Erstellt am: 17. 7. 2009 - 10:55 Uhr
Die Summe der einzelnen Teile
Wie hat sloppyperfectionist in einem Posting zur letzten Kolumne gemeint: "Je unwahrscheinlicher die Story, desto schöner." Manche Geschichten klingen ja erzählterweise tatsächlich dermaßen unwahrscheinlich, dass man sie eher in der Aktenablage Urban Legend vermuten würde. So wie jene, die ich kürzlich gehört habe, aber – es wird geschworen! – in echt passiert ist.
Mein Freund C. also kennt einen jungen Mann, der in einem musikspezifischen Chatforum eine junge Frau kennen gelernt hat. Man fand einander sympathisch, soweit man eben Sympathie empfinden kann, wenn man den anderen nur über Buchstabenkombinationen via Monitor wahrnehmen kann. Also eigentlich recht eindimensional. Dafür aber auf einer gewissen Ebene unverstellt, authentisch, weil was hat man schon zu verlieren.
Radio FM4
Distanz ist das Salz der Leidenschaft
Nah und doch so fern: Mirjam Unger und Esther Csapo sprechen mit Euch in der FM4 Sommerrevue (jeden Samstag, 13-17 Uhr) in der schmutzigen Stunde zwischen 15 und 16 Uhr darüber, wie es ist, wenn man Gefühle nur über elektronische Hilfsmittel transportieren kann. Eure Anekdoten sind gefragt - entweder direkt hier ins Forum posten oder live in der Sendung anrufen - 0800 226 996.
Es stellte sich schnell heraus, dass diese junge Frau in Südamerika lebt. Zwischen den beteiligten Parteien Österreich und Argentinien entwickelte sich unverhofft ein reger Gedankenaustausch, der irgendwann den Einsatz weiterer Gadgets erforderte. Österreich und Argentinien wurden neugierig auf einander. Die Wahl fiel auf Videotelefonie. Und wie das eben so ist, wenn die Fantasie auf Schiene ist, wenn Dopamin den Körper durchströmt und Sehnsüchte geweckt werden, nahm der tägliche Austausch im virtuellen Raum bald Dimensionen an, die einer realen Beziehung in (fast) nichts nachstanden. Das Weitwinkelauge der Kameras hüben wie drüben erfasste vierundzwanzigsieben das Treiben des einen, das Ruhen der anderen, bald plauderte auch mal die argentinische Mama mit dem österreichischen Internetfreund, seine Freunde schauten via Vollbildmodus in ihrem Wohnzimmer vorbei - Familienzusammenführung 2.0. Und nach geschlagenen eineinhalb Jahren Online-Verliebtheit – was etwa fünf Jahren in realiter entspricht – kam, was kommen musste: Österreich lud Argentinien zum Reality check ein. Sie kam nach Wien, als Testzeitraum vereinbarten die beiden – hach, wie vernünftig – drei Monate. Danach wollte man weiterschauen. Mittlerweile leben die beiden zusammen, und vielleicht sind sie inzwischen auch schon verheiratet, das dichte ich jetzt einfach mal dazu, auch ich habe hin und wieder ein romantisches Bedürfnis nach modernen Märchen.
You´ve got mail.
Dirty Hour, einen Sommer lang: Die Kolumne zum Liebe, Sex & Zärtlichkeits-Talk in der FM4 Sommerrevue. Jeden Freitag hier unter diesem Namen.
Apropos Bedürfnisse: Nicht überliefert ist, wie sich die beiden Parteien in der fleischlosen Zeit ernährt haben. Email als Transportmittel von Emotionen klappt nur bedingt und öffnet die Schleusen für den Lieblingssport von Weiberrunden, dem "Zwischen-den-Zeilen-Lesen", demnächst übrigens olympisch. Wir alle kennen natürlich Telefonsex (den, wo man nicht 1 Euro 50 pro Minute berappt). Es erfordert ein bisschen Übung, bis man einander verbal auf der gleichen Ebene trifft, inklusive Genickstarre wegen stundenlang zwischen Ohr und Schulter eingeklemmtem Hörer. Die feinmotorisch Geschulten unter uns tippen sich virtuos zwischen Meeting und Mittagspause einen SMS-Verkehr herunter, ruckelt zwar ein bisschen in der Umsetzung, dafür schlägt die Fantasie Purzelbäume. Aber Webcamübertragung in Echtzeit, ach Gott, das grenzt ja an hochpotenzierte Quälerei! Man kann den anderen sehen UND hören, und theoretisch kann man auch mal den Bildschirm ANGREIFEN – aber macht das mal! Über Monate! Kalt!! Glatt!!! Entsetzlich.