Erstellt am: 7. 8. 2009 - 15:13 Uhr
"I'm still free, what about you?"
von Christian Stiegler
Joi Ito
John Gilmore, Internet-Aktivist und Bürgerrechtler, hat einmal gesagt, dass das Internet dafür gemacht sei „robust“ zu sein. Robust, das heißt stabil, kräftig, widerstandsfähig. Das Internet sei also laut Gilmore auf eine Weise konstruiert, dass es nicht einfach blockiert werden könne. Es besitzt eben keine „Zentrale“, die man einfach lahm legen könnte. Aber ein Netz hat Löcher und die Akte „Iran und Zensur im Internet“ zeigt das deutlich auf.
Glashäuser und Betonklötze
Eine Firewall dient dazu den Datenverkehr bewusst zu kontrollieren, bestimmte Ports freizuschalten und andere zu schließen. So eine Firewall dient als Schutz. Unsereiner am PC daheim schützt sich in erster Linie gegen Eindringliche von außen. Wir wollen verhindern, dass jemand in unser System, in unser Glashaus, reinsehen kann. Im Iran ist es derzeit genau umgekehrt. Hier wird das Glashaus zum Betonklotz, da nicht nur niemand rein-, sondern auch keiner raussehen soll. Ein sündteurer Filter, der extra von der US-Firma Secure Computing angeschafft wurde, sperrt Social-Network-Seiten wie YouTube, Facebook, Flickr und Co. Kommunikation in Bild und Ton wird untersagt. Andere Webseiten, die in erster Linie auf Texten basieren (z.B. Twitter, Nachrichtenseiten) werden auf bestimmte Inhalte geprüft und zensiert. Gesucht wird nach Inhalten, die im weitesten Sinne politisch, sexuell und feministisch sind. Detail am Rande: Anfänglich wurden aus diesem Grund selbst Hetztiraden der Gottesmänner im Netz zensiert. Bis man den Filter nachjustiert hatte.
Schnittstellen und EinzelkämpferInnen
So ein Filter ist wie eine gut gesicherte Wohnungstür. Es gibt immer einen Weg sie trotzdem zu öffnen. Auf welche Weise, das wird gerade im Metalab, nahe dem Wiener Rathaus, ausprobiert. Dort werden zwischen verstreuten Roboterteilen und blinkenden Neonlampen Erfindungen erprobt oder wieder verworfen. Obwohl das Metalab 24 Stunden geöffnet hat, gibt es laut Website eine Kernzeit: 20.00 – 01.00. Wer hier her kommt, arbeitet gerne unbemerkt und daher am besten nachts.
kyrah
Das gilt auch für Karin, oder besser: kyrah, wie sie sich im virtuellen Raum nennt. kyrah ist Informatik-Dissertantin an der TU Wien. In Insiderkreisen wird sie als „Sicherheitsexpertin“ bezeichnet. Ihr derzeitiges Projekt: Sie hackt die Internetsperren des Iran und macht nicht nur Facebook und Konsorten, sondern auch Nachrichtenseiten wie jene der BBC wieder für IranerInnen zugänglich.
kyrah beschäftigt sich schon seit Jahren mit den Nahen Osten. Und das mit durchschlagendem Erfolg: Als Sicherheitsexpertin wurde sie vor einigen Jahren auch nach Syrien eingeladen, um öffentlich auf einem Kongress über Open Source zu sprechen. Mit dem Ergebnis, dass kyrah vor den Augen von syrischen Regierungs- und Geheimdienstbeamten spontan das Thema gewechselt und die ach so sichere Firewall des Landes geknackt hat. Dass der syrische Geheimdienst in Folge dessen mit kyrah „ein Gespräch“ führen wollte, hat sie nicht abgehalten wieder nach Syrien zu reisen.
Katz-und-Maus-Spiel
Man kennt ja diese Lausbubenstreiche, wenn man an einer fremden Türglocke läutet und dann davonläuft. In Wahrheit ist der Hack der Netzsperren im Iran auch so etwas wie eine riesige Frotzelei der iranischen Regierung. kyrah öffnet die Ports, die von den iranischen Filtern blockiert werden, bis man es im Iran merkt und die Ports wieder schließt. Dann öffnet sie kyrah erneut, der Iran schließt sie daraufhin wieder. Und so geht das hin und her. Wie kyrah das genau macht, will sie nicht verraten. Es ist auf jeden Fall eine Sisyphos-Arbeit, aber kyrah steckt sich große Ziele. Keine Regierung, die ihre Menschen nicht achtet, hätte eine Existenzberechtigung, meint sie. Und freier Informationsfluss sei ein Grundrecht, für das es sich zu kämpfen lohne. Daher habe sie auch keine Angst vor irgendwelchen Geheimdiensten. Sie versteht aber, warum manche ihrer KollegInnen deshalb schon paranoide Züge aufweisen (Erinnert sich noch jemand an Hans-Christian Schmids „23 – Nichts ist so wie es scheint“?).
metalab
Es ist ja schon eine gewisse Ironie dabei. Der abgeschirmte Iran wird von einer Hackerin in Wien an der Nase herumgeführt. An einem Ort wie dem Metalab. Irgendwie ist es erschreckend und beruhigend zugleich, dass sowas geht. Und dass Betonklötze auch nicht so robust sind.