Erstellt am: 23. 7. 2009 - 19:06 Uhr
Journal '09: 23.7.
Der Auslöser: die Will i mohr?-Geschichte.
Die Diskussion: Sprache und Sensibilität
Reaktion, incl Werberat-Prüfung: zb auf standard.at
Ehrlich, ich hatte nicht gedacht, dass das notwendig sein würde.
Denn eigentlich ist alles sonnenklar.
Jemand macht ein rassistisches Stereotyp aus, thematisiert es, erklärt die Geschichte dahinter und lässt alle Beteiligten zu Wort kommen, die dann Position beziehen. Wie in jedem Diskurs, egal ob politisch oder privat, egal ob zum Thema Hochfinanz oder Eifersucht.
Darüber kann man dann inhaltlich diskutieren, unter Berücksichtigung dessen, was ich ein "kollektives Bewusstsein im Vermeiden von Herabwürdigung" nennen würde.
Das klappt aber überraschenderweise gar nicht.
Was darauf folgt ist eine Flut von Postings, die gar nicht wirklich auf die Geschichte und das Gesagte reagieren, sondern auf ein sehr diffuses "Dahinter". Deswegen läuft die Diskussion im Forum zu Will i mohr? (aktuelle Postinglage: 1200 and counting) auch so emotional, besser: hysterisiert ab. Und offenbart einiges.
Ich würde nicht meinen, dass diese, an sich alte, verbrauchte und längst ausgereizte Debatte der Beleg dafür wäre, dass Österreich "bereits gekippt" ist, wie einige Leser es (in Anspielung auf meine kleine Prognosen-Reihe schreiben. Ich glaube auch nicht, dass dies ein Punkt ist, an dem die FM4-Community kippt, wie das Arthur Einöder halbironisch, halbernsthaft angemerkt hat.
Anläßlich dieser Geschichte, einer aus vergleichsweise harmlosem Anlass, manifestiert sich eher zufällig die alte Denkschule Österreichs, zeigt sich wie wenig weit nicht nur der Mainstream, sondern auch die sonst recht bewusst agierende Community ist.
Die wohlschmeckende Süßspeise
ist ein heimischer, wohl zentral Wiener Klassiker und ein schöner Beleg für eine Traditionslinie. Jeder, der die letzten Wien-Museum-Ausstellung über die hereingeholten Traumreisen in die Exotik gesehen hat (und es waren einige Hunderttausende) kennt die Geschichte der nachgebauten afrikanischen Dörfer, der Aschanti und die spätestens hier fixierte Beziehung des Wieners zu den mit Exotismen aufgeladenen Schwarzen. Diese Geschichte lebt nicht nur im Mohr im Hemd oder im Meinl-Signet, sondern auch im Mohrenbräu-Bier und etlichen anderen Konsumgütern fort und hat tiefen Einfluss auf unsere Betrachtungsweise den Afrikanern und allen mit ihnen ohnehin automatisch gleichgesetzten Menschen schwarzer Hautfarbe gegenüber.
Natürlich wurde und wird dieses aus staunendem Begaffen einer fremden Kultur entstandene Beziehungs-Bewusstsein seit damals als domestizierte Variante von Rassismus gesehen, als eine Art Anwaltnahme, die sich in der meist literarischen Bewunderung des "edlen Wilden", des Sauvage, ergehen.
Die beliebteste Definition der Österreicher ist und bleibt aber die des deutschnationalen Antisemiten und Wiener Bürgermeisters (1897-1910) Karl Lueger: "Wer a Jud is, bestimm I!" war sein Credo. Und das lässt sich problemlos auf alle und alles umlegen.
So differenzieren heutige Populisten ja auch zwischen "guten" und "bösen" Ausländern; und so geht es auch mit den seit leider 100 Jahren mit derselben Unüberlegtheit angewandten Begriffen: "Was da geht und was nicht - das bestimm i!"
1909, als sich die Mehrheitsgesellschaft noch über den hegemonialen Anspruch und die Kolonialisierung definierte, war das kein Thema.
2009 sollten die Ansprüche andere sein.
Traditionelle, rassistisch aufgeladene Ausdrücke
sind keine vom Aussterben bedrohte Vogel- oder Dialekt-Unterart, sondern bewusst nach dem Prinzip der Herabwürdigung konstruierte Herrschaftsmechanismen.
Es ist dabei egal, ob man als Ursache den psychologischen oder den soziologischen Ansatz sieht - die begleitenden Begriffe sind der letzte aktive Schutzwall hinter dem sich die geistig Beschäftigungslosen einbunkern.
Deshalb diese Reaktion.
Deshalb das gekünstelte und ertappte "Staunen" darüber, dass jemand - das von Patina und Taubendreck nur unzureichend verdeckte - Prinzip der Herabwürdigung erkennt und anzweifelt, die vorgebliche und bigotte "Verblüffung" darüber, dass jemand anderer diese nach dem Prinzip der bewussten Verächtlichmachung entstandenen Begriffe auf ihren eigentlich Kern reduziert und dekonstruiert, und deshalb das outrierte Entsetzen darüber, dass andere, womöglich durch Beschäftigung oder familiäre Betroffenheit Sensibilisierte diese Dinge anders sehen als es den unreflektierten Vertretern der österreichischen Mehrheitsgesellschaft in ihren Elternhäusern mitgegeben wurde. Elternhäuser, deren denkerische Eigenständigkeit und Widerständigkeit in den letzten 100 Jahren in allzu engen Grenzen hielten.
Komischerweise wird hier komplett unhinterfragt der Blödsinn und Dreck der Vorgänger-Generation übernommen - als wär das bei anderen Dingen (zb Fragen der Moral oder der Technik) auch so. Ist es nicht: da wird gerne (und zu recht) angezweifelt.
