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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

24. 7. 2009 - 07:00

Der Tag danach

Vorhang auf für einen sozial unverantwortlichen Kassenschlager: "The Hangover" ist die ultimative Komödie zum Thema Totalabsturz.

Manchmal passieren seltsame Dinge.

Ein Film, der ganz ohne animierte Blechkästen, pubertierende Zauberer und Actionheroen in engen Spandexhosen auskommt, hängt sämtliche Blockbuster ab. Schießt an die Spitze der amerikanischen Kinocharts. Und hält sich dort ziemlich lange.

Noch ungewöhnlicher wird dieser Erfolg, wenn man bedenkt, dass es sich bei "The Hangover" auch nicht um eine gefällige Romantic Comedy handelt. Zwar ist dieser Streifen stellenweise extrem lustig, aber nebenbei werden auch noch diverse Moralismen entsorgt, Babys schlecht behandelt und grindiger Sex thematisiert.

Zugegeben, "Brüno" punktet derzeit ebenfalls in all diesen Fällen. Aber "The Hangover" ist, bei aller gemeinsamen Lust an der derben Groteske, schon ein Phänomen für sich.

Während sich Sacha Baron Cohen sein eigenes bizarres Mockumentary-Genre schuf, bewegt sich Regisseur Todd Phillips auf den ersten Blick auf einem hochgradig biederen Terrain. Geht es doch um eines der muffigsten Themen der Weltgeschichte: Junggesellenpartys. Wir sprechen von kalkulierten Mittelstandauszuckern, verlogenen hedonistischen Ritualen, Männern, die vor der freiwilligen Verbürgerlichung noch einmal so richtig die Sau rauslassen.

Wer jetzt aber hirntoten Hochzeitsklamauk befürchtet und an längst verdrängte "American Pie"-Sequels denkt, kann aufatmen. "The Hangover" unterläuft die nahe liegenden Konventionen auf mehrfach erfrischende Weise.

The Hangover

Warner Bros

Ein junger Bräutigam aus bestem Hause macht sich mit zwei Schulfreunden und seinem zukünftigen Schwager auf einen Kurztrip nach Las Vegas. Aber schon nach den ersten gemeinsamen Stamperln Jägermeister verschwindet der Polterabend in einem schwarzen Loch.

Komplett terminiert taumeln die Männer am Morgen danach durch ihre zerstörte Luxussuite. Im Hintergrund verlassen halbnackte Damen die Wohnung, im Badezimmer lauert ein Tiger, im Kasten schreit ein Baby, vom Heiratskandidat selbst fehlt jede Spur. Die ferngesteuerten Freunde plagt ein kollektiver Gedächtnisverlust.

Fear and Loathing in Lost Vegas: Mit dem Einfall, die eigentliche wahnwitzige Nacht bis zum Ende aussparen, steht und fällt der Film. Dabei ergibt sich nicht nur die weitere haarsträubende Geschichte aus der Suche der verstrahlten Protagonisten nach Erinnerungsbruchstücken.

Es hängt auch, trotz des konstanten Pointenfeuerwerks, ein latentes Blackout-Gefühl wie eine dunkle Wolke über "The Hangover".

Ein strenger Geruch von vollen Aschenbechern und leeren Wodkaflaschen weht durch den Kinosaal.

Und auch wenn es sozial unverantwortlich sein mag, hier darüber zu reden, aber manche werden dieses Total-Absturz-Dilemma kennen. Bitte alle aufzeigen, wer sich angesprochen fühlt, auch in den hinteren Reihen. Der Schreiber dieser Zeilen greift nach der Aspirin-Brause und streckt bereits reumütig die Hand nach oben.

The Hangover

Warner Bros

Dass Regisseur Todd Phillips, dem wir neben schonungslosen Dokus über GG Allin und monströse Fratboys auch die herrliche Collegeposse "Old School" verdanken, dass dieser Ex-Indiefilmer und Noiserockfan bei aller Blödelei den Horror des Day after auch ernst nimmt, ist besonders großartig.

Und es macht "The Hangover" noch lustiger. Denn nichts ist für Außenstehende komischer als lächerlich herumschwankende Katerpatienten, die sich in ihrer Konfusion noch tiefer in ihr Unheil hineinreiten.

Gleichzeitig schwingt das Drehbuch aber auch nie die Moralkeule. Statt im Finale den kapitalen Fauxpas der gebeutelten Herrenrunde zu verdammen und Sitte und Anstand zu beschwören, wie es in Hollywood zum guten Ton gehören würde, klingt der Film, soviel sei verraten, mit einem schmutzigen Lachen aus.

Man mag das, wie einige Kritiker, als finsteren Rückschritt gegenüber den charmanten, menschelnden Komödien aus der Judd-Apatow-Abteilung abtun und als unsympathischen Bubenhumor verdammen. Aber so einfach ist das alles nicht.

Todd Phillips setzt auf eine irritierende Ambivalenz, die an die legendärsten Momente des "Vice"-Magazins erinnert, wo das bisweilen Erzreaktionäre sich mit dem irrationalen Exzess verbündet. "Plötzlich sind Spießigkeit und Anarchie keine Gegensätze mehr", fasst es Daniel Kothenschulte in der "Frankfurter Rundschau" treffend zusammen.

Anders formuliert: Im Rausch lösen sich die Grenzen zwischen Korrektheit und Peinlichkeit, Links und Rechts, Gut und Böse manchmal auf. "The Hangover" zeigt einen Haufen Mittelstandstrottel auf versoffener Mission. Wer tief genug in den Abgrund dieses Films blickt, entdeckt dabei vielleicht ernüchtert den eigenen inneren Schweinehund. Prost und viel Vergnügen!

The Hangover

Warner Bros