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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

10. 8. 2009 - 16:05

Death Valley 69

Noch vor Woodstock endete der Hippietraum auf blutige Weise. Mit den Morden der Manson-Family hatten die subkulturellen Utopien ihre Unschuld verloren.

Es passierte vor fast genau vierzig Jahren, knapp vor der kollektiven Ekstase im Schlamm, vor dem kurzen utopischen Moment des Woodstock-Festivals. Ein Mordfall erschütterte die amerikanische Nation, der im Nachhinein die friedlichen Träume der Sixties abrupt beendete.

In der Nacht vom 8. auf den 9. August 1969 wurde Sharon Tate, die Frau des Regisseurs Roman Polanski, gemeinsam mit einer Gruppe von Freunden in ihrer Villa in Los Angeles getötet. Das Haus über den Hügeln von Hollywood glich einem Schlachtfeld. Dreißig Minuten dauerte das Gemetzel, alle 20 Sekunden erfolgte ein Messerstich. Sharon Tate war hochschwanger gewesen.

Eine Gruppe verwahrloster jugendlicher Außenseiter zeichnete für das Blutbad verantwortlich. Tex Watson, Susan Atkins, Leslie Van Houten und Patricia Krenwinkel, alle zwischen 20 und 21 Jahren. Vor Gericht gaben sie an, blind und willenlos einem Mordbefehl gefolgt zu sein. Der Auftraggeber: ein charismatischer Ex-Häftling, von dem die desorientierten Kids als guruhafte Vaterfigur schwärmten - Charles Manson.

Einen Tag nach den Tate-Morden fuhr erneut ein jugendlicher Killertrupp los. Die Opfer: das Ehepaar LaBianca, die Besitzer einer Supermarktkette. In Leno LaBiancas Kehle steckte ein Messer, in seinem Unterleib eine Gabel und in seine Bauchdecke hatten die Mörder das Wort "War" geschnitten. An Türen und Wände schmierte man, wie am Vortag, mit Blut Sprüche wie "Tod den Schweinen!"

Monate später führte eine Kette von Hinweisen zu den Tätern. Charles Manson lebte mit seiner Anhängerschaft aus jugendlichen Ausreißern auf der desolaten Spahn Movie-Ranch, in den Bergen von L.A. und im sonnenverbrannten Death Valley. Was nach außen hin wie eine typische Hippie-Kommune wirkte, entpuppte sich als gruppendynamisches Pandemonium.

Zeugen berichteten von Macht und Unterwürfigkeitsspielen, jeder Menge "befreitem" Sex und gewalttätigen Eskapaden. Naive Sixties-Ideale vermengten sich mit Rassismus, übermäßiger Drogenkonsum und esoterischer Schnickschnack waren angesagt. Irgendwann, so diverse Quellen, kippte die Stimmung von Manson & Co. in einen paranoiden Abgrund.

Zwei Jahre davor war die Welt noch heil gewesen. "In ganz Amerika verbreitete sich die Botschaft, um der Liebe und der Blumen willen nach San Francisco zu kommen", schreibt der Rockmusiker und Gegenkulturchronist Ed Sanders. "Überall in den USA, in Hunderten von Städten, kam es in diesem Frühjahr und Sommer 1967 zu Love-Ins, Be-Ins, Share-Ins."

1969 zerplatzte die psychedelische Seifenblase. Man erwachte aus dem Traum von der friedlichen Lösung aller Probleme mit einem schrecklichen Hangover.

Nocheinmal Ed Sanders: "Biker versuchten mit brutalen, sadistischen Methoden den LSD-Markt zu übernehmen. Teufelsanbeter und satanisch-brutale Todesfreaks überschwemmten die überfüllten Pennlager. Rassenunruhen kamen auf. Scheiße wurde als Heilsbotschaft verkauft. Die Szene war kaputt. Haight Ashbury zog gemeine Verbrecher an, die sich langes Haar wachsen ließen."

Ein perfektes Szenario für Charles Manson, der den Großteil seines Lebens hinter Gittern verbracht hatte und 1967, mit 33 Jahren, in die Hippielandschaft platzte. Sein in langen Zuchthausjahren aufgestauter Hass vermengte sich mit den nonkonformen Botschaften der Kids zu einer explosiven Mischung.

Manson im März 2009

EPA / California Department of Correct

Manson im März 2009

Der Ex-Zuhälter und Kleinganove Manson wurde zum Lieblingsfreak der Beautiful People. In Hollywood, wo gerade Sexorgien, schwarzmagische Messen und bunte Pillen hip waren, goutierte man Charlie als gerngesehenen Partygast. Auch im Haus Cielo Drivo Nr. 10005, der Villa von Polanski und Tate.

Ed Sanders: "Von Mitte 1968 an behauptete Manson, er sei Christus und der Satan, oder Christus und der Teufel in einer Person. Es wurde bereits gesagt, dass Mansons Anhänger sich mit den Frühchristen verglichen - oder dem, was sie für die Frühchristen hielten: sexuelle Gemeinschaft und ein Leben außerhalb der Gesellschaft. Manson verkörperte in seiner Final Church von was auch immer die Christus-Satan Gestalt."

Der Horrormythos der Manson-Family hallt bis heute nach, in unzähligen Filmen, Büchern und vor allem musikalischen Bezügen, von den Beatles und Beach Boys über Guns'N'Roses bis Nine Inch Nails.

Leslie Van Houten, das jüngste Mitglied der Manson-Family

EPA

Leslie Van Houten bei einer Anhörung vor Gericht im Juni 2002.

Die popkulturelle Geschichtsschreibung hat sich geeinigt, dass Sharon Tates Hinrichtung in jener schwülen Sommernacht des 8. August 1969 für den Anfang vom Ende einer Ära steht, den Grabgesang auf eine Utopie.

Nachdem ebenfalls 1969, beim Festival von Altamont, während des Auftritts der Rolling Stones, ein Afroamerikaner erstochen wurde, war klar: Die Jugendkultur hatte unwiderruflich ihre Unschuld verloren. Aus den Flower Power-Kids waren zumindest in der allgemeinen medialen Wahrnehmung plötzlich Blumen (-Kinder) des Bösen geworden.

Stanley Kubricks 1971 gedrehter Film "Clockwork Orange" fantasierte bereits von gewalttätigen Teenagerbanden zwischen Aggression und Langeweile. Viele Soundtracks kommender Generationen - Punk, Metal, Industrial, Grunge, Hardcore - knüpften an nihilistische Sixtiesbands wie The Stooges oder Velvet Underground an, die bereits mitten in der Love & Peace-Zeit den Untergang beschworen haben.

Charles Manson als den Auslöser all dessen zu sehen, hätte was von einer bizarren Verschwörungstheorie. Aber er war einer der wichtigsten Teile im Mosaik des Traumas "1969". Als Woodstock endete, war Sharon Tate gerade eine Woche tot.