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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

28. 7. 2009 - 17:46

Ein amerikanischer Quilt

Ekstase mag beim Konzert von TV on the Radio in der Wiener Arena nicht so recht spürbar geworden sein, das vage Gefühl, dass man da gerade wieder eine der wichtigsten - und besten - Bands der Gegenwart gesehen hat, schon.

Alle Fotos: Flo Wieser, shootingmusic.com

Wölfe! Seit Jahrhunderten schleichen sie durch Mythologie und Märchen, meist übel beleumundet, nix Gutes im Schilde führend, nur um in den letzten ein, zwei Jahren in der schicken Airbrush-Ästhetik vom Flohmarkt ihren Weg auf die T-Shirts vieler, vieler junger Menschen zu finden. Links hinten im Bühnenhintergrund, kaum sichtbar, sitzt Gerard Smith, Bassist und Tastenmann von TV on the Radio, hinter seinem Pult, die Vorderseite ist mit einem großen schwarzen Tuch verkleidet, auf dem, nicht ganz klar erkennbar, ein Wolfskopf in ebenjenem weichgezeichneten Pinselstrich zu prangen scheint. Oder ist's doch ein Schäferhund?

"My Mind Has Changed/My Body's Frame, But God I Like It", singt Frontmann Tunde Adebimpe, hinter einer kleinen Synthesizer-Station in der Bühnenmitte stehend, "My Heart's Aflame/My Body's Strained, But God I Like It". Mit Rufzeichen! "Wolf Like Me" heißt das Stück, das zentrale Stück auf "Return to Cookie Mountain", dem zweiten (regulären) Album von TV on the Radio, der Song, mit dem die New Yorker Band der Idee "Hit-Single" nahe wie selten ist, der Song, der im Text den inneren Kampf des Protagonisten, die Zerrissenheit verhandelt, wenn der Fluch und der Vollmond den wohlerzogenen, denkenden Mann in den Werwolf, das Biest, die Energie transformieren. Unter Schmerzen. Das Herz brennt, die Brust tut weh. "But God I Like It!"

tv on the radio

florian wieser

Tunde Adebimpe, Patchwork im Hintergrund

Die Arena ist ausverkauft, dementsprechend voll ist die Halle und mancherorts dementsprechend schlecht die Sicht: "Tschuldigung, wir sitzen da schon seit einer Stunde", sagen die Menschen auf dem Rockkonzert, die hinten auf den Stufen sitzen nicht ganz zu Unrecht, sollte man sich einmal kurz in ihr Blickfeld schieben. Im Bühnenhintergrund ist ein die gesamte Wand verdeckendes Tuch angebracht, aus mehreren kleineren bunten Fetzen, Streifen, Fahnen zu einem großen Patchwork zusammengeflickt. Auf der linken Bühnenseite tappst Kyp Malone mit mächtigem Bart, rechts bearbeitet Soundminister David Sitek Gitarre und elektronisches Gerät sowie ein für die Live-Shows hinzugeholter, an dieser Stelle leider unbekannter Herr sein Saxofon und diverse Blasinstrumente. Jaleel Bunton verrichtet im Hintergrund sein Werk an den Drums.

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Sounds Of Science

Auch wenn der große Saal der Arena an diesem Abend ohnehin schon gut mit Endorphinblitzen durchzuckt wird, geht bei "Wolf Like Me" erstmals gröbere Aufregung durchs Publikum. Mitsingen, Hände-Über-Dem-Kopf-Zusammen-Klatschen, Schunkelschunkel. Der Song ist mit Startplatz Nummer 6 in der Setlist in einem regulär 12 Songs umfassenden Programm also im Herzen positioniert. Davor und danach liegt der Schwerpunkt des Abends, grundsätzlich vorhersehbar zwar, in seiner Übermacht dann doch überraschend, voll und ganz auf dem im vergangenen Jahr erschienenen Album "Dear Science": In der ersten Hälfte etwa von "Love Dog", einem grandiosen, zart die Erwartungen hochköchelnden Opener, über die Single "Golden Age" hin zu "Crying", einem Höhepunkt von "Dear Science". Die filigran ausbalancierte Studiobastelei, ein entscheidender Faktor bei TV on the Radio, wo sich zwischen aufgeriebenen Rhythmen und Noiseflächen immer wieder fein geschnitztes Ornament herausbildet, bleibt beim Livekonzert weitgehend auf der Strecke, was auch am bisweilen sumpfigen Sound liegen mag. Und so wird das Programm verstärkt Richtung Rock gedrechselt. Kyp Malone und David Sitek errichten dichte Gitarrenwände, die, was Schlieren aus Krach und, Gott bewahre, Shoegazing, dem Werk von My Bloody Valentine zur Ehre gereichen. Wie sich Malone und Tunde Adebimpe dabei gesangstechnisch die Harmonien zuspielen, ist ein zartes Wunder und Adebimpe ein gut gelaunter Ausdruckstänzer vor dem Herren, Entertainer sowieso: "It is really hot tonight!" und "You guys are experiencing a special night!" Da hat er recht. Zweimal.

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florian wieser

Kyp Malone

Brave New World Order

Zu großen Stücken hat es die Welt einer Band wie TV on the Radio zu verdanken, dass aktuell, es soll hier ein letztes Mal erwähnt sein, die öden Schranken zwischen den so genannten "Genres"endgültig aufgehoben scheinen. Als Ansatz geht jetzt immer alles und überall, und groß vor Begeisterung vom Pferd fallen muss da auch niemand mehr, wenn junge englische Rockkids, neben der Gitarre auch zum Sampler und zum Glowstick greifen oder ein paar Ivy-League-Boys Ahnungen von Afropop in ihre schöne Indiemucke hineininkorporieren. In der Musik von TV on the Radio wird die Utopie Realität, dass die doofen Codierungen von "weißer" - also vornehmlich Rock'n'Roll - und "schwarzer" Musik endlich als Irrtum erkannt worden sind. Ja, TV on the Radio versenken Doo-Wop- und Barbershop-Gesänge und gottgleiche Harmonien im Morast von No Wave, ja, TV on the Radio führen Gebrutzel von der Festplatte mit Jazz und Soul und Afrobeat zusammen. Das ist kein kultureller Stil-Crossover, keine bemühte Dringlichkeit, bei TV on the Radio ist das Selbstverständlichkeit und es ist gut so. Und man soll ja nicht, nie, niemals nicht, vergessen, dass der Rock'n'Roll nicht von Elvis, dem Weißen, erfunden worden ist.

Richtige Songs War Besser

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florian wieser

Vom schrottigen Herumprobieren am 4-Spur-Gerät der Anfangstage, über das erste Studio-Album "Desperate Youth, Blood Thirsty Babes", auf dem die verschiedenen Formen und Stile noch relativ intakt und separat voneinander nebeneinander existieren, haben TV on the Radio bis heute einen dicht geschichteten Trademark-Sound entwickelt, aus dem überhaupt nicht mehr etwaige "Einflüsse" herausdividiert werden müssen, sondern der als wild wuchender Gesamtklang mächtig im Raum steht. Und so hangelt sich die Band beim Konzert in der zweiten, noch rocklastiger angelegten Hälfte mühelos vom betont funky Stück "Red Dress", über das hymenhaft getragene "Young Liars", ein Höhepunkt des Abends, hin zu dem mit Blues-Tradittionen spielenden "Blues From Down Here" oder dem sexy aufgekratzten Popsong "DLZ", dem Endpunkt des regulären Sets.

Saftlos bleibt der Abend dennoch stellenweise, es mag daran gelegen haben, dass TV on the Radio vor einigen Monaten erst mit einem famosen Konzert in Wien gewesen sind, oder aber, es ist der böse Fluch des Radiohead-Syndroms, dass wir es mit TV on the Radio mit einer Band zu tun haben, die auf theoretischer Ebene das Allerbeste ist, was es so geben kann, eine Band, die zu mögen cool und Pflicht ist, uns emotional vielleicht bisweilen aber kalt lässt. Wenn dann aber die Zugabe mit dem Gospel von "Family Tree" beginnt und schließlich in "Staring At The Sun", den größten "Hit" der Band, mündet - wenngleich auch ein bisschen matt dargebracht - beschleicht uns wieder, langsam, die Gewissheit, dass TV on the Radio eine Band ist, die man so richtig gern haben soll. Auch wenn sie uns nicht immer gleich mitten im Herz erwischt. Und ach ja, falls man es noch nicht gewusst hat: Die Hautfarbe von vier Fünfteln TV on the Radio ist Schwarz, bei einem Fünftel Weiß. In case you cared.