Erstellt am: 29. 7. 2009 - 13:36 Uhr
Fußball-Journal '09-63.
Im gestrigen Journal-Eintrag, einem im engeren Sinn politischen Eintrag, der von vielen Fußball-Journal-Lesern sicher nicht angeschaut wurde, war von der Unsinnigkeit des Resultats-Fetischismus die Rede. Der Experte Filzmaier mahnt an, dass "Österreich die Qualität seiner Demokratie gern anhand von Wahlergebnissen definiert." und führt die Unsinnigkeit dieser Annahme dann auch aus.
Im Fußball ist es natürlich dasselbe in Grün: die Qualität der Entwicklung einer Mannschaft oder etwa einer Liga oder eines Verbands lässt sich nicht ausschließlich über Spielergebnisse definieren. In den auch für den größten Simpel halbwegs zu überblickenden Ergebnis-Fetischismus zu flüchten, spiegelt nur die Faulheit wider sich mit mittel- und langfristigen Prozessen, mit Ursache/Wirkung zu beschäftigen und ist eins der Krebsübel des Sports, vor allem eine bei leicht zu hysterisierenden Funktionären weit verbreitete Krankheit.
Menschen ohne Gedächtnis
Das merkte am Wochenende auch Huub Stevens, der mit jedem Tag faltiger aussehende und missmutiger tönende Salzburger Coach, an. Nach der Niederlage seiner Truppe beim Außenseiter Ried grummelte er, dass sein Team die bessere Mannschaft gewesen wäre und erging sich in schlecht formulierten (seine Sprach-Finesse war, gefühlt, zu seiner Deutschland-Zeit schon einmal besser) Plattitüden der Marke "Wenn man gewinnt hat man alles richtig gemacht, wenn man verliert alles falsch."
Das Zynische an der Sache ist, dass Stevens letzten Mittwoch nach dem beschämend üblen Mist-Kick seiner Mannschaft genau dieses Recht noch für sich in Anspruch genommen hatte. Ein weiterer Beleg für den kompletten Realitätsverlust der das Unternehmen Red Bull Salzburg 09/10 bereits so früh torkeln und taumeln lässt.
Stevens glaubt also, dass er am Samstag das Gegenteil dessen, was noch am Mittwoch wahr war, erzählen kann, ohne drauf festgenagelt zu werden.
Und es gelingt, weil das Gedächtnis der Fußball-Medien keine drei Tage hält.
Nächtlicher Rerun-Marathon
Aus diesen Gründen hab ich dann ein Experiment gestartet. Ich war am Wochenende in St. Pölten und Linz unterwegs und Live/TV-Fußball-los. Ich habe nichts gesehen, nur nachgelesen, was passiert ist, in Print und Web.
Und da wurden für die fünf Spiele des Wochenendes ganz klare Erlebnis-Bilder transportiert.
Also hab ich mir gestern Nacht dreieinhalb der fünf Spiele angesehen um folgendes zu überprüfen: stimmt die Resultats-Fetischismus-These wirklich? Wird die Geschichte eines Spiels nach dem was dabei rauskommt erzählt (und funktioniert so nach dem politischen Prinzip der Geschichtsschreibung durch die Sieger) oder werden leicht überprüfbare Realitäten abgebildet?
Und, vor allem: wie groß ist die Diskrepanz zwischen dem Bild, das mir medial vermittelt wird und dem, was ich (nachträglich) wirklich sehe?
Spiel 1: LASK - Austria, vom Freitag
Ich bin da nach St. Pölten zum Beat Patrol-Festival (Beleg: eins davon ist meines...) gefahren, im Zug neben mir waren drei halbwüchsige Mädchen, Austria-Fans auf Auswärtsfahrt, gefangen zwischen Kicherei und hochgestochenem Mitvergangenheits-Gerede.
Angeblich war dieses 4:5 eine Sternstunde, packend und spannend ohne Ende, niveauvoll und herausragend, 7 Tore in einer Halbzeit, ein Wahnsinn!
In echt stellte es sich als, vor allem in der 2. Halbzeit, recht katastrophaler Hundskick heraus, der vor allem durch Fehlpass-Orgien im Aufbau und furchterregende Aussetzer, vor allem von Cavlina, Bak oder Alunderis dominiert und definiert wurde.
Klar ist: 7 Tore in einer Halbzeit sind kein Zeichen für Qualität, eher im Gegenteil. Das erinnert fatal an eine kurze Phase der Vorjahrssaison, wo man Torreichtum in Spielen voller Fehler mit Qualität verwechselte.
Der LASK war in der 2. Hälfte nicht auf dem Platz, was vor allem mit einem Coaching-Irrtum von Mathias Hamann zurückzuführen ist. Der stellte in der 54. Minute ein gut funktionierendes 4-4-2 auf ein 4-5-1 um und beraubte sich so der eigenen Stärke.
