Erstellt am: 30. 7. 2009 - 15:56 Uhr
Journal '09: 30.7.
Ich bin ja großer Printmedien-Liebhaber. Deswegen ist die Gefahr, die diese Branche bedroht und bedrängt, und die törichte Ignoranz vieler aktueller Macher hier im Journal auch so oft Thema.
Frage: Was steht in Ihrem Gutachten über die österreichische Seele?
Reinhard Haller:
Die Sehnsucht nach Größe und Stärke; der Umstand, dass jeder verdächtigt wird, der sich weit exponiert; Neid. Es gibt auch einen melancholischen Zug und viel Selbstmitleid. Doch das Charakteristischste ist das enorme Interesse für das Zwischenmenschliche. Wir haben viel weniger Sachlichkeit als Deutsch-land oder die Schweiz, auch in der politischen Auseinandersetzung. Insofern ist es kein Zufall, dass Österreich die großen Psychotherapeuten hervorgebracht hat. Freud, Adler, Watzlawick und auch Ringel: Sie wurden ja quasi von Kindheitstagen an darauf trainiert.
Vorgestern hab ich zb wieder ausführlich aus einer Print-Erscheinung zitiert. Und gestern ist mir wieder einiges aufgefallen, in einem der längeren Sommer-Interviews in der alten Tante "Die Presse". Da sprechen einige, die sich merkbar nicht nach diversen Richtungen absichern und verbeugen müssen, offene Worte.
Der Gerichtspsychiater Reinhard Haller etwa - der sagt zb nebenstehendes. Oder die Philosophin Martha Butbul, die folgenden, zu selten gedachten oder ausgesprochenen Satz sagt: "Wer nicht stolz ist, hier zu leben, der soll dort hingehen, wo er stolz sein kann." Im Kontext des gesamten Gesprächs ist klar, dass das weder gehässig noch höhnisch gemeint ist, sondern ein zentrales Problem des Integrations-Komplexes benennt, indem es den nicht unwichtigen und positiv besetzten Begriff des "Stolzes" einbringt, anstatt von nationaler Identität oder Patriotismus klugzuschwätzen.
Aber noch ehe ich mir dann überlegt habe, ob und aus welchen Äußerungen ich was machen sollte/könnte/müsste, hat mich die Meta-Ebene überholt und mir folgende Frage gestellt: Ist es nicht ein wenig absurd, just im dem Blogismus das Wort redenden Web-Journal soviel Print zu zitieren? Und, weitergedacht: Wäre genau das nicht einmal eine Überlegung wert.
Eigentlich nicht, Meta-Ebene, wollt ich schon sagen, und auf meine Print-Sozialisierung hinweisen, als mir in dem Moment ein Gespräch eingefallen ist, das mir vor genau zwei Wochen (auf einem Fußballplatz) passiert ist.
Der "personal assistent"
Da hat mir nämlich ein Bekannter von seinen Plänen ab Herbst erzählt. Nach ein paar Jahren des hochprofilierten, aber doch ein wenig faden Repräsentieren und Budget/Auftragverteilens in der Privatindustrie steigt er nämlich in das womöglich vorderste österreichische Projekt im Bereich Marketing/Neue Medien ein; und will dort bislang höchstens vorsichtig angedachtes auch umsetzen. Etwa ein auf Österreich hingetrimmtes Ding, das wie die Huffington Post funktioniert.
Die funktioniert letztlich wie ein gutes Sieb, ein Aggregator, der genauer daherkommt als die Google-News, die dir mit einem beliebigen Suchbegriff halt alles aktuelle zum Thema bringen. Die Huff-Post selektiert und pickt sich die Zuckerl und interessanten Ansätze raus, kapert quasi die vielen weltweit bereitliegenden Links, um damit ihre Überschriften zu setzen, leitet den User dann allerdings weiter. Was für ein doch breites Massenpublikum allerdings immer noch recht unspezifisch ist.
Da ist mir dann - Assoziationskette ole! - der "personal Assistent" eingefallen, der in allen medialen Zukunftsvisionen eine zentrale Verteiler/Libero-Rolle spielt, und zuletzt hier vorgestellt wurde.
Die Idee: der Assistent (ein schlauer kleiner Chip) kennt uns und unsere Vorlieben und stellt aus dem gesamten multimedialen Angebot unser gewünschtes Menü zusammen.
