Erstellt am: 1. 8. 2009 - 21:12 Uhr
Journal '09: 1.8.
Barack Obamas '95 erschienenes Dreams from My Father, ein Mittelding aus Autobiographie und Entwicklungsroman, gilt als das beste jemals von einem US-Politiker veröffentlichte Buch.
2006, also im Bewusstsein seiner nahenden Präsidentschafts-Kandidatur veröffentlichte Obama The Audacity of Hope, das eher als politisches Dokument gilt.
Barack Obama ist, das lässt sich, wenn man kurz in seine erste Autobiografie aus 1995 hineinschnuppert, schnell herausfinden, nicht nur ein kluger Kopf, sondern auch ein durchaus poetischer Formulierer, der sich immer dann, wenn ihm Geschwätzigkeit droht, zu einer guten Punchline entschließt.
Obama hat in seinem ersten Halbjahr als Leader of the free world den Begriff des "neuen Denkens", der seine geplante Politik des Wechsels immer begleitet hat, eigentlich schon überstrapaziert, aber da diese Anwendung in jedem Bereich auch richtig und nötig ist und der Präsident sie spezifisch einsetzt, nervt sie genauso wenig wie die Sprache seiner Bücher.
Neues Denken fordert er in der Frage sozialer Gerechtigkeit, was das Advancement of Colored People betrifft, eine Abkehr von Old Habits and Stale Thinking was die fiskale Disziplin anbelangt.
Ersatz-Kapitalismus
Und dort, im zentralen Bereich der Steuerung der Ökonomie, ist dieses "Neue Denken" natürlich am nötigsten, aber auch am gefährlichsten und umfehdetsten.
Das, was Joseph E. Stiglitz Obamas Ersatz Capitalism nennt, spielt aktuell in Obamas wichtigstem Vorhaben, der Gesundheits-Reform, die durch eine 5,4-prozentige Steuererhöhung für die Einkommensmillionäre erreicht werden soll, die Hauptrolle.
Interessanterweise wird eine Forderung, die im wohlfahrtstaatlich orientierten Europa für entsetztes und nur wenig unschwer als gekünstelt zu erkennendes Aufschrei-Gegacker sorgen würde, in der Heimat des Kapitalismus für vergleichsweise wenig Erregung. Es wird diskutiert, ja, aber unaufgeregt und ohne Ideologie-Keulenschwünge.
Das hat damit zu tun, dass in der Kernzone der Weltwirtschaft ein Begriff wie "Neues Denken" nicht automatisch Widerstand der rein reaktiven Gruppe von Bewahrern auslöst, sondern zunächst einmal Neugier, was denn daran interessant oder auch lohnend sein könnte.
Schließlich ist die Fraktion der raubtierhaften Betrüger der Sorte Madoff durchaus nur eine Minderheit innerhalb des City-Establishments, das ja auch auf nachhaltiges Heranschaffen von Reichtum aus ist, und dafür Schwieriges wie ein "Neues Denken" durchaus in Kauf nimmt.
Der Boni-Sündenfall
Chef der Citigroup ist übrigens Richard Parsons, ein Afroamerikaner, zwar einer der wenigen in einem sehr weißen Establishment, aber doch ein Kontrahent, der verhindert, dass sich Obama so verheddert wie in der "Einbruchs"-Affäre rund um den Harvard-Professor Gates, noch dazu einem Freund Obamas, wo sich der Präsident nur mit Hilfe eines ein wenig peinlichen "Beer"-Gipfels im Weißen Haus rausnudeln konnte.
Anlässlich einer unlängst bekanntgewordenen Bonus-Ausschüttung der wichtigen Citigroup hat Obama nämlich den wenig schmeichelhaften Begriff des "Alten Denkens" rausgeholt, das er für überkommen halte.
Was war passiert? Die US-Regierung hat in den letzten 12 Monaten Milliarden in Banken und andere bedrohte Großunternehmen gesteckt, ohne die womöglich/wahrscheinlich die US-Wirtschaft (und in der Folge die Weltwirtschaft) zusammengebrochen wäre. Ganz wie es in der Folge auch überall anders weltweit (auch in Austria) der Fall war.
