Erstellt am: 2. 8. 2009 - 16:11 Uhr
Im Paradies der Micropayments
Über Jahre hinweg habe ich einen Bogen um sie gemacht. Sie gemeinsam mit meinen leistungsstarken Heimkonsolen, dem frisch aufgemotzten Spiele-PC und den schnuckeligen Handhelds abschätzig betrachtet, ihnen liebevolle Entwicklung abgesprochen, ihre Ästhetik diskreditiert und ihre Inhalte als banal und technokratisch abgestempelt. Browser-Spiele und Handy-Games waren für mich die Antithese einer gelungenen Gaming-Erfahrung.

Robert Glashüttner
Und jetzt gehe ich durch eine Messe, die diesen Markt erstmals von Weblinks und Screenshots loslöst und für alle sichtbar macht. Die ehemals schüchtern agierenden Online-Games-Firmen haben sich in den ersten zehn Jahren ihrer Existenz aus ihrer Nische erhoben und sind nun mitten in der Industrie angekommen. Da bleibt kein Platz mehr für persönliche Befindlichkeiten und Ignoranz. Der Durchbruch von Browser- und Handy-Games sowie MMOs ist - wenn schon nicht aus spielerischer Perspektive - so in jedem Fall aus analytischer und ökonomischer Sicht höchst interessant und wird den gesamten Spielemarkt nachhaltig prägen.
Neue Generation
Die Messe Leipzig wurde bekanntermaßen von der alten und immer noch dominierenden Games-Industrie im Regen stehen gelassen und ist mit Sack und Pack nach Köln gezogen, wo Ende August erstmals die "gamescom" stattfinden wird. Den ehemaligen Vergnügungspark mit Xbox-Erlebnisland, PlayStation-World, Nintendo-Town, EA-Rundumprojektions-Freakout und THQ-Stretchlimos gibt es in der sächsischen Messestadt also nicht mehr. An seiner Stelle finden sich 2009 gerade mal eine Handvoll hübsch dekorierter Stände und einige Bühnen, auf denen dahinplätscherndes Musik- und Unterhaltungsprogramm geboten wird.

Robert Glashüttner
Oberflächlich betrachtet ist die erste "Games Convention Online" (GCO) mit ihrer kleinen Ausstellungsfläche, dem ausbleibenden Publikum und der sensationellen Unsexyness von nebeneinander gereihten Bildschirmen, auf denen simple Browser-Spielchen laufen, eine beinahe tragische Angelegenheit. Doch Leipzig hat es schon einmal geschafft, aus einem belächelten, schwarzen Schaf einen Fixpunkt der internationalen Videospiel-Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Auch wenn Online-Games in der Offline-Welt keinen Glamour haben - die Geschäftsverhandlungen hinter den Kulissen sind mindestens so glorreich wie die des herkömmlichen Spielemarktes.
Deutschland grüßt Korea
Für Südkorea, wo Online-Gaming mit Firmen wie Nexon oder NHN bereits seit Jahren im Zentrum des öffentlichen Interesses steht, ist dieser Markt längst ein gleichwertiges Industriesegment. Korea mit ins Boot zu holen war für Leipzig also eine durchaus naheliegende Entscheidung, die nun von Anfang an fest im Wesen der GCO verwurzelt ist. Fast ausschließlich deutsche und koreanische Entwickler und Publisher sind auf der Messe vertreten. Andere Geschäftspersonen aus aller Welt agieren im Hintergrund. Sie kommen, um die vorgestellten Games für ihre jeweilige Region zu lizensieren, Kontakte zu knüpfen und die Regeln des neuen Marktes verstehen zu lernen.

Robert Glashüttner
Die alten Werte - komplexe Technologien, hohe Marketingbudgets und aufwändige Einzeltitel - werden hier auf den Kopf gestellt. Die Entwicklung von Online-Games verläuft rasch und kostengünstig, was zählt, sind Infrastruktur (Server, etc.), Community-Managment und eines der drei Geschäftsmodelle: Finanzierung durch Werbung, ein Abo-Modell oder die berüchtigten Micropayments - also kleine Geldbeträge, die User für Gegenstände im Spiel wie neue Frisuren oder größere Schwerter ausgeben.
Who is who?
Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass viele klingende Namen nicht auf der GCO vertreten sind. Weder Activision-Blizzard ("World of Warcraft"), noch CCP ("EVE Online") oder Linden Lab ("Second Life") sind hier. Die großen, klassischen Publisher, die wegen der Konkurrenz aus dem Browser langsam Muffensausen bekommen, haben ihre neuen Mobile- und Online-Departments auch nicht nach Leipzig bringen können, weil sie sich eben für Köln entschieden haben.
Der Online-Gaming Markt hat aber ohnehin schon seine eigenen großen Fische. In Deutschland heißen sie Bigpoint und Gameforge, deren Chefs sich derzeit noch öffentlich diplomatisch auf ein Unentschieden einigen, wenn die Frage auftaucht, wer denn von den beiden die Nase vorn hat.
Wer spielt?

Robert Glashüttner
Aus spielerischer Sicht läuft die Sache auf einen bald einsetzenden Generationenkonflikt hinaus. Wer es gewohnt ist, "große" Spiele auf PC oder Konsole zu spielen, wird mit Browser-Games weiterhin nicht besonders warm werden. Online-SpielerInnen wiederum haben sich bereits an die einfache technische Zugänglichkeit und die kostenflexible Nutzung gewöhnt und verlieren zunehmend das Verständnis und Interesse für proprietäre Systeme und teure Retail-Produkte.
Die Anforderungen der Gruppen könnten unterschiedlicher nicht sein: Wo die einen ästhetisch anspruchsvolles Spielefutter in einem stimmungsvollen Ambiente verlangen, das sie im Idealfall die Welt um sich herum vergessen lässt, begnügen sich Online-Gamer mit reduzierter Präsentation und verlangen dafür ein ausgeklügeltes Regelwerk mit Ausrichtung auf Wettbewerb, Statistik und Community.
Die Designer im Hintergrund
Weiterlesen kann man auf futurezone.ORF.at, wo Nadja Igler unter dem Titel "Die Messe sucht ihren Sinn" die erste GCO zusammenfasst und analysiert.
Meine persönliche Skepsis in Bezug auf Spielereien, die aufs Handy oder in den Webbrowser geliefert werden, ist auch nach dem Besuch der ersten GCO nicht kleiner geworden. Die meisten dieser Titel wollen weiterhin nichts von Stilsicherheit, Immersion und Experimenten wissen - Eigenschaften, die durch den starken künstlerischen Einfluss von renommierten Game-Designern die Spielewelt, wie wir sie bisher kennen, geprägt hat und weiterhin prägt - trotz knallhartem Business.
Doch auch bei Online-Games ist mit abwechslungsreicheren Inhalten zu rechnen. Die kommen spätestens dann, wenn sich der erste Goldrausch des neuen Marktes gelegt hat und Designer folglich auch unkonventionelle Ideen austesten werden.