Interessant ist die zunehmende Diskrepanz-Schere zwischen Ankündigung und Umsetzung: Dafür, dass man schon so lange von diesem Wunderding hört und so viel in Entwicklung investiert wurde, ist doch recht wenig weitergegangen.
Die Sache mit der Spezialisierung
Das kann damit zu tun haben, dass dieser Assistent die Aufgaben von generalistisch aufgestellten Medien übernehmen würde - die allerdings daran kein großes Interesse haben und über ihre Coorporations die Entwicklung bremsen. Es kann aber auch an der enormen Schwierigkeit der Diversifizierung liegen.
So, jetzt folgt keine weitere Assoziation mehr, aber es liegt genug auf dem Tisch.
In der Praxis funktionieren die kleinen Aggregatoren im Netz ja bereits.
Aber auch da ist nicht alles klar oder gar ausgereizt.
Ein Beispiel:
Für mich ist es nicht mehr notwendig die Sportseiten der Bundesländerzeitungen durchzuackern, um über das Geschehen in den einzelnen Fußball-Bundesliga-Clubs Bescheid zu wissen. Das steht immer verlässlich auf dieser Unter-Site des Sportkanals laola1.at.
Bloß: Wenn ich über die kleinen Mauscheleien und Personalien der Zweitliga-Vereine aus Vorarlberg (und das sind gleich vier) Bescheid wissen will, bleibt mir dann erst recht nichts anderes übrig als die VN zu lesen oder vol.at anzusteuern.
Und diese Diversifizierung und Spezialisierung wird es in jedem Bereich, von norwegischer Musik über alte französische Philosophie, von japanischer Gartenpflege bis ostdeutscher Politik, von tschechischem Kurzfilm bis zu chilenischen Spieleentwicklern geben. Und zwar in jeder Ausprägung.
Raus aus dem Call-Center-System
Derzeit würde das mit einem System gelöst werden, das an die Call-Center-Philosophie ("Dann drücken sie jetzt bitte die Eins!") erinnert. So ein "personal assistent" reicht vielleicht für die primitivsten Anforderungen des Mainstreams, in den Nischen funktioniert er aber nicht.
Da aber die "Nischen" in diesem Fall auch und vor allem die Interessen der herrschenden Klassen, der Entwickler selber betreffen, wird eine große Lösung gefunden werden - das ist garantiert. Schließlich geht es ja nicht drum die ausschließlich konsumorientierte Unterschicht mit leicht Handhabbarem vollzustopfen, sondern um eine komplette Systemumstellung. Und das dauert offensichtlich.
In der Zwischenzeit werden die Aggregatoren freie Hand haben und dieses "Assistenten"-Dasein üben.
Das Projekt meines erwähnten Bekannten wird deshalb (so es zustande kommt, man weiß ja nie) ein Test-Ballon sein. Zumal diesmal Österreich noch vor Deutschland dran sein könnte (was medial ja nicht das erstemal wäre...).
Und deshalb sind spezialisierte Klein-Aggregatoren, die - so wie meine erwähnten Sportfreunde - gezielt Infos auf einem Gebiet sammeln und anbieten, auch ein Teil der Zukunft. Ich denke aber, dass sie hier (und da komm ich auf das oben angeführte Haller-Interview zurück) nicht nur Fakten anbieten dürfen, wie das im angloamerikanischen Raum oder auch bei den Deutschen vielleicht reichen würde, sondern dem "enormen Interesse für das Zwischenmenschliche" Rechnung tragen müssen und auch Analyse und Einschätzung anbieten müssen.
Nicht im Sinn der Spezialisten-Blogs der alten Schule, sondern auf eine gewitztere Art, die eine schnelle Einschätzung der persönlichen Bedeutung der angesteuerten Sektion möglich macht.
Rein ins Zeitalter der Aggregatoren
Und so gesehen lässt sich auch die Frage der Meta-Ebene beantworten: Natürlich macht es auch im Web Sinn Print-Erscheinungen zu behandeln. Für die Generation der Gar-Nicht-Mehr-Leser und ihre Vorgänger, die Kaum- oder Schleißig-Leser (die diversen intensiven Reader-Scans der Printmedien zeigen da grauenvolle Verhaltensweisen der Nicht-Rezeption auch von Menschen, die sich als Leser bezeichnen würden, auf) sind kleine Aggregatoren durchaus hilfreich.
Künftig wird also nicht die Printerscheinung an sich, sondern die Aggregatoren-Leistung über ihre Wertigkeit bestimmen. Und das ist nichts, wovor man Angst haben sollte.