Erstellt am: 4. 8. 2009 - 12:47 Uhr
Rahmen und Regenbögen

Clara Trischler
Samstag Abend sind also der 26jährige Nir Katz und die 16jährige Liz Trubeshi in Tel Aviv erschossen worden.
Ein maskierter schwarzgekleideter Mann schoss in einem Jugendzentrum für homo/bi/transsexuelle Teenager um sich, elf weitere Jugendliche wurden verletzt. Viele davon hatten sich bis zu dieser unfreiwilligen Öffentlichmachung vor Familie und Freunden nicht geoutet.
Nir Katz versuchte, Jugendliche im Umgang mit ihrer Sexualität auf eine Art zu unterstützen, die er selbst in diesem Alter nicht kannte. Im Jugendzentrum trafen sich junge Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung mit sich selbst oder den ihnen nahe stehenden Menschen kämpfen. Oder einfach gerne Zeit miteinander verbringen.

Johannes Rausch
Zur Wahrscheinlichkeit der Städte

Johannes Rausch
Es ist schwer auszudrücken, wie unwirklich es scheint, dass diese Nacht in Tel Aviv stattfand. In einer Stadt, in der offener als sonstwo auf der weitläufigen, urbanen Rothschild Allee Händchen gehalten wird, in der man als HomosexuelleR nachts von einem Club in den nächsten springen, Kinder adoptieren und sich für politische Ämter bewerben kann. In einer vielfarbigen Stadt, an der Straßenecken mit angekleisterten Notenblättern und davon abspielenden Fremden überraschen können, ebenso wie mit Kartoffeln befüllte Marktstände mit schlafenden Reisenden und der Strand am Morgen um sechs mit Yoga turnenden Alten.
In Jerusalem schiene das alles viel weniger überraschend: Die teils religiös motivierte Homophobie und damit einhergehende unterdrückte Sexualität, die Schließung von zwei der drei gay-friendly places der Stadt in den letzten Jahren.
Shushan, Jerusalems einziger schwulesbischer Club, wurde vor seinem finanziell bedingten Ende immer wieder von Religiösen angefackelt.

FM4 / Clara Trischler
Pinke Flügel, lila Luftballons und ihre Traumhaftigkeit
Am Christopher Street Day gab es auch hier pinke Hasenohren und Elfenflügel, "Milk"- T-Shirts und "My son is gay, so what?"-Transparente.

FM4 / Clara Trischler
Als zum zuvielten Mal "Somewhere over the rainbow" angesungen wurde, fiel mir endlich auf, dass es hier stärker als vielleicht in Europa nicht nur um die Vielfalt der Farben geht, sondern um die Utopie, um die Traumhaftigkeit. Um die gefühlte Unmöglichkeit der Vorstellung selbstverständlich empfundener Freiheit für HomoBiTranssexuelle in einer immer religiöser werdenden Stadt.

Clara Trischler
Zum Glück entfernte ich mich nach einer Weile von der Parade, die dann im Park zum Festival wurde, Menschen lagen im Gras, einige tanzten, die Sonne ging unter.
Die wenigen Opponenten hatten sich auf einer Verkehrsinsel versammelt. Orthodoxe kamen in diesem Jahr nicht zum Protest, um ihre Kinder dem nicht auszusetzen, heißt es, aber Siedlermädchen sind gekommen, die über die Straßenseite Dinge wie "Tiere, Bestien" schreien.

FM4 / Clara Trischler
Ein junger