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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

8. 8. 2009 - 12:30

Kool Killer

An der Oberfläche ein Gangsterthriller, darunter ein künstlerisches Experiment: "Public Enemies" unterläuft meisterhaft die Konventionen des Genrekinos.

Als ich nach der Pressevorführung von "G.I. Joe" gähnend das Wiener Haydn-Kino verlasse, fällt mein Blick im Foyer auf zwei riesige Pappaufsteller. Der eine zeigt den schnurrbärtigen Brad Pitt als Chef der nazijagenden "Inglourious Basterds", der andere Johnny Depp als Gangsterlegende John Dillinger in "Public Enemies".

Ich muss zufrieden grinsen. Wenn das Hollywoods filmisches Großaufgebot für den Rest dieses Sommers ist, dann lassen sich infantile Spielzeugpuppen-Spektakel leicht verschmerzen. Denn diese beiden Streifen, die von den größten Stars der Gegenwart angeführt werden, unterlaufen die Konventionen des Unterhaltungskinos auf bravouröse Weise.

Der eine, der neue Tarantino, wird als schundige B-Movie-Hommage verkauft, als reißerische Trashversion des Dritten Reichs. Und entpuppt sich doch als vielschichtige Reflexion über die Sprache, über Politik und Propaganda, über das Kino und seine Macht.

"Public Enemies" wiederum, das neue Meisterwerk von Michael Mann, wirbt mit dem Kitzel des Gangsterlebens, mit dem Geruch von Pulverrauch und Schweiß, weckt Erwartungen an einen actionreichen Thriller.

Das alles ist nicht ganz falsch. Aber wie sich Mr. Mann den Vorgaben des Genres nähert, wie er sie vielfach bricht und mit ihnen spielt, das hat etwas von einem aufregenden Kunstexperiment.

Public Enemies

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"Public Enemies" blickt zurück auf eine Ära der amerikanischen Geschichte, die von Autoren, Journalisten, aber vor allem von Hollywood in unzähligen Varianten mythologisch verklärt wurde.

Die dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, das ist die Zeit der Weltwirtschaftkrise, die Millionen Menschen in die Armut und einige Männer und Frauen in den kriminellen Untergrund treibt. Trotz aller Brutalität der Verbrechen spricht die Bevölkerung ihre Namen mit Ehrfurcht aus.

Denn Bonnie & Clyde, Pretty Boy Floyd oder John Dillinger verkörpern damals auch die Hoffnung, dass man sich dem unerbittlichen System nicht einfach ergeben muss. Sie knüpfen an die Desperado-Mentalität des Wilden Westens an, stehen für das Outlaw-Prinzip, das untrennbar mit der amerikanischen Befindlichkeit verbunden ist.

Besonders Dillinger genießt die Bewunderung der breiten Massen. Er scheint weniger psychotisch als die kriminellen Kollegen zu sein, gibt sich als glamouröser Dandy, kokettiert mit einem Robin-Hood-Image, gleichzeitig sind seine Raubzüge besonders spektakulär.

Public Enemies

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Michael Mann nähert sich diesem Stoff mittels minutiöser Recherche, er ist als detailversessener Filmemacher bekannt. Aber es ist nicht die historische Genauigkeit, die seinen neuesten Streifen so speziell macht.

Ich kann mir vorstellen, das auch andere ambitionierte Regisseure das Leben und Sterben des John Dillinger mit ähnlicher Faktentreue und Akribie auf die Leinwand bringen könnten. Doch ich erahne auch die dazugehörigen stilisierten, glatten und sepiabraun getönten Bilder. Weil das Vokabular des Genrekinos einfach schon so berechenbar geworden ist.

Michael Mann geht aber visuell einen ganz anderen Weg. Er verfolgt seine Leidenschaft für hochauflösende Digitaltechnik weiter, die er bereits in "Collateral" und "Miami Vice" auslotete, kreuzt das historische Thema mit einer Videoästhetik, die man ausschließlich mit dem unmittelbaren Hier und Jetzt verbindet.

Dicht folgt die Handkamera dem Staatsfeind Dillinger bei seinen Taten, klebt bei Banküberfällen ebenso nah am Geschehen und den Gesichtern dran wie bei ganz gewöhnlichen Alltagsmomenten. Das sieht oft aus, als ob jemand ein Youtube-Video aus den dreißiger Jahren hochgeladen hätte. Irritierend und faszinierend zugleich.

Public Enemies

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Von einem digitalen Denkmal für John Dillinger spricht Andreas Busche in der TAZ. Und bringt damit den höchst spannenden Bruch zwischen Form und Inhalt auf den Punkt, um den im Grunde der ganze Film kreist.

Durch die moderne Optik bekommt dieser legendäre Ganove, dem Johnny Depp sein hübsches Gesicht leiht, jede Menge aktueller Bezüge. Man kommt nicht umhin, an den allgegenwärtigen Celebritykult zu denken, an Rockstars oder eben Schauspiel-Ikonen. Genauso charismatisch, eitel und auf sein cooles Image bedacht, legt Depp den Charakter auch an.

Wobei sich mit der Besetzung der Hauptrolle weitere interessante Divergenzen ergeben. Der immer und überall androgyn und sanft wirkende Johnny Depp als äußerst maskuliner Dillinger, das ist ein Kontrast, der nicht zum Realismus passt, den der Film ansonsten ausstellt.

Und wenn Dillinger/Depp mit seiner Geliebten Billie (die große Marion Cotillard) amouröse Gespräche führt, schleust sich eine Kinoromantik ein, die endgültig die rohen DV-Bildern ad absurdum führt. Aber Michael Mann macht das bewusst. "Public Enemies" ist wirklichkeitsnah und artifiziell, kühl und emotional zugleich.

Dass dieser Streifen Christian Bale (als Dillingers FBI-Nemesis Melvin Purvis) aus der Blockbusterfalle holt, nebenbei von Staatsgewalt und rücksichtsloser Politik erzählt, dass auch die kleinste Nebenrollen begeistern, das sind schon fast Bonuspunkte.

"Public Enemies": Ein Film zwischen Multiplex und Videoinstallation, eine abstrakte Meditation über das Verbrechen, eine Sammlung verwirrender, beglückender, bisweilen magischer Widersprüche.

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