Erstellt am: 16. 7. 2009 - 02:56 Uhr
Wie Regina Spektor
Jackson Fever
Die Nachricht kam im Fiebertraum. Ich war nach einer gut 30stündigen Wachphase in Österreich angekommen und erschöpft ins Bett gesunken. Dann, gegen Mitternacht, erhielt ich eine SMS aus dem Amiland: "Michael Jackson ist tot". Nur langsam drang diese Information durch den Nebel des Jetlags und einer schweren Bronchitis. Sie ließ mich auch relativ kalt, denn ich war emotional mit dem Tod eines anderen, mir wesentlich näher stehenden Menschen ausgefüllt, dessen Ableben der Grund meiner überstürzten Heimreise war.
Jackson war tot und ich nicht in New York. Bei dem Gedanken musste ich sogar kurz etwas fiebergrinsen, denn ich malte mir aus, was da an Berichterstattung auf mich zugekommen wäre - und tatsächlich: Der E-Mail Check spuckte sogleich eine neue Nachricht aus, gesendet vom stets hellwachen Kollegen Rotifer, mit einem dezenten Hinweis auf den überraschenden Tod des King Of Pop - falls ich noch nicht davon gehört hätte - und der Anregung von Live-Einstiegen in die FM4-Morning Show mit ersten Stimmungsberichten aus NYC.
The Mirror
Am nächsten Morgen informierte eine Mail aus Brooklyn von spontanen Auto-Paraden, von Menschen mit Boomboxen auf der Straße, aus denen unablässig das "Thriller" Album schallte (und sonst kein anderes, wie mir berichtet wurde).
Und wie der Zufall es gebucht hatte, datierte mein Rückflug in die USA am selben Tag wie die Jacko-Verabschiedungszeremonie im Staples-Center in LA.
Ein Regenschauer ohne Schirm kurz vor dem Rückflug, eine schmale Nacht mit wenig Schlaf und die Klimaanlage im Airbus sorgten dann dafür, dass ich gesundheitlich in der selben Verfassung ankam, in der ich zwei Wochen zuvor abgereist war.
Zurück in Clinton Hill/Brooklyn sank ich erschöpft und krank ins Bett und schaute im Fernsehen die Verabschiedung mit dem goldenen Sarg, die wie ein Fiebertraum an mir vorüberzog. Keine SMS dieses Mal.
Ich, als in den USA lebender resident, hatte Jacksons Tod kontinental ausgespart, verpasst, nicht miterlebt - gleich einer Klammer ohne Inhalt.
Wo warst du, als es passierte? Nicht da!
Stell dir vor, es ist Facebook und niemand vermisst dich
Insgesamt 14 Tage währte mein Aufenthalt in Österreich und ich war während dieser Zeit für meine Verhältnisse selten "on", also via Internet mit der Außenwelt verbunden.
Wenig überrascht nahm ich zur Kenntnis, dass mich anscheinend niemand während meiner Abwesenheit vermisst hat in der virtuellen Kommunikationszone – weder bei Twitter noch auf Facebook.
Keine Nachfrage eines "friends", keine Erkundigung eine "followers".
Das verwundert kaum. Schließlich geht die Dynamik auch im Fall von FB und Co. immer noch vom guten alten Sender aus, seinen Botschaften und Status Updates - trotz der gemeinsamen Spielplätze auf dem Screen. Es ist ein System der Reize, das erlahmt, wenn keine Erdnüsse gestreut werden. Und wir friends müssen in einem fort auf uns selbst und andere verweisen, sonst löst sich unsere Existenz(berechtigung) auf wie Marty McFly auf dem Familienphoto in Back To The Future. Und genau diese Unverbindlichkeit, die viele erst ermutigt, sich zu exponieren (weil man die Konsequenzen analoger Verhältnisse nicht fürchen muss, im schlimmsten Fall wird man einfach ignoriert), diese Unverbindlichkeit stößt anderen wiederum sauer auf.
Warner Music
Regina Spektor zum Beispiel.
Ich habe mit dieser in jeder Hinsicht bemerkenswerten Singer-Songwriterin aus New York noch vor meiner Abreise ein Interview zum aktuellen Album "Far" geführt, das – aufgrund meines überstürzten Österreichaufenthaltes – nie auf diesen schwarzen Seiten erschienen ist.
No FB-Lover
Wir kamen eher zufällig auf das Thema Facebook und Co., weil ich Regina fragte, ob sie auf Grund ihrer ständigen Abwesenheit von New York und ihrer Familie und ihren Freunden dort eine exzessive Userin von social networking tools sei.
Sie antwortete mit einem entschiedenen "No!". Ihre Begründung war so einfach wie schlagend.
"I simply prefer a real conversation to a message about something that doesn´t really matter".
Fortschrittliche Allestexter mögen angesichts dieser - nun ja - etwas konservierenden Aussage mit ihren binären Augen auf dem Touchscreen (sc)rollen.
Dass Spektor ihre Abneigung auf ein persönliches Level herunterbricht, finde ich zumindest sympathisch, auch wenn ich ihren Standpunkt nicht teile (vgl. dazu den zutiefst verbittert klingenden, kulturpessimistischen Jarvis Cocker).
Nun muss man wissen, wie wichtig Sprache und Phonetik für Regina Spektor sind. Im Alter von acht Jahren floh sie mit ihrer Familie aus Russland. Nach Ende der kommunistischen Ära häuften sich dort antisemitische Übergriffe. So auch auf ihre Familie.
Die Reise führte über Italien und Österreich nach New York. Für Klein-Regina war es der erste Auslandsaufenthalt. Sie wurde innerhalb kürzester Zeit durch mehrere Sprachräume geschleust. "First I didn´t understand a thing. Then I realized that the sound of language is as important as its words. I learned that you can say a lot without saying anything particular, just by the way you say something."
Wer sich also schon immer gefragt hat, wieso Spektor in ihren Songs manchmal gurgelt, kichert und meckert wie eine Urschreitherapeutin, hier ist die Erklärung dazu (leider sind die gutturalen und dadaistischen Lautmalereien aus ihren letzten beiden Alben weitestgehend verschwunden, was den Bestseller "Far", der in den US-Verkaufscharts als eine der wenigen Neuerscheinungen dem aktuellen Jackson Hype Paroli bieten kann, sehr nahe an den Singer-Songwriter Mainstream rückt. Klasse-Songs sind da aber schon auch dabei).
Warner Music
Am Ende des Interviews illustrierte Spektor ihre Abneigung gegen Facebook und Co. mit einer kleinen Geschichte aus ihrem Leben – es ist eine Absage an die oberflächliche Kurzform, das Status-Update, die Gesprächsfloskel. Und es ist Spektor pur – genau beobachtet, witzig formuliert und ein bisschen nerdy ist es auch:
"I don’t want to be 'just connected'. And sometimes I feel that there can be too many people in your consciousness and too many things that are needless. I remember realizing this when I was still in college. I lost my voice and I was not allowed to talk for two weeks - not a word, nothing. First I thought how difficult this is gonna be. And then I realized that so many people even didn’t notice. It’s because of all these little interactions all day long that are meaningless: 'Hi, how are you?', and so on. When people talked to me like this, I just nodded or smiled. They didn’t even notice that I didn’t say a thing for two weeks!. It was interesting though. At the end I was seeing a lot about communication and how much of it is real and how much of it is just some kind of filler. And I decided not to like the filler. I´m not saying I don’t say 'Hello, how are you?'. It’s just nice to really connect with someone and not know all these little things. I'd rather call up a friend after a few months of no talk than to know what kind of food they had for lunch an hour ago."