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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

21. 7. 2009 - 17:38

Wenn das Brausepulver nur mäßig knistert

Auch schlecht noch recht beliebt: Animal Collective sind wie Pizza. Ihr Konzert in der Grazer Postgarage war - für die sonst mindestens Erleuchtung verheißenden Verhältnisse der Band - matt. Trotzdem super.

In der kleinen Grünfläche vor der Postgarage, zwischen Büschen und Parkbänken, sitzen gar nicht wenige junge Menschen mit Tiermasken aus Karton vor dem Gesicht, in kleinen Rotten gruppiert, auf dem Boden: Maus, Hase und Frosch, Tiger und Eule beim gemeinsamen, freundschaftlichen Dosenbiertrinken. Dem bunten Sprachgewirr entfahren Slowenisch und Italienisch, aus Oberösterreich und gar Wien sind die Menschen nach Graz gekommen, um dem Konzert des Animal Collective beizuwohnen. Das Animal Collective, das Trio der drei spinnerten Quer- und Freidenker, die vor gar nicht so langer Zeit noch auch Menschen, die noch nie wissentlich die Musik der Band gehört hatten, besonders dafür bekannt waren, ihre Identitäten hinter schönen Bizarro-Masken versteckt zu halten.

Mittlerweile ist das Animal Collective das (nicht mehr ganz so) neue, überzeugende Pop-Modell der Gegenwart. In den vergangenen neun Jahren hat es in mitunter leicht variierenden Konstellationen (teils mit Unterstützung des vierten Bandmitglieds, dem Gitarristen Josh "Deakin" Dibb, der sich bis auf Weiteres aus dem Bandgefüge verabschiedet zu haben scheint) neun Alben, rechnet man das, sind wir uns mal ehrlich, kaum hörbare Livealbum "Hollinndagain" mit, veröffentlicht. Manche davon sind schön schwindling machende Acid-Trips, Reisen ins Kaleidoskop, manche davon sind fast - aber nur fast - konventioneller Lagerfeuerfolk, manche sind Krach und manche Wachsmalstifkrakeleien, zu Papier gebracht von einem 8-Jährigen im Zuckerrausch.

ave tare

plh

Avey Tare
avey und panda bear

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Avey Tare und Panda Bear
Geologist Animal Collective

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Geologist

Der ganz bunte Kabelsalat

Wie sich vielleicht schon herumgesprochen hat, haben die drei Herren Dave "Avey Tare" Portner, Noah "Panda Bear" Lennox" und Brian "Geoliogist" Weitz Anfang diesen Jahres mit ihrem neunten Album "Merriweather Post Pavilion" das vermutlich am Heißesten herbeigesehnte Album ever (Internetzeitrechnung) veröffentlicht, das dann auch sogleich da und dort zu Recht mit Bestnoten überschüttet worden ist und forthin unter Genieverdacht stehend den Vergleichen von "Sgt. Peppers" bis "Pet Sounds" bis hastdunichtgesehen standhalten muss. Das Animal Collective hat mit "Merriweather Post Pavilion" ihre Montageform, die heterogenes Klangmaterial organisch zu einem konstanten Flow verbindet, perfektioniert. Das hier, das ist keine freundliche Avantgarde, die in einer Popcamouflage daherkommt, dies hier ist der Status Quo von Pop.

Dem Animal Collective, der prägendsten Band dieses Jahrzehnts, ist dabei vieles Zugute zu halten: Es hat Krautrock und Japan-Krach in fließende Formen gekleidet, hat Noise und Minimal Music und Ambient und Grillengezirrpe für Nicht-Experten konsumierbar gemacht. Hat weißen Indierock-Kids durch die Hintertür ein Gefühl für Dub, Polyrythmik und Elemente aus Afrika und Südamerika mitgegeben, das Animal Collective macht elektronische Tanzmusik für Menschen, die das Wort "Techno" sonst nur von T-Shirts kennen, auf denen "Techno" in so einem durchgestrichenen Verbotsschild drin steht. Das einzige was man "Merriweather Post Pavilion", der wahrlich unfassbaren Platte, die sie ist, vorwerfen kann, ist ihr Locken mit Opulenz und Üppigkeit, dass hier alles geil als tolle Erfindung und Soundidee herausgestellt wird, der unbedingte Wille zur wirren Melodieseligkeit. Nach "Merriweather Post Pavilion" ist man satt. Mit dieser Platte ist ein Plateau erreicht, das Idiom ausformuliert, die Form etabliert. Von hier an geht's bergab.

animal collective

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Animal Collective
panda bear

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Panda Bear

Everybody Knows It Sucks To Grow Up

Spätestens seit "Strawberry Jam", dem 2007 erschienen Album, das sich erstmals überdeutlich für die Strukturen von elektronischer Tanzmusik interessierte und dem Animal Collective etwas größere Pop-Bekanntheit bescherte, hat die Band nach eigenen Angaben erkannt, dass in der Gestaltung der Setlist fürs Konzert auch eine Verantwortung gegenüber dem Publikum liegt. Bei früheren Konzerten war so häufig fast ausschließlich unveröffentlichtes Material, unausgegorene Stücke im Entwicklungsstadium und ewiges Herumkauen auf einer Idee zu hören. Was auch schön sein kann! Seit dem Erschließen breiterer Hörerschichten mit "Strawberry Jam" aber gestaltet sich die Setlist - der jeweiligen Tour - relativ fixiert. Mal wird die Reihenfolge verändert, mal der eine oder andere ältere Track aus der Hinterhand für ein paar Abende ins Programm geholt und kurz später wieder rausgekickt. Die, die vielleicht nur dieses eine oder dieses andere Stück Pop vom Animal Collective kennen, sollen auch gut unterhalten werden. Und wenn dann dieses eine oder dieses andere Stück Pop die Tür aufstößt, das Interesse weckt, auch das Alte, das Obskure, das vollkommen Verdrehte und den GANZ lärmigen Zinnober zu entdecken, dann könnte der Zweck edler nicht sein. Da sollen die total undergroundigen Auskenner von schon vorgestern nicht mit den Augen rollen. Das sagt die Band selbst und könnte damit rechter nicht haben.

ave tare

plh

avey drums

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So schleichen Avey Tare, Geologist (ausnahmsweise mal an 2. Stelle genannt) und Panda Bear auf die Bühne der sehr vollen und zukunftsfroh gestimmten - das sagen all die ganzen Glückshormone, die da heute durch den Raum schwirren - Postgarage und steigen in "Chocolate Girl" ein. Eine kleine Überraschung, "Chocolate Girl", ein sehr altes Stück, vom ersten Album der Band "Spirit They're Gone, Spirit They've Vanisched". Dann und wann zwar gerne gespielt und seit jeher halbwegs fix im Konzertrepertoire, irgendwie aber kaum geeignet, weder reißerisch einen Popabend kickzustarten, noch mäandernd Erwartungen hochzuschaukeln. Bloß ein seltsam schlaffer Start in ein Konzert, das seltsam schlaff bleiben sollte.

Auf der linken Seite der Bühne werkt Geologist, wie immer mit Grubenlampe auf dem Kopf, an den Knöpfen und Kabeln, selbiges tut Panda Bear rechts, singt und beklopft hie und da mit Drumstick ein hyperminimalistisches Schlagwerk. In der Mitte vollführt Avey Tare seinen - Hoppel-di-Hopp - Ausdruckstanz, singt, spielt Gitarre, drückt die Tasten. Im Hintergrund schnurrt altbekannter Psychedelik-Krimkrams und bunter Pinselstrich auf der Leinwand. Nach dem Eröffnungstück folgt "Who Could Win A Rabbit?", eines der poppigsten Stücke in der Bandgeschichte, in einer kaum zu entziffernden Version, das sogleich in "Summertime Clothes", den aktuellen Hit, gleitet. Auch wenn es bei Konzerten des Animal Collective nur selten um das unbedingte Heraushören einzelner Stücke geht, da die Band ihre Shows eher einem DJ-Set gleich als relativ einheitlichen, konstant pulsierenden Fluss organisiert und Tracks immer wieder verfremdet und ineinanderblendet, entflammt das darauffolgende Stück jenen, die das Animal Collective schon an solide Professionalität verloren geglaubt hatten, noch einmal das Herz: "What Would I Want Sky", ein brandneues, noch nicht veröffentlichtes Stück, das sich nach dreieinhalb Minuten Rauschen im Gebüsch und einer Art ultrareduziertem Lo-Fi-Dubstep anhand eines Samples von The Grateful Dead (dem allerersten von Grateful Dead regulär autorisierten Sample überhaupt) zu einem monströsen Gesangs-Mantra aufbäumt.

publikum animal collective

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Publikum
panda bear

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Geile Routine

Müde wirkt die Band und matt. Die Explosionen an den Geschmacksnerven bleiben lau, ein neues Stück da, eines dort, und auch die "Fireworks", eines der eingängigsten wie besten Stücke des Animal Collective, wollen nicht so recht roten und grünen und lila und dauernd krachenden Funkenflug ins Firmanent malen. Mit "Bleed" gibts noch ein sehr schönes neues Stück, das eigentlich fantastische "Comfy in Nautica" von Panda Bears ebenso fantastischem Soloalbum "Person Pitch" versumpft im Sound, die großartige Abschlussnummer von "Merriweather Post Pavilion", das Techno-goes-Brazil-Jahrhunderstück "Brother Sport", wird mit der künstlerischen Dringlichkeit eines Metronoms in den Saal gespielt.

Die zwei Zugaben sind bloße Pflicht: "Also Frightened" und der hitmäßigste Hit im Animal-Collective-Katalog, "My Girls":"Ja eh, "My Girls", das kennen die Leute. Das wird ihnen schon irgendwie gut in Erinnerung bleiben." Dann ist Schluss. Jeder hat mal einen schlechten Tag, und nur weil es jetzt YouTube und Internet und Computer und alles gibt, muss man nicht jeden Tag seine Bandidentität neu konfigurieren, ein bisschen nach überroutiniertem Stechuhrdienst schmeckt das Konzert trotzdem. Dass das immer noch besser ist als das, was your average white indie band und your average minimal techno dj auf die Bühne stellen, steht außer Frage. Und so steht den Menschen in der Postgarage das Leben in den Augen und die Liebe im schwitzenden Körper. Das Animal Collective reicht. Das kann man sich ohne zweimal mit den Fasern zu zucken wieder anschauen. Heute, Morgen, Übermorgen. Animal Collective, die Band, die freilich immer ein bisschen an den hohen an sie gestellten Erwartungen scheitern muss, das Animal Collective, die Musik zum Anbeten, Tanzen und Analysieren, die Musik fürs ewige Dechiffrieren und zum im Busen Tragen. Für immer.

publikum

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