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Ballesterer FM

Artikel aus dem Magazin zur offensiven Erweiterung des Fußballhorizonts.

5. 8. 2009 - 16:15

Es geht fast ausschließlich um Alkohol

Bier gehört in Österreich zur Fankultur wie das Weihwasser zur Kirche. Untersuchungen zum Alkohol- und Drogenkonsum in Stadien sucht man dennoch vergeblich. Auch wenn Cannabis nicht nur auf den Transparenten der Ultras Einzug gehalten hat.

Text: Reinhard Krennhuber
Fotos: Dieter Brasch

Ein Becher am Stehplatz, ein Krügerl in der Kantine, ein Flascherl vorm Fernseher. Fußball und Alkohol stehen in engem Zusammenhang – darüber sind sich nicht nur die Fans weitgehend einig. Für Roman Horak, Kultursoziologe an der Universität für angewandte Kunst in Wien, ist diese Verbindung gleichermaßen historisch wie proletarisch. "Männer gehen zum Fußball und trinken Bier. Das hat seit jeher zur männlichen Arbeiterkultur dazugehört und war für die Sozialdemokratie gerade noch akzeptabel." Ganz im Gegenteil zum "bösen Schnaps", wie Horak unter Verweis auf den berühmten Stahlstich "Beer Street and Gin Lane" von William Hogarth aus dem 18. Jahrhundert feststellt. Während die eine Straße auf dem Kunstwerk von freundlichen und fröhlichen Menschen geprägt ist, regiert auf der anderen Sodom und Gomorrha.

Bierbecher

Dieter Brasch / ballesterer.fm

Ob Bier in der Blüte des Wiener Fußballs in der Zwischenkriegszeit auch schon im Stadion ausgeschenkt wurde, dafür hat der Co-Autor des Standardwerks “Mehr als ein Spiel” im Rahmen seiner Studien keine Anhaltspunkte gefunden: “Sicher nicht im Pappbecher.” Überliefert seien aber die Wirtshausbesuche vor und nach dem Match. Ebenso wie Verweise auf durch Alkohol enthemmte Jugendliche, wobei den durch den Krieg zerrütteten Verhältnissen dafür die Hauptschuld zugeschoben wurde.

Und auch wenn sich einiges an diesen Umständen geändert hat: Der Gerstensaft hat seinen Status als Fußballgetränk Nummer eins bis heute nicht eingebüßt. Der Bierkonsum der Österreicher ist mit mehr als 109 Litern pro Kopf und Jahr der zweithöchste der Welt, geschlagen nur von den Tschechen. Insofern überrascht es nicht, wenn Experten wie der Wiener Drogenkoordinator Michael Dressel davon ausgehen, “dass es beim Drogenkonsum am Fußballplatz fast ausschließlich um Alkohol geht”.

Dünne Suppe

Der Text erscheint auch in der neuen ballesterer-Ausgabe Nr. 44 (August 2009)

Das Cover der neuen Ausgabe des Ballesterer "Fußball und Drogen"

ballesterer.fm

Außerdem in dieser Ausgabe:

Streng genommen sei Alkohol ein Narkotikum, das enthemmend wirkt, so Dressel: “Die Leute versprechen sich davon, lockerer zu werden. Teilweise werden sie aber auch aggressiv.” Damit der so erzielte Kontrollverlust nicht in Gewalt mündet, wird im Stadion seit geraumer Zeit vorwiegend Leichtbier ausgeschenkt oder überhaupt ein Alkoholverbot erlassen. Für Dressel ein absolut notwendiger Schritt, “weil es Personen gibt, die außer Rand und Band geraten, wenn sie zu viel getrunken haben. Zwar hat sich das Problem dadurch teilweise vor die Stadien verlagert, das macht die Maßnahme aber nicht sinnlos.”

Ob der Bierkonsum auf den Plätzen dadurch zurückgegangen ist, lässt sich schwer sagen, weil entsprechende Studien fehlen. Horak sieht die Leichtbier-Lage jedenfalls bedeutend kritischer als der Drogenexperte. “Vielleicht ist der Konsum rückläufig, weil das Bier so schlecht und dünn geworden ist. Vielleicht ist es auch dadurch eine Spur nüchterner geworden, dass vermehrt Frauen und Kinder ins Stadion kommen.” Der Papa werde sich aber weiterhin sein Krügerl genehmigen, so der Rapid-Fan. “Von daher ist die Tradition des Bierkonsums des männlichen Fußballfans ungebrochen – zumindest bei Rapid. Ob in Salzburg jetzt alle Red Bull trinken, kann ich nicht sagen.”

