Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Worüber sonst könnten wir sprechen?"

Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

18. 7. 2009 - 14:56

Worüber sonst könnten wir sprechen?

Teresa Margolles' Auseinandersetzung mit dem Krieg mexikanischer Drogenkartelle bei der Biennale von Venedig

Will man sich intellektuell auf die Werke von Teresa Margolles einlassen muss man erst die Übelkeit überwinden, die einen in Gegenwart ihrer Ausstellungsstücke befällt.

De que otra cosa podriamos hablar?
ist bis Anfang November in Venedig zu sehen.

In der Kunsthalle Wien ließ sie vor ein paar Jahren Seifenblasen, die aus Leichenwaschwasser gewonnen waren, auf die Besucherinnen herabtanzen. Im von ihr gestalteten mexikanischen Pavillion auf der Biennale von Venedig wird man mit den Auswirkungen des seit Jahren immer heftiger wütenden Kokainkriegs konfrontiert.

teresa m

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Aufgrund der Verschiebung von Machtstrukturen und Handelsrouten hat sich die Mordrate von 2007 auf 2008 beinahe verdoppelt. Die Prognosen für 2009 geben auch keinen Grund zur Hoffnung. Das Blut der Opfer des Krieges der Narcotráfico ist die Ausgangssubstanz für Margolles Werke und Installationen bei der diesjährigen Biennale.

teresa m

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"Worüber sonst könnten wir sprechen? - De que otra cosa podriamos hablar?", diesen Namen hat Margolles ihrer Schau gegeben. Die Künstlerin, die auch diplomierte Pathologin ist, und ihre Helferinnen sammeln an den Tatorten Stücke von zerschossenen Windschutzscheiben ein und tränken Stoffbahnen in Blut und Lehm.

Die Glassplitter hat Margolles zu Schmuck verarbeitet, der gemeinsam mit der Geschichte des jeweiligen Opfers ausgestellt wird. In Venedig fährt ein Mann mit einer Gondel durch die Kanäle, um seinen Hals ein Rosenkranz, der aus eben diesem Ausgangsmaterial gefertigt ist.

natalie brunner

Vor dem mexikanischen Pavilion hängt eine in Blut getränkte Fahne.

Der etwas heruntergekommen Palazzo, der Ausstellungsort, gleicht einem Tatort. Man glaubt in leeren, lange nicht mehr betretenen Räumen zu stehen. Erst Indizien, die man suchen muss und das Wissen darüber, was hier geschieht, laden den Ort mit Bedeutung auf.

Zorn, Verlust, Gräuel, Scheitern von Sozietät - all das liegt in der Luft, wenn man vor den riesigen, in Blut getränkten Tüchern steht, die im Laufe der Biennale mit den an den mexikanischen Tatorten aufgefundenen Drohungen der Narcotráfico bestickt werden.

Wie zum Beispiel hier: Sehen, Hören und Schweigen.

natalie brunner

Jeden Tag um vier Uhr wischt ein Angehöriger der Mordopfer den Boden eines der Räume des Palazzo auf - das Wasser ist zuvor durch die blutigen Leintücher gelaufen.

Für all die europäischen Kokainkonsumentinnen, die das alles nichts angeht, weil die Gewalt soweit weg und in Europa nicht mehr sichtbar ist, wurden bei der Biennale Scheckkarten zum Kokain aufhacken mit Fotos der verstümmelten Mordopfer verteilt.

teresa maroglles