Immerhin: sowas ähnliches hab ich in einigen Medien gelesen. Bloß wurde das an der Person des ausgetauschten Mayrleb festgemacht - denn eine taktische Analyse scheuen die Mainstream-Medien ja wie der Teufel das Weihwasser, also wird vereinfachend personalisiert.
Hofmann wär gern einer, darf aber nicht, weil er rechts abhängen muss, Junuzovic und Acimovic teilen sich diesen Job, bei Sturm, dem KSV oder Salzburg gibt es das ähnlich Modell der zweiten hängenden Spitze, Rieds Drechsel steht zu tief, nur Magna hat mit Kolousek einen 10er an der Spitze der Mittelfeld-Raute.
Wenig hab ich in der Nachberichterstattung auch über die neue Rolle von Thomas Prager erfahren, der unter Hamann einen glatten 10er, einen Spielmacher gibt, wie ihn die Liga sonst in dieser Ausprägung und Qualität nicht hat.
Da stellt sich die Frage, wo die letzten Trainer in Linz ihre Augen, ihr G'spür oder was auch immer sie als ihre Antennen betrachten, versteckt hatten. Vielleicht hat Prager auch das Lob und die Nachfrage von Ex-Teamchef Brückner geschadet. Gut in jedem Fall, dass ein intelligenter Spieler jetzt auch intelligent eingesetzt wird.
Das von allen Nachberichtern allein wegen der Anzahl und der Folge der Tore aufgepimpte Spiel war in jedem Fall höchst unterdurchschnittlich; außer einer guten "Moral" und zwei, zumindest in der 1. Halbzeit, offensiven Systemen (also reinen Basics) war nicht zu sehen.
Spiel 2: Ried vs Salzburg, am Sonntag
Angeblich waren sie überlegen und besser. Nur mit Pech am Schluss hätten sie sich ein Tor der cleveren Rieder eingefangen.
Nein, das ist nicht die Salzburger PR, sondern das, was in der vereinigten Presse & Web am Sonntag zu lesen war.
Wobei: so groß ist der Unterschied zwischen diesen Partnern eben nicht...
In echt sah es so aus, dass Ried fast die gesamte Spielzeit über Kontrolle hatte, und das Spiel bestimmte. Unglaublich vorsichtig, aber deutlich merkbar.
Salzburg hingegen ließ nur die Instinkte zucken, war rein reaktiv, beließ es bei schnellen Kontern.
Erst ab etwa der 70. Minute wurde der Druck erhöht.
Das war deshalb zu wenig, weil auch noch die Standards schleißig waren und die Neuen einfach noch nicht harmonieren, man einfach schrecklich uneingespielt ist.
Und das ist wirklich eine Schande, vor allem für die Führung, die Verantwortlichen: jedes Jahr zu Saisonbeginn stellt man, wie der Ochs vorm Tor, aufs Neue fest, dass die alten Probleme von den hektisch reingeholten neuen Kräften nicht zu lösen sind. Die spielerische Gleichartigkeit aller verfügbaren Angreifer etwa ist nicht die Schuld der Spieler, sondern derer, die den Kader zusammenstellen. Und jetzt was von "Geduld!" daherseiern.
Wetten, dass nächstes Jahr um dieselbe Zeit dieselben Winseleien zu hören sein werden? Das Murmeltier lässt ja jetzt schon grüßen.
Spiel 3: Mattersburg gegen Rapid, am Sonntag
Angeblich handelte es sich bei diesem Match um ein Fußballspiel.
In echt war das, was Sonntag-Nachmittag im Pappelstadion abging ein Aufmarsch von Holzhackern, Posern und Häme-Beauftragten.
Angeblich hat der Schiedsrichter das Spiel verpfiffen und entschieden.
In echt haben dauerfoulende Akteure wissentlich eine geplante Widerlichkeit performt und so sich und die Zuschauer um ein Match geprellt.
Auch das Detail, dass Pehlis zweite Gelbe auf eine unglaubliche Dummheit von Patocka zurückzuführen ist, die er - mit den falschen Mitteln - auszubügeln versuchte, hab ich in der Berichterstattung vergeblich gesucht.
Null Punkte und 0:0 gehört so eine Unverschämtheit gewertet.
Und nachträgliche Sperren für alle Provokateure.
Denn neben den völlig zurecht vom Platz gestellten Pehlivan (schon in der 9. Minute mit dem Fuß nachrutschen um den Gegner zu erwischen, das geht nicht, sorry) und Maierhofer (der seine dauernden, mittlerweile bereits ekelerregenden Schwalben, seine theatralische Fallsucht, sein Posertum bereits so verinnerlicht hat, dass er womöglich schon selber dran glaubt; ein schlimmer Fall) hätten sich auch die Kollegen Hannes Eder, Heikkinen und Mörz (dauerprovozieren), Sedlak, Malic und Markus Schmidt (dauerderbfoulen), und auch die Herren Seidl, Katzer und Spuller durchaus den Ausschluss verdient.