Dressel kann die Lage im Stadion auch nur anhand von Statistiken zum allgemeinen Alkoholkonsum beurteilen – und der ist in den vergangenen Jahren nicht gestiegen. Bei den Konsumgewohnheiten gebe es aber eine Tendenz, der es vorzubeugen gelte. “Es wird nicht mehr getrunken, aber exzessiver – vor allem von den Jüngeren. Das lässt sich auch auf den Fußballplatz umlegen.” Nicht zuletzt deshalb hat das Institut für Suchtprävention 2005 und 2006 in Zusammenarbeit mit Streetwork Wien und den Großvereinen Rapid und Austria die Aktion “Kick” durchgeführt. Fans sollten durch freiwillige Alkotests, die Verteilung von “Katersackerln” für den Tag danach und Gewinnspiele zur vermehrten Selbstkontrolle ermutigt werden. Ähnliche Aktionen sind laut Dressel auch für die nähere Zukunft geplant, der Drogenkoordinator wünscht sich aber mehr Engagement seitens der Vereine: “Ihnen kommt eine große Verantwortung zu, weil im Fußball sehr viel Geld im Spiel ist. Diejenigen, die die Massen ins Stadion holen, müssen sich auch an der Präventionsarbeit beteiligen. Wir suchen das Gespräch, es ist aber nicht immer einfach, weil sich die Klubs oft nicht zuständig fühlen.”

Schnelle Chemos

Abseits der Alkoholfrage herrscht in Österreich ein schwarzes Informationsloch, was Drogen am Fußballplatz angeht. Roman Horak kann zumindest mit persönlichen Erfahrungen dienen. Als der Soziologe Anfang der 1980er begann, sich wissenschaftlich mit Fankultur zu beschäftigen, war die Bierkultur stark vorherrschend. “Die vereinsnahen Kuttenträger mit ihrem Ehrenkodex sind jedoch langsam durch andere Typen verdrängt worden, für die der Fußball nicht mehr so wichtig war und die eher schnelle Drogen konsumiert haben”, so Horak. Eine Tendenz, die sich bis Anfang der 1990er Jahre in verstärktem Maße fortgesetzt habe. “Diese Entwicklungen sind mit einem Generationswechsel auf den Stehplatztribünen einhergegangen. Bei Rapid sind ältere Fanklubs wie die Grünen Teufel auf die Nord abgewandert und von Gruppen wie den Street Fighters abgelöst worden.”

Tabletten

Dieter Brasch / ballesterer.fm

Das zu dieser Zeit in Österreich auf dem Höhepunkt befindliche Gewaltproblem im Fußball wurde nur in Zusammenhang mit Alkohol diskutiert und nicht über andere – auch auf dem Fußballplatz durchaus gängige – Drogen wie das aus der Rave-Kultur importierte Ecstasy, Speed oder Kokain. Das sei auch weiterhin der Fall, meint Horak: “Für die Öffentlichkeit und die Behörden gibt es einerseits die klassischen Giftler – ein Klientel, um das man sich kümmern muss. Auf der anderen Seite stehen die Fußballfans, die mit Ausnahme von einzelnen Streetwork-Projekten kaum betreut werden.”

Cooles Kraut

Bleibt noch das Kiffen. Laut aktuellen Studien hat mehr als ein Drittel der 15- bis 29-Jährigen in Österreich bereits zumindest einen Joint geraucht. Das Cannabisblatt feiert in den Ausdrucksformen von -Ultras fröhliche Urständ, und auch der Dope-Geruch dürfte Fantribünenbesuchern von Wien bis Altach nicht fremd sein. Erforscht wurde diese Affinität bisher dennoch nicht. “Dazu gibt es keine spezifischen Untersuchungen. Ich glaube aber nicht, dass das eine sehr große Rolle spielt”, meint Dressel. “Außerdem halte ich das nicht für ein fußballspezifisches Phänomen. Da schaut’s bei anderen Großveranstaltungen wie Konzerten nicht anders aus.”

Als Problem will der Wiener Drogenkoordinator das Kiffen auf der Tribüne ohnehin nicht bezeichnen. “Es ist zwar aus verschiedensten Gründen bedenklich, Cannabis zu konsumieren, und deshalb befürworte ich keine Freigabe, aber verglichen mit dem Alkohol ist es auf dem Fußballplatz sicher das kleinere Problem. Vor allem, weil sich Personen, die etwas gekifft haben, in der Regel friedlich verhalten.” Dressel räumt zudem mit überholten Ansätzen auf: “Nicht jeder, der einmal einen Joint raucht, wird drogensüchtig. Dass Cannabis die Einstiegsdroge schlechthin ist, stimmt nicht.”

Cannabis

Dieter Brasch / ballesterer.fm

Warum haben aber gerade die Ultras ihre Liebe zur Cannabisblüte entdeckt? Roman Horak: “Bier saufen eh alle. Haschisch ist cooler und kann wegen seiner Devianz auch dazu benutzt werden, sich von den anderen abzuheben.” Eine Bewusstseinserweiterung wie beim Konsum von LSD sei nicht das Ziel, so der Soziologe. “Aber Kiffen hat etwas Gemeinschaftsstiftendes – gerade in einer nach außen abgetrennten Struktur. Anders als Tabletten, die eher trennend wirken, weil sie nicht dazu geeignet sind, dass Menschen miteinander kommunizieren."