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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

3. 8. 2009 - 16:57

Journal '09: 3.8.

Kunst kommt von Müssen. Die Geschichte von meinem Eisenberger.

Dass der Spruch von Goebbels stammt ist nicht richtig. Natürlich sind die Nazis (ebenso wie alle anderen Spießer) wie wild draufgesprungen auf den Hausverstands-Sager Kunst kommt von Können. Die etymologisch ansatzweise Korrektheit (der zugrundeliegende Überbegriff bedeutet können, kennen und wissen) zelebriert aber einen Kunstbegriff aus der Zeit als diese noch ausschließlich als Ornamentik der/für die Machthaber definiert wurde - so wie sie Diktatoren und Populisten weltweit ja immer noch begreifen, die Kunst. Als Verschönerungs-Schnörkel ohne inhaltlichen Belang.

Mich hat unlängst ein Esel nach meinem Kunstbegriff gefragt und nur eine flapsige abwehrende Antwort bekommen - weil ich mich auf irgendwelche Debatten erst gar nicht einlasse.

mein eisenberger-kunstwerk

blumenau

Arbeit 6863

Ich hab danach überlegt, was ich in einem Wiederholungsfall sage, und da ist mir eingefallen, dass ich ja ein Stück Kunst daheim herumstehen habe.
Und zwar einen be- und übermalten Papp-Karton eines anonymen Straßenkünstlers, der seine Werke nachts an Bäume oder Säulen festbindet, die hernach entweder von besorgten Bürgern oder eifrigen Mistküblern entsorgt oder von Sammlern gekapert werden.

Irgendwann, als mir beim Nachhausegehn ein solches Stück Karton untergekommen ist, hab ich sie mitgenommen, die Kunst.

Ich hab das dann alles wieder vergessen, als gestern nacht beim TV-Hantieren zwischen Fußball & Film kurz das Kulturmagazin Aviso dazwischenblitzte und genau diese Pappen und den Mann, der sie fabriziert, vorstellte.

Eisenberger-Kartons

Mir ist dann eh wieder eine Menge eingefallen, rein assoziativ.
Dass ich schon einmal gewußt habe, wie der Typ heißt (Eisenberger), weil's mir irgendein Fan/Freund/Sammler, der ein paar der Kartons in einem komischen kleinen Kunst-Straßenlokal am Südhang des 6ten, nächst Wienzeile halt, in der Auslage hatte.

anderes eisenberger-karton-werk

eisenberger

Dass der das (eh offensichtliche) Konzept des Künstlers (den öffentlichen Raum durch stilistisch Unverwechselbares und Redundantes zu prägen) bestätigt hat.
Und dass er mir erzählte, der junge Teuchtler wäre der größte Fan und größte Sammler - der würde ganz Wien abgrasen, wenn es so eine Aussetz-Aktion der neuen Pappkartons geben würde.

Das und einiges mehr fiel mir alles wieder ein. Und auch, dass ich das damals (2007?) auch in einem Journal angemerkt hatte.
Bloß: ich habs nicht gefunden, seltsam. Nur ein anderes, in der zwei Fotos von zwei Arbeiten (die Nummern 7991 und 7996) zu sehen sind.

In jedem Fall hatte der Aviso-Beitrag den Sinn auf eine Ausstellung des Eisenberger hinzuweisen, die gerade im Wiener Künstlerhaus zu sehen wäre.

Der Eisenberger heißt Christian, ist ein Grazer, und hat in Wien an der Angewandten studiert. Die Ausstellung hat den schönen Namen "Koschpl". Gag am Rande: es gab (offensichtlich bei der Eröffnung Mitte Juli) einen DJ und zwar Philipp Teuchtler, den Superfan.

Koschpl-Pappn

Wenn mich irgendein Esel fragen würde, ob diese Zusammenballung von interessanten Zufällen mich, den im klassischen Sinn Nicht-Kunst-Interessierten, in die Ausstellung bringen würde - ich müsste "Nein" sagen.

Denn: Was sind die Kartons in einem Umfeld wie einer Galerie oder einer Ausstellungshalle wert?
Nichts, weil sie dort gewollt sind und weil es was mit Können zu tun hat, sie dort zu platzieren.

Herr Eisenberger selber

künstlerhaus

Eisenberger

Das ist keine Kunst, denke ich.
Kunst kommt von Müssen.
Nur wer seine Papp-Kartons auf die Straße stellt, der Gefahr der Vernichtung, Zertretung, des Abschleppens und Kaperns aussetzt, um sicherzustellen, dass sie gesehen und benützt werden, also am Leben der Menschen teilhaben, anstatt nur das unendlich schmale Hungersegment der Eh-Wisser anzusprechen, stellt Kunst her.

Der der nur was kann, der Künstler in der ironischen Definition meines Helden Skero, der versickert letztlich in Wiederholung und lässt sein Werk schließlich von Assistenten ansetzen, um dann nur noch zu signieren (das ist in der Bildenden und vor allem bei berühmten Installatoren leider flächendeckend Usus).
Können kann also viel zu wenig.

Das Müssen macht den entscheidenden Unterschied.

Ein Kunst-PS noch...

Der Text mit dem Titel "Guerillataktik und ephemerer Kunstcharakter", der die Ausstellung begleitet, ist ein Musterbeispiel dafür, warum nur eine Sperrminorität für die in Galerien-Käfige gepferchten Dinger gewonnen werden kann und sich von denen wiederum nur ein Bruchteil ernsthaft damit auseinandersetzt.

Ein Eisenberger-Formel 1-Wagen aus Pappe

eisenberger

auch nicht sicherer als der von Felipe Massa

Ein Beispiel dieser nur in Katalogen existenten Kunstsprache?
"Seien es Versatzstücke des Alltags oder die Person des Künstlers selbst, der mit seinem eigenen Körper arbeitet und die objekthaften Residuen dieser performativen Momenteals Kunstobjekte und mittlerweile von Sammlerlnnen begehrte Ware zurücklässt."

Der ist nämlich eine unendlich öde Abfolge grotesker Fertigteilsätze, die auf praktisch jeden zutreffen und substanzieller Teil der Rechtfertigungs/Blendungs-Maschine, mit der die neuen Mäzene und Geldgeber (die Nachfahren der Herrscher, in ihrer Mehrheit ornamentisch verliebte Spießer, die man nur mit derlei Wortgeklingel wegbluffen kann) abgespeist werden.

Bevor ich mich in dieser hyperenge Otaku-Welt der in lackierte Worte getauchten Sprachlosigkeit und des gekünstelten Könnens verirre, nehme ich lieber die wuchtige Hirnlosigkeit diversert Fußball-Sprachen in Kauf. Das nur, falls der Esel wieder fragen sollte...