Das Prinzip der - im Denken der Mehrheitsgesellschaft, vor allem aber auch im Denken der jungen Mehrheitsgesellschaft - liebenswerten Herabwürdigung (ich habe ja nichts gegen Neger ...) wird behandelt als wär's der Lieblings-Teddy, dem der Mistkübel droht, weil Mama ihn als unrettbar empfindet.
Genau dieser Punkt ist es, der mich staunen macht.
Hier hätte ich der Hörer/Posterschaft mehr Reflexions-Potential zugetraut. Nicht der durch die Verlinkung auf ORF-Debatte und im Standard.at hereingefluteten Profi-Provo-Kampfposter aus dem Umfeld der Old-School-Rassisten, Führer-Verehrern und den Vorfeld-Organisationen der populistischen Anheizer - sondern die stinknormalen, zumindest per Postennamen bekannten FM4-User, also an sich freimütig und zumindest nicht unkritisch denkenden Menschen, denen jederzeit ein schlauer Gedanken und eine Teilnahme an einer inhaltlichen Diskussion zuzutrauen ist.
Selbst die zerren (teilweise) an den alten rassistischen Stereotypen als wären es die erwähnten Teddys, die ihnen Unmenschen (FM4 sowieso und natürlich Black Community Aktivisten) wegnehmen würden.
Dass diese alten Spielzeuge tatsächlich mit Dreck aus den Untiefen des kolonialen Rassismus kontaminiert sein könnten, wird nicht einmal in Erwägung gezogen.
Erschreckenderweise wird dabei eine Argumentationslinie aus der Mottenkiste gezogen, die in einem popkulturell aufgeklärten Kontext (und das ist dieser Raum hier fürwahr) nichts verloren hat: die der Begriffsumkehrung.
Ein Beispiel eines Posts einer zutiefst unverdächtigen Person: "In meinem Bekanntenkreis sind einige, die sich selbst als 'Nigger' bezeichnen."
Au weia.
Ich darf kurz einen großen Aggregator zitieren: "Wie bei einigen ursprünglichen Beschimpfungen finden diese durchaus eine gewisse Akzeptanz, so lange sie in Freundesgruppen oder unter Betroffenen verwendet werden. So auch mit der Bezeichnung Nigger, die Afroamerikaner untereinander durchaus freundschaftlich-zuwendend verwenden. Auch wollen Teile der Hip-Hop- und Jugendkultur die Bezeichnung als ironische Aufwertung im Sinne einer freundschaftlichen Beleidigung gegenüber Freunden oder Kumpels verstanden wissen. Alle bedeutenden Lexika weisen den Begriff, wenn von Weißen verwendet, weiterhin als hochgradig beleidigendes Schimpfwort aus. Wird das Wort von einem Weißen gebraucht, handelt es sich um eine schwerwiegende rassistische Beschimpfung."
Auch das ist, allerspätestens seit der allerersten Beschäftigung mit Hip Hop in den 80ern, und seitdem in jeder Rezeptionsgeschichte zu jedem halbwegs bedeutenden Artist eine Selbstverständlichkeit.
Ariel Muzicant darf einen Judenwitz erzählen - wenn es Thomas Prinzhorn tut, wird er von Bundespräsidenten als Minister abgelehnt.
Deph Joe darf zu seinem Kumpel "Hallo, mein Neger" sagen, wenn das die Standard-Anrede österreichischer Polizisten ist, dann gibt‘s ein Problem.
Die FMQueer-DJs dürften sich als Schwuchteln bezeichnen, wenn ein mittlerweile geläuterter deutscher Rapper andere als Schwule anpöbelt, dann fahren wir ihm schon mal deutlich übers Maul.
Wenn ein Rom einen Sinto "Zigeuner" nennt, dann ist das okay - weil die Umkehrung von Beleidigungen, die Neudefinition von Herabwürdigungen seit Jahrhunderten eine sinnvolle Strategie Unterdrückter ist - in Wahrheit die einzige Chance mit diesen Begriffen, an die dermaßen viel historisches Leid und Unrecht getackert ist, umzugehen.
Franz Fuchs hingegen hatte dieses Recht nicht. Keines der angesprochenen.
Es ist eigentlich ganz einfach:
Luegers Zeiten sind vorbei.
Die Kolonialzeit ist vorbei.
Der vielfältig rassistische Nazi-Terror ist vorbei.
Damals galt kein Menschenrecht.
Heute schon.
Und es schützt in erster Linie die Minderheiten, egal welche Gruppe, egal ob es sich um eine Konfession, einen Lebensstil, um Hautfarben oder sonstwas handelt.
Der Demokratie-Indikator jeder Nation wird international darin bemessen, wie effektiv die Minderheiten-Rechte geschützt sind.
Das Konzept der Rasse ist sowieso längst überholt.
Es ist ein dürftiges Konstrukt des Spätmittelalters, das im 19.Jahrhundert aus machtpolitischen Gründen aufgebauscht wurde, mittlerweile als wissenschaftlicher Unsinn entlarvt und spielt selbst in der Hundezucht keine Rolle mehr.
Und es kann keine ernsthafte Rolle im heutigen Denken mehr spielen, mitsamt seinen kindlichen Auswüchsen und Rückzugsräumen, in denen "Mohren im Hemd" als letzte Bastion einer noch im gedanklichen Kolonialismus steckenden Pseudo-Ideologie angesehen und mit der Verbissenheit von Kleinkindern geführt werden, die um ein Küberl voll Sand greinen, das man ihnen weggenommen hat, weil giftige Würmer drin waren, an die sie sich doch schon so gewöhnt hatten...