Dass nun ein eh nicht besonders gut angeschriebener Player (die Citigroup) quasi aus diesen Hilfsgeldern Bonus- bzw Abschlagzahlungen finanziert wurden.
Die bewusst geringschätzig tönende Formulierung Obamas, der dieses Verhalten - recht unwidersprochen - als veraltet bezeichnet, ist ein Turnaround, ein beachtlicher noch dazu.
Und wohl genau, weil er so unaufgeregt daherkommt, läutet er ein neues Zeitalter ein.
In Wahrheit war's natürlich nie anders; nur halt nicht so offensichtlich. Es wurden immer staatliche Gelder dafür verwendet um Industrie und Konzerne zu sichern und entscheidend mitzufinanzieren. Jedes "da müssen wir aber unsere Fertigung ins Ausland auslagern!"-Erpressung zb immer ein Ruf nach staatlicher Stütze. Klar wurde die Sache erst, als die Krise des letzten Septembers dazu führte, dass die weltweiten Verluste sozialisiert wurden. Und genau deshalb ist die Privatisierung daraus entstehender Gewinne jetzt ein so simpel zu verstehender Verstoß gegen die neue Grundordnung.
Denn es spricht etwas aus, was bislang recht unsagbar war: dass die Unverschämtheiten, die sich der private Sektor leistet, genauso aufgegriffen, angeprangert und der öffentlichen Ächtung bzw Lächerlichmachung ausgesetzt gehören wie die der staatlichen Sektors.
Weil zwischen den beiden Sektoren (finanztechnisch wie moralisch) nämlich kein Unterschied mehr besteht: die eklatante Neu-Finanzierung der Säulen der Privatwirtschaft durch lassen ein neues Anspruchsdenken zu.
Solange die CEOs und Aufsichtsratsvorsitzenden ihr Selbsterwirtschaftetes hin- und herschoben oder verschwendeten, dann galt das bislang als ihr Privatvergnügen.
Seit dieser Einsatz aber aus Steuergeldern kommt, ist‘s damit vorbei.
Nein, Revolution ist das keine...
Natürlich wird dieser Wechsel der Ansicht keine akuten und drastischen Konsequenzen nach sich ziehen, es ist nur ein Auslöser.
Der nächste Schritt wäre der, dass sich Öffentlichkeit und Medien der Kapriolen der Wirtschaftslenker mit derselben Beharrlichkeit und kleinbürgerlichen Widerlichkeit annehmen würden, wie sie es mit jenen der Staatsangestellten tun.
Eine klassische Unverfrorenheit wie die deutsche Dienstwagenaffäre etwa soll muss und kann auch auf vergleichbare Ungehörigkeiten von Managern, deren Firmen mit staatlichen Geldern und anderen Unterstützungen vollgestopft wurden, ausgeweitet werden.
Da stehen die Medien in der Pflicht, die ihre Kontroll-Funktion nominell nicht einmal ausdehnen müssten - verstehen sie sich doch als Aufpasser was die Veruntreuung von Steuergeldern betrifft. Dass derlei durch einzelne Medien-Besitzer (selber Konzerne bzw Freunde von Konzernen) nicht gern gesehen wird, kann und darf keine Ausrede sein - da liegt es an einem mündigen Publikum derlei einzufordern.
... aber ein neuer Denkansatz
Übung genug hätte das österreichische Publikum. Musterbeispiel: die im Frühjahr medial groß aufgebauschte ORF-Debatte.
Ich will hier nicht dem galoppierendem Schwachsinn sich laienhaft in Bereiche einzumischen, von denen man nichts versteht, das Wort reden: es geht nicht drum inhaltlich mitdampfzuplaudern, sondern Auswüchse anzuprangern - egal wo sie vorkommen.
Denn sowas wie der Glaube an eine von allen Staaten unabhängige Privatwirtschaft ist naiv, und, ja "Altes Denken". Und fordert und fördert ein Denken, das die neuen und seit diesem Jahr auch für den Dümmsten offensichtlichen Zusammenhänge zwischen Staat und Wirtschaft zeitgemäß bewertet, und eben "neu denkt".