Nirgendwo gelesen hab ich, dass Lederer den SVM mit drei Manndeckern und einem 6-1-2-1 aufs Feld geschickt hat.
In pathetischen Sätzen, die Rapids Gegenwehr mit zwei Spielern weniger gelobt haben, war sehr indirekt die Bewunderung für ein (funktionierendes!) 3-3-2 (!!) versteckt.
Dass die Partie vergiftet, zerhackt und grauenvoll mitanzusehen war, wurde in der Nachberichterstattung von Blabla über den Schiedsrichter überlagert. Als ob der Schuld am offenen Krieg war, der von der allerersten Minute an auf dem Platz herrschte.
Weils passt, das übliche Legionärs-Update: Andi Ivanschitz (83-10) ist in der Bundesliga bei Mainz gelandet, und das ist auch gut so. David Witteveen (85-05), Ex-Salzburger, hat es doch zu Heart of Midlothian nach Schottland geschafft. Problemboy Besian Idrizaj ist wieder auf der Insel, und zwar bei der Reserve der Blackburn Rovers.
Raus aus der Türkei: der alte Hanifi, Muhammed Akagündüz, von ManisaSpor zur Admira. Rein in die Türkei: der junge Sinan Neumaier (90-02) zu AdanaSpor in die 2. Liga.
Sargon Duran (87-01) der mir vor zwei, drei Jahren bei der Vienna extrem gut gefallen hat, ist nach Berlin, zu Tennis Borussia in die Regionalliga Nord gegangen. Und der lange Zeit arbeitslose Ex-U21-Keeper Marco Knaller (87-03, Sohn von Ex-Teamtormann Wolfgang) ist bei Kaiserslautern im B-Team (RL West) untergekommen.
Einiges tut sich im deutsch-österreichischen Grenzverkehr im U17/U19-Bereich. Dazu später mehr.
Unklar: Ernst Öbster zu RB New York? Markus Böcskör zu Vasas Budapest? Kai Schoppitsch zu RW Oberhausen?
Ein Jimmy Hoffer-Einschub
Dass dieses Ekel-Spiel der Abschied von Erwin "Jimmy" Hoffer war, ist - in der nachträglichen Betrachtung - umso bitterer. Lustig mitanzusehen, wie sich Ali Hörtnagls Mundwinkel vorabwissend kräuselten, als im Interview von einem möglichen Transfer zum SSC Napoli die Rede war und er (am Sonntag) noch nichts rauslassen durfte.
An dieser Stelle sei auch der doch noch gelungene und zwar zwei Preisklassen kleinere, aber ebenso erfreuliche Transfer von Kapfenberg-Kapitän Dominique Taboga nach Norwegen, zu Tromso, erwähnt.
Während der Instinktspieler Hoffer im instinktschwangeren Neapel ganz gute Karten hat sich zu einer internationalen Nummer hochzuspielen (Coach Donadoni und Club-Chef Aurelio de Laurentiis (ein Neffe aus der Film-Sippe), ist der kluge und kühle Taboga im strategisch gut gebildeten skandinavischen Raum ebenso gut aufgehoben.
Wir werden seine Zielraum-Interviews und seine Einwürfe vermissen.
Spiel 3,5: Sturm - Neustadt
Angeblich war's ein Spaziergang für Sturm.
In echt war's ein Glücksfall (durch eine frühe Führung und eine Entscheidung nach 30 Minuten) für Sturm, der zu einem Spaziergang ausgeartet ist.
Hier ist die Diskrepanz zwischen Nachberichterstattung und Nachhol-Anschauung durchaus gering. Das hat aber auch damit zu tun, dass Sturm - im Gegensatz zu den seltsam matten Darbietungen gegen Siroko Brijeg - den Gegner über die Flügel überrollte. Vor allem der statt dem schmollenden Muratovic eingesetzte Beichler kam auch gern über die Seiten (vor allem links), selbst Manuel Weber war nicht so oft zentral zu sehen.
Die 2. Halbzeit, ich geb's zu, hab ich nicht mehr gesehen - es war halb fünf Uhr früh und ich schon zu müde. Deshalb kann ich die These des Sturm-Fans Thomas1909, dass sein Team da immer zum wegwerfen wäre, nicht überprüfen.
Aber dem (dem strengen Thomas) sind Diskrepanz-Überprüfungen ja wurscht.
PS:
Vom gefinkelteren Diskrepanz-Problem zwischen Live-Berichterstattung und Realität vielleicht ein andermal mehr.
Manchmal fragen mich Menschen, warum "ich mir das antue", andauernd die letztlich selben alten Fehler und Missstände zu formulieren und dagegen anzuschreiben.
Dieser kleine Test trägt die Antwort in sich: solange die Diskrepanz zwischen deutlich sichtbarer Realität und der von Resultats-Fetischismus und PR-Notwendigkeiten verseuchten Nachberichterstattung so groß ist.