Erstellt am: 27. 7. 2009 - 07:00 Uhr
Frust-Tagebuch: I hate you forever
"I’ll never go back to this sad place again", dachte ich mir, als ich vor genau zehn Jahren meinem Zuhause am Bodensee den Rücken zuwandte. Gerade einmal zehn Jahre! Zwei Drittel meines Lebens verbrachte ich am Bodensee, ein Drittel in Marburg, Düsseldorf und Hamburg. "Oh, how I hate you small town", sang Domotic mir in den Jahren nach dem Wegzug oft aus dem Herzen. Aber erst seit meinem Umzug nach Halle weiß ich den süßen Schmerz dieses süßen Songs zu schätzen und fürchten. Ich brauch keine weiteren zehn Jahre mehr, um mir sicher zu sein: Nie wieder zurück in die Provinz. Wirklich?
Was hat Domotic eigentlich zu diesem Lied bewogen?
"Hey, here are some answers", schreibt mir Stéphane Laporte aus seinem Büro in Paris. Vorweg, das ist ein ziemlich alter Song von mir, ich musste mich erstmal dran erinnern, was er für mich zu der Zeit bedeutete ... Die Lyrics sind ziemlich einfach, nur drei Zeilen, es ist so eine Art Mantra, das ich immer und immer wieder singe. Es geht um einen Ort, der voller unangenehmer Erinnerungen ist und die Hoffnung, nie wieder zurück zu kehren. Der Song ist voller Ärger und Hass - aber auch voller Hoffnung. Er hält die Zukunft offen: Will I hate you forever? Wie werden sich meine Gefühle hinsichtlich dieser Stadt mit der Zeit verändern?
Das waren ziemlich peinliche Umstände, in denen ich "I Hate You Forever" geschrieben habe. Ich hab im Auto meiner Eltern auf sie gewartet und dabei ihre CDs durchgehört. Eine davon war "The Best of Cock Robin". Ich skippte mich durch die Songs und Intros und stolperte dabei über einen Track mit einer wirklich kitschigen Fläche. Ein paar Monate später machte ich mich an einen Song mit diesem Sound. Sofort hatte ich die erste Zeile: I’ll never return to this sad place again, rang dann aber noch mehrere Monate um weitere Worte, scheiterte und sing jetzt also diese Zeile immer und immer wieder.
Für das Video hab ich mir überlegt, ein klassisches Rockvideo zu einem Elektro-Track zu machen. Ein paar Freunde vom Active Suspension Label halfen mir dabei: O. Lamm, Davide Balula, Pokett.
Über was ich da singe ist etwas ziemlich Persönliches. Etwas, das zu einem bestimmten Punkt in meinem Leben gehört. Wahrscheinlich gibts irgendwo Leute, die Songs darüber schreiben, wie sehr sie Großstädte hassen. Mein Problem damals war, dass ich als junger Mensch in einer Kleinstadt lebte. Ich hab ganz offensichtlich alle Schuld auf die Stadt geschoben ... und damit das ganze "jung und unzufrieden sein" außen vor gelassen. Eine sehr persönliche Sache ...
Ich hab mich gelangweilt, fühlte mich abseits, allein ... typischer Teeniekram! Ich war mehr oder weniger immer in dieser Kleinstadt. Es ist langweilig, wenn alles, was du kennst, diese Kleinheit ist. Man braucht neue Horizonte. Ich glaub, es ist ganz normal, unzufrieden zu sein, wenn man jung ist. Es ist wahrscheinlich einfach nur noch langweiliger und noch blöder in Kleinstädten. Letztlich bin ich nur wegen meinem Studium weggezogen, und um ein wenig frische Luft zu schnuppern. Jetzt leb ich in Paris, einer viel größeren Stadt, wo es viel mehr zu tun gibt. Aber in Wirklichkeit mach ich nicht viel - außer arbeiten.
Was ich zum Leben brauch sind Freunde, Kultur, Essen, Raum, Komfort und Stille. Keine Ahnung, vielleicht hängt das alles vom Alter ab und wo man Leben muss. Vielleicht werde ich einmal in einer sehr kleinen Stadt glücklich, wer weiß. Jetzt lebe ich in Paris. "Seitdem hab ich auch kein anderes Mal die Kleinstadt besungen."
Domotic zeigt sich versöhnlich. So weit bin ich noch nicht. Ich habe - vor meinem Umzug nach Halle! - noch oft mit mir gerungen und mich gefragt: 20 Jahre Bodensee, ist das für immer eine Herzfessel ans eigene Dorf? Wenn mich Freund P. neckte und mich meine Eltern fragten: Kannst Du dir vorstellen, jemals wieder an den See zu ziehen, dann sträubte es sich in mir. Zwar konnte ich ganz klar und fest sagen: Nein! Aber ich war mir nicht sicher.
Das hat sich in Halle geändert. Ich habe den Blick auf die wichtigen Dinge gerichtet, maß den Druck und spürte die Zwänge, nahm sie wahr, wie räumliche Enge und sage jetzt "Nein, ich will hier nicht sein." Weil ich hier nicht sein kann.
Das nächste Mal rege ich mich dann darüber auf, wie schwer es ist, in Halle was ordentliches zu essen zu bekommen. Ohne Essen keine Kotze. Ein Paradoxon.