Erstellt am: 11. 8. 2009 - 09:00 Uhr
Leben in der Wagenburg
Ich bin auf der Suche nach der Baumgasse 101. Gar nicht so einfach, denn die Baumgasse 101 oder besser gesagt das, was sich dort im 3. Bezirk neben der Arena befindet, ist kein Haus, sondern eine leere, brachliegende unebene Baufläche. Ein Hausschild gibt es demnach keines. Hinter einer Plakatwand versteckt liegt schließlich der Platz, den ein paar Menschen, die nicht in Häusern und Wohnungen leben wollen, zu ihrem neuen Zuhause gemacht haben. Hier befindet sich eine von Wiens Wagenburgen.
fm4/alexandra augustin
Es sieht ein wenig so aus, als würde hier eine Gruppe Freunde Urlaub machen. Etwa acht Menschen leben hier, ebenso viele Wägen sind hier aufgestellt, sogar einen Bühnenwagen gibt es, um Konzerte zu feiern, in der Mitte stehen ein paar Heurigenbänke, rundherum sitzen die Bewohner des Platzes mit ein paar Besuchern zusammen, jausen gemütlich oder lesen.
Leider nicht mehr lange. Denn am 20. August müssen die Bewohner der Wagenburg das Areal (wieder einmal) räumen.
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Das Leben im Wagen
"Ich habe mich immer so rastlos gefühlt", schildert die 24-jährige Miriam ihre Erinnerung an das Leben vor dem Wagen, in dem sie seit eineinhalb Jahren lebt. Als sie vor vier Jahren nach Wien gezogen ist, um hier Internationale Entwicklung zu studieren, hat sie sämtliche Wohnformen ausprobiert. Ob im Haus, in einer WG oder in der Gemeindewohnung - wirklich wohl gefühlt hat sie sich nirgends. Als sie dann ein paar Leute aus der Wagenburg in der Kimmerlgasse kennen gelernt hat, beschloss sie kurzerhand dort hin zu ziehen.
fm4/ alexandra augustin
Anfangs lebte sie in einem kleinen Wohnwagen, vor einem Monat hat sie sich dann endlich ihren Traum vom eigenen Wagen erfüllt. Sie leistete sich einen umgebauten LKW, der fast einer kleinen Wohnung gleicht. In ihm finden sich eine Kochnische mit einem richtigem Gasherd und einer Abwasch, ein Bett und ein geräumiger Schreibtisch, an dem sie gerade am Laptop sitzt, um für die Uni ein paar Sachen zu erledigen.
"Oft werden wir als asozial bezeichnet, aber ein Leben am Wagenplatz ist nicht - wie viele vielleicht glauben - umsonst und auch nicht viel günstiger, als ein Zimmer in einer WG oder eine Wohnung zu mieten."
fm4/ alexandra augustin
Tatsache: Grundstücksmiete zahlen, die Wagenreparaturen, Versicherungen für die Wägen, Strom- und Wasserkosten, Gebühren für den Müll und das Entleeren des selbstgebauten Toilettenwagens durch die Stadt Wien - das läppert sich auf 150 bis 200 Euro im Monat für jeden Wagenplatzbewohner zusammen.
Der Vorteil am Leben im Wagen ist aber die Mobilität. Türen zu, Motor an, schon kann man, wenn man möchte, mit seinem "Haus" weiterziehen. So besuchen immer wieder Menschen aus anderen Ländern den Wagenplatz, um in Wien ein Auslandssemester zu absolvieren oder eben hier eine zeitlang zu arbeiten. Und möchte man selbst im Ausland arbeiten oder studieren, sucht man sich im Internet einfach einen neuen Wagenplatz in der betreffenden Stadt heraus. Sämtliche Plätze Europas sind auf diese Weise gut vernetzt.
"Und man lebt hier einfach bewusster", streicht Miriam neben der Mobilität auch noch als Vorteil heraus. Frischluft hat man direkt vor der Türe, außerdem produzieren viele wie auch Miriam ihren Strom durch Solarzellen auf dem Dach des Wagens selber. Nachhaltigkeit ist ein Thema und auch ihren Müll bringen die Bewohner der Wagenburg mittels Anhänger selbst zum Müllplatz.
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Österreichs einzige Wagenburg
Was in den Großstädten vieler anderer Länder, wie etwa in Deutschland, vom Stadtbild nicht mehr wegzudenken ist, ist hier in Österreich aber noch etwas Einzigartiges. Österreichs erste und einzige Wagenburg formierte sich vor knapp drei Jahren auf einer Wiese nahe dem Zentralfriedhof. Nach etlichen gescheiterten Versuchen, diesen Platz längerfristig zu pachten, mussten sie auf neue Plätze weiterziehen.
fm4/ alexandra augustin
Ein Unterstützer der Idee im Wagen zu leben bot der Gruppe schließlich ein Grundstück an. Eine Wiese in der Kimmerlgasse im 11. Wiener Gemeindebezirk, die er den Wagenburgbewohnern für 1000 Euro im Monat vermietet. Strom gab es, Wasser konnte man vom naheliegenden Brunnen holen. Doch weil es sich bei diesem Grundstück um sogenanntes "Grünland" und nicht um "Bauland" handelte, drohte bald die Baupolizei mit hohen Strafen. Wieder hieß es nach einem neuen Platz Ausschau zu halten.
"Wir haben uns auf eine Lösung mit der Stadt Wien bemüht, haben eine Liste von Grundstücken zusammengesammelt, die in Wien brach liegen und sich zur Zwischennutzung für uns eignen würden. Man entwickelt mit der Zeit ein Auge für solche Plätze", meint Miriam.
Doch trotz der Bemühungen der Wagenburgbewohner: Passiert ist seitdem nichts außer Konflikte und Ärger. Nach etlichen Verhandlungen mit der Stadt Wien wurde der Gruppe ein Grundstück in der Donaustadt zugesichert. Und zwar für eine Miete von 500 Euro im Monat, die einem guten Zweck, nämlich dem Verein Ute Bock, gespendet wird. Der Mietvertrag mit dem alten Besitzer wurde von der Gruppe gekündigt, der Umzug vorbereitet.
Doch kurzerhand platzte der Deal: Statt 500 Euro fordert die Stadt Wien nun rund 22.000 Euro Jahresmiete für das Grundstück, der Vertrag ist plötzlich nur mehr auf drei Jahre befristet und außerdem hapert es beim Areal in der Donaustadt nahe der Lobau an fehlenden Wasser- und Stromanschlüssen. Strom- und Wasserleitungen wären machbar, allerdings würden die Kosten für die Verlegung dafür rund 30.000 Euro betragen. Eine Investition, die sich bei einem befristeten Vertrag eben nicht rentiert.
fm4/ alexandra augustin
Punks? Asoziale?
Nach den langen Diskussionen um den Wagenplatz in der Lobau hat sich die ursprüngliche Wagengruppe aus taktischen und praktischen Gründen in zwei Teile gespalten. Die eine Gruppe an Wagenbewohnern ist eben in die Baumgasse gezogen, eine weitere Gruppe hat sich im 2. Bezirk in der Hafenzufahrtstraße auf einem kleinen Grundstück niedergelassen. Dort am Stadtrand ist es grün und ruhig, die Bewohner bauen auch ihr eigenes Obst und Gemüse an. Durch zwei Wagenburgen, so hoffen die Bewohner, lässt sich die Idee dieser Lebensform vielleicht besser etablieren. Und nicht zuletzt ist ein Leben im Wagen vielfältig:
"Wir hier, wir wollen eben lieber zentral, direkt in der Stadt leben. Jeder hat andere Vorstellungen darüber, wie und wo er leben möchte, genauso wie der eine eben lieber in einer Wohnung in der Stadt lebt und der andere lieber in einem Haus am Stadtrand."
Wie geht's weiter?
fm4/ alexandra augustin
Während die Hafenzufahrtstrasse ein Grundstück der Stadt Wien besetzt hat und der Deal mit der 500 Euro Miete im Monat als Spende an Ute Bock bereits klappt, sieht es bei der Gruppe in der Baumgasse mit dem Bleiben trist aus.
Vergangenen Donnerstag stand nach einem Gespräch mit dem Grundstückseigentümer Porr fest, dass die Gruppe am 20. August das Feld räumen muss. Obwohl das Grundstück vorerst brach liegt und eine Bebauung in naher Zukunft nicht vorgesehen ist. Erklärung dazu gibt es keine. Im Moment sind die Wägen jedenfalls schon zusammengepackt, so dass die Gruppe im Falle des Falles zumindest sofort wegfahren könnte. Wohin ist aber nach wie vor unklar und das reibt an den Nerven der Bewohner.
Ob sich Miriam trotz des Stresses vorstellen kann für immer im Wagen zu leben?
"Im Moment kann ich mir einfach trotzdem kein schöneres und anderes Leben vorstellen. Es wäre gut, wenn diese Lebensform, so wie in anderen Ländern, hier auch akzeptiert und unterstützt werden würde. Wenn das endlich so wäre, wäre das schön."
wagenburg baumgasse
Bevor sie den Wagenplatz in der Baumgasse räumen müssen, veranstalten die Bewohner am 15. August ein großes Fest unter dem Motto "Was wäre wenn".
"Was wäre wenn wir bleiben könnten? Was wäre wenn Wagenburgen ein Teil dieser Stadt sein könnten? Denn Wagenburgen sind eine Bereicherung, keine Last!", so das Motto der Gruppe.
Tina Leisch wird ihren Film "Dagegen muss ich etwas tun" zeigen, es gibt eine Ausstellung, Lesungen, DJs und ein Buffet, das Silent Cook Patrick Müller kocht. Einfach vorbeischauen und sich selber ein Bild machen!
Wagenplatz in der Baumgasse