aufstiegsleitern sind als Lippenbekenntnis allgegenwärtig. In der Praxis funktioniert da aber nichts. Wir haben, das fiel mir dann wieder ein, an dem bewussten Abend durchbesprochen, wieviele Menschen der 2. Generation es gibt, die wichtig oder mächtig oder zumindest definitionsmächtig sind. Alle, die uns eingefallen sind, waren dann doch Deutsche oder ein paar junge Selbstständige, die wir kurz davor in einer Kreuz & Quer-Doku von Thomas Grusch gesehen hatten.
Anfänge, nicht mehr.
Unlängst musste ich wieder dran denken, als ich anlässlich der ersten deutschen Cuprunde einen türkischstämmigen Coach einer Drittliga-Mannschaft gesehen habe - sowas ist hierzulande nicht denkbar. Ich kenne einen, der kurz einmal einen Wiener-Liga-Verein trainieren durfte; jetzt muss er sich wieder als Hausarbeiter, pardon, im Facility-Management verdingen.
Raus aus der Zwischenwelt
Vorbilder, Orientierungsfiguren sind an einer Hand abzuzählen.
"Verbürgerlichung", das klingt für kecke "bin gegen alles!"-Rebellen vielleicht furchtbar, aber es meint nichts anderes als den aktiven Versuch, Zuwanderer nicht automatisch ins Prekäre, ins Subproletariat abzuschieben, also in Bereiche, in denen schon einmal auf Ansage kein bewusster Beitrag zur Weiterentwicklung einer Gesellschaft, einer Kultur geleistet werden kann, weil ihre Mitglieder sich damit abstrudeln müssen, die primitivsten Basics zu erarbeiten, oder mit einem für die Unterschicht vorgefertigtem Angebot der billigen Unterhaltungselektronik abgespeist werden, eine Alternative entgegenzusetzen.
Denn das, was ist, ist zuwenig.
Und die immer neuen Generationen an Migranten und deren hier geborenen Kids, die weder die Sprache, noch die Insignien der Herrschaftskultur beherrschen, werden auch weiterhin keine Chance haben.
Der einzige Weg ist der der Bildung, einer gezielten und ums vielfache verbesserten Ausbildung der Kinder, was Sprachen und Fähigkeiten betrifft.
Mit Zwischenweltlern, die weder gut Türkisch oder Serbokroatisch oder Sonstwas noch g'scheit Deutsch können, ist weiter nur als Hilfsarbeitern oder gezielten Sündenböcken der Populisten und des Boulevards Staat zu machen.
Der gemeinsame soziale Stand
In diesem Zusammenhang möchte ich das wiederholen, was sich 2009 gefühlig bereits durchgesetzt hat, aber durch die stete (und stets falsche) Wiederholung alter Denkmuster, die politische Parteien an der Macht halten, noch nicht wirklich angekommen ist, im Mainstream: "nicht die ethnische Zugehörigkeit eint diese Menschen, sondern der soziale Stand, die altmodische Klasse."
Das meint nicht die Klasse im marxistischen Sinn - das hat sich überlebt. Es spricht die durch die moderne Massenkommunikation längst verflochtenen querbratenden Strukturen an, die der Nationalstaatlichkeit längst das Wasser abgegraben haben.
Es gibt keine ernsthaften Gemeinsamkeiten zwischen der österreichischen Upperclass (1) und dem österreichischen Subproletariat (2), egal ob gebürtiger In- oder Ausländer. Obwohl genau das die Populistenführer (1) ihrem Wahlvolk (2) erschreckenderweise immer noch einreden können.
In Wahrheit klaffen Ansprüche und Anliegen weiter auseinander denn je.
Die wirklichen Koalitionen finden längst zwischen den Schichten, den Ständen der einzelnen Nationalstaaten statt.
Deswegen haben die Blut&Boden-Ideologen ja auch solche Angst vor dem Bösen aus Brüssel - weil jedes europäisch ausgerichtete Denken ihnen Stimmvieh abringt.
Die zivilisatorische Grenze
Der multinationale Schriftsteller Ilija Trojanow bringt das am Beginn dieses Youtube-Interview-Clips (danke an Hans Kirchmeyr von Bassena.org dafür!) recht gut auf den Punkt: die zivilisatorische Grenze spielt sich innerhalb der Kulturen ab. Nationalstaatlichkeit spielt keine seriöse Rolle mehr.
Trojanow geht vom eh schon längst als Unsinn erkannten Kampf der Kulturen aus, und erzählt dann vieles anderes, was mit dem heutigen Journal-Thema nix zu tun hat, aber ungemein interessant ist.
Entlang dieser zivilisatorischen Grenze gilt es sich zu bewegen. Klar werden klassische Gemeinsamkeiten wie die Ausbildung der Sprache, das Wissen um die Anfangszeit des Kasperl und die Kenntnis diverser reagionaler und nationaler Codes weiter ihre Bedeutung und ihren Platz haben.
Die Bildung und Ausbildung der nächsten Generation Österreicher, einer, die die drückende Xenophobie, die schleichende Demokratie-Verachtung und den Untertanengeist des heutigen Österreichs überwunden haben
werden muss (denn sonst hat dieses Land keine Zukunft) jedoch wird andere Prioritäten setzen, und Querverbindungen zu jenen neuen Definitionsmächtigen weltweit einziehen, von denen wir heute nicht einmal zu träumen wagen.
Das allein ist schon ein Grund, warum eine solche Entwicklung der aktiven Hereinholung und Verbürgerlichung aller Einwanderungswilligen diesseits dieser zivilisatorischen Grenze sich als diffuses Feindbild eines populistischen Polit&Media-Geflechts, dem damit alle Felle wegschwimmen würden, festsetzen wird. Leicht wird es also nicht.
Aber: sieht irgendjemand eine andere Möglichkeit?