Erstellt am: 26. 7. 2009 - 23:02 Uhr
Journal '09: 26.7.
Das war so: im Rahmen einer Linz 09-Outdoor-Aktion sorgt die Freundin der Freundin der Freundin dafür, dass wir uns eine sehr roughe akustische Blues-Band anhören. Dann spielen sie ein Cover eines Klassikers und die Freundin erzählt, dass das eines der Stücke gewesen wäre, die auf ihrer allerersten selbstaufgenommenen Cassette überhaupt draufgewesen wäre, damals, vor 15, 18 oder so Jahren, also so in den beginnenden 90ern.
Ich kann das nachvollziehen, weil's davor auch nicht anders war. Und die ein bisschen Jüngeren, die die 90er noch als Eintrittsalter in die Welt des Verbotenen und Argen erlebt haben, auch.
Alle anderen, die digital Natives, verstehen wahrscheinlich nur Bahnhof: Cassetten? Stücke aus dem Radio aufnehmen, weil es sonst keinen oder nur teuren oder mit der Kontaktaufnahme mit Älteren verbundenen Zugang gab?
Klingt heute komplett absurd - so wie vieles an Medien-/Musikhör-Verhalten.
Und es ist ein durchaus beliebtes Gesellschaftsspiel der Generation des Übergangs, also all jener, die beide Welten erlebt haben bzw. erleben, sich da über die Unterschiedlichkeit der Kulturtechniken auszutauschen, egal ob anekdotisch, philosophisch oder, im schlechten Fall, nörglerisch.
Aber wie immer in diesen Fragen geht es nicht nur um die Tools und die Technik - das ist nur die Oberfläche - sondern um den Zugang zu Wissen, und damit auch um den Zugang zu Lernen.
Und da zieht die Allgegenwärtigkeit der Information und die permanente Verfügbarkeit von Wissen allerlei Probleme nach sich. Und die Veränderung dieser Kulturtechnik der Herangehensweise an Interessantes erklärt womöglich eines der Grundgefühle, das die Digital Natives ein wenig quält, als wär's ein schlechter Traum. Dieses Gefühl der Wert- und Sinnlosigkeit, als wär alles schon gedacht, formuliert, in Songs oder Film verpackt, ironisiert, transformiert und -szendiert worden, als wär nichts mehr da, an weißen Flecken, die für die aktuelle Eroberung und Neukartographierung bereitsstehen würden.
Und zwar ganz abgesehen davon, dass ich dieses Grundgeühl für trügerisch halte - weil die weißen Flecken weitflächiger sind, als viele meinen.
Die Sehnsucht nach dem Unsicheren
Aktuell ist es so: wenn ich etwas brauche, geh ich ins Netz, such es mir zackzack raus, greife dabei auf die schnellste Verbindung und die am griffigsten klingende Zusammenfassung zurück. Wenn ich Glück habe, bin ich in Besitz eines originären Ansatzes oder Zugangs und kann über den etwas einfließen lassen, was nicht jedem bekannt war.
Ein paar Minuten später ist das Ding fertig; egal welcher Natur es ist.
So kann ich alles behandeln, wurscht ob eine These, einen Film, ein Stück Musik oder ein Spiel.
Und es ist gut so.
Einerseits.
In der zuvor beschriebenen Cassetten-Ära war der Ansatz im Prinzip derselbe. Bloß: um an die Verbindung zu kommen gab's im prädigitalen Zeitalter Mühsamkeiten wie Bibliotheken, Programm-Kinos, Spezial-Plattenshops oder Brieffreunde. Und die griffige Zusammenfassung für Dinge außerhalb des Mainstreams war in einer weltweit recht geringen Anzahl spezifischer Medien existent, von denen man in Österreich auf vielleicht eine Handvoll zurückgreifen konnte. Und nicht sofort, sondern per Bestellung, mittels einer antiquierten Kulturtechnik namens "Warten".
In einer solchen Umgebung sind dann plötzlich Mythen und Hörensagen wichtige Impulsgeber. Ein Bekannter des großen Bruders des Klassenkollegen, der eine Band einmal live gesehen hatte, wird da zu einem Zeugen, der im Schneeball-System dann hunderte Menschen mit einem persönlichen Eindruck versorgt, weil es eben keine Chance auf ein Youtube-Snippet gab.
Jemand, der einen hierzulande noch nicht veröffentlichten Film gesehen hat, kann bis zu zwei Jahre von seinem Vorabwissen zehren, weil sich eben niemand bits & pieces runderladen konnte.
Das war, was die Durchlässigkeit bzw. die Demokratisierung von Meinung/Zugang betraf, durchaus nicht wirklich gut so.
Einerseits.
Die Sehnsucht nach dem Nicht-Wissen
Andererseits führte das viele Nicht-Wissen, das viele Sich-was-Zusammenreimen-müssen natürlich auch dazu, dass die wenige vorhandene Information genau studiert wurde.
Wer irgendwo in der Pampa saß, und ein bestimmtes heißgeliebtes Stück Musik, oder Info-Schnipsel über die Interpreten, oder gar ein ausländischsprachiges Buch zum Thema ergattern konnte, ackerte das durch. Bis zum Auswendigkönnen.
Das ist angesichts der heutigen Möglichkeiten so sehr nicht notwendig, dass es - logisch - auch nicht mehr passiert.
Aber genau dieses doppelte "Einerseits" hat auch ein genauso doppeltes "Andererseits" als Kehrseite der Medaille.
Der fast ehrfürchtig zu nennende Umgang mit der spärlichen Information führte zu einem vertieften und intensivierten Zustand, einer beseelten Anteilnahme, einem fast mystischen Zugang nahe der Verklärung.
Und, peitscht mich, aber ich halte diesen Zugang für den dem Teenager/Erwachsenwerdenden, der die Neukartographierung der wilden anderen Welt da draußen in Angriff nimmt, am optimalsten entsprechenden.
Ich brauche keine Horde an Wiki-mäßigen Bios und keine hunderte laufenden Bilder um den Künstler X oder das Werk Y oder den Pimperlsong Z, der mir nicht aus dem Kopf geht, geil zu finden. Es reicht ein Anstupser, ein bisschen ungefähre Info und den Rest erledigt die Fantasie, die Zuschreibung.
Letztlich führt die Überinformation eh zum selben: der Zuschreibung, weil man wegen Overload erst recht wieder alles wegdrängen muss um zum Kern vorzustoßen.
Nur: diese Arbeit ist viel schwerer zu bewerkstelligen als die Position des Wenigwissenden in die Sphäre des Geheimnisvollen hochzuboosten.
Die Sehnsucht nach der Anstrengung
Und um genau dieses, der neuen Generation, der bereits vom digitalen Zeitalter Geprägten bereits unbekanntes kollektives Wissen, nein, um dieses kollektive Gefühl der Vorgängergenerationen trauern sie, die in diesem Jahrtausend Sozialisierten.
Sie wissen oft nicht, was es ist, weil sie es ja nicht kennen, aber sie spüren, dass da einmal etwas war, was genau ihnen als erste Generation nicht mehr zuteil wurde.
Das tut weh, klar.
Und deshalb fühlen sie sich manchmal auch so matt.
Kar, sie haben, aus der Sicht der im vorigen Jahrtausend zusammengeschraubten, alle Vorteile in der Hand: sie verfügen über die Mittel, die Tools, das Wissen um die Zusammenhänge und die Leichtigkeit der Anwendung.
Da stecken sie alle anderen zehnfach in die Tasche.
Sie mussten sich aber nie ernsthaft anstrengen um die Dinge, die sie lieben, für sich zu entdecken, zu erforschen und in grabblerischer Kleinarbeit Teile zusammenzutragen, aus denen man sich dann einen doch sehr privaten Altar zusammenbasteln konnte. Ihre Altare sind vorgestanzt und an Werbepartner verkauft, also öd.
Genau das, was die Älteren ausschließlich als Fortschritt sehen, ist für die Jüngeren auch ein Verlust. Ein Verlust um das irgendwie in einem historischen Nachhall noch präsente Wissen um die Lust an der Anstrengung der Wissensbeschaffung.
Dass diese andere Kulturtechnik auch die Niederschrift an sich forciert hat und damit die Formulierungsfähigkeit befördert hat, ist eine andere Geschichte, die irgendwie in eine sinnvolle Bildungsreform einfließen sollte.
Im übrigen ist die Sehnsucht nach diesem Nachhall, nach diesem Echo aus dem zweitem Jahrtausend in wohl zwei bis drei weiteren Generation erledigt. Nur so ein weiteres Zwischendurch-Phänomen in diesem Jahrzehnt des Übergangs.