Erstellt am: 10. 8. 2009 - 13:57 Uhr
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Ich war nicht in Polen. Ich stand nicht vor einer Konzertbühne. Ich war zuhause. Ich und meine Drahtschwammnase. Mein Computer. Mein Hochbett, von dem es mich mehr Zeit kostet runterzukraxeln als den Weg zum Klo hinter mich zu bringen. Obwohl der Weg natürlich seine Hürden hat.
Der unausgepackte Koffer vom Festival letztes Wochenende liegt gepackt, aber neueröffnet wie ein Ausverkaufsstand am Boden rum. Okay, es gibt noch den zweiten Koffer. In dem war die Winterdecke, frisch eingepackt im Juni, frisch ausgepackt im August. Jetzt schon begleitet sie mich durch die Erkältung, die mich also davon abhält, in Polen zu sitzen und Gesichter zu studieren, Sprachklänge und Speisekarten und Wodkasorten. Das verpasse ich: Bands zu sehen. Musik zu hören. Nein, keine Dosenmusik, ich meine Porenmusik.
fm4 ond
Ich bin auf dem Weg der Besserung, aber weil man an diesem Punkt keine Kraft mehr hat, liegen auch noch Schuhe hier am Boden rum. Auf dem Weg vom Hochbett zur Toilette, seien wir uns nämlich ehrlich, will niemand gleichfarbige Socken unter drei Deckenbergen suchen oder Hausschuhe finden. Deswegen einfach in die naheliegendsten Straßenschuhe schlüpfen, um warmen Fußes ans andere Ende der Wohnung zu gelangen. Beim Koffer bitte links abbiegen, danke. Beim Schuhroulette bin ich mittlerweile bei den Winterstiefeln angelangt.
Wenn ich morgen nicht gesund bin, muss ich alle Paare per pedes zurück ins Schlafzimmer tragen. Nicht dass es mir was ausmacht. Auf dem Weg der Besserung gibt es keine Sauberkeit mehr, außer der taschentuchleichten Müllsack-Ansammlung, die sich beim Ausgang stapelt. Dort wo normalerweise die Schuhe lagern. Keine Hausordnung mehr außer der einen Regel: Fliegen fern halten. Alle Obstabfälle sofort in den verschließbaren Müllbehälter. Aber, ist das ein Karottenende, das da am Boden liegt? Nevermind!
Cornflakes am Tisch zerstreut? Weiß ich nichts davon. Du kochst deine Suppen schon am zweiten Tag in dem einen Topf ohne Henkel, den du eigentlich nie verwendest, weil alles andere in der Abwasch liegt? Nevermind. Du holst die Mikrowelle - die originalgetreu noch die Geburtstagsschleife aus dem Jahr 2005 trägt - aus dem Schrank, weil du am vierten Tag schon auf Tiefgefrorenes umsteigst? Nevermind.
Du wechselst vom Hochbett auf die Couch und von der Couch retour, weil der halbe Liter Tee, mit dem du am ersten Tag die Matratze getauft hast, wieder getrocknet ist? You mind. Mittlerweile brauchst du dein festes Schuhwerk, um dich vor dem ganzen Haushaltschaos, das außerhalb des Gesundheitszentrums auf der Decke liegt, zu schützen. Deine Wohnung hat die Grippe nach dir. Dein verpasstes Festival ist nur eine rote Zahl weniger am Kontoauszug. Ein Speicherplatz weniger auf der Kamera.
fm4 ond
Frightened Rabbit "Keep Yourself Warm"
Obwohl: Die Kamera füllst du währenddessen mit Fotos von dem Grippetrank, der dir angetragen wurde. Nein, den du dir angetragen hast, weil der Zusatz „Da schwitzt du wie Sau!“ nach schneller Genesung geklungen hat. Geschmeckt hat es genau nach dem, was drin war: Knoblauch, Karotten, Olivenöl, Zitronensaft. Du musstest schlucken.
Knoblauch brennt und stinkt. Noch mehr, wenn man's ohne Spaghettisauce und falschen Parmesan isst. Aber gut fürs Herz, oder? Gute Kultur, wo Knoblauch im Spiel ist, meinte HC Artmann. „I'm drunk and you're probably on pills“, meinen Frightened Rabbit in „Keep Yourself Warm“. Ja, noch so ein Song aus Polen, vom Festival. Mittlerweile bin ich auch auf Pillen umgestiegen, weil vom Schwitzen alleine kriegt man also keine Grippe weg. „Drei Tage brauchen sie bestimmt, und wenn sie arbeitswillig sind, schreib ich sie am Montag wieder gesund!“ Ja, bin ich, Herr Doktor mit der Viagra-Schachtel am Fensterbrett.
Ich möchte wieder auf ein Festival fahren.
Ich hab doch schon meinen Koffer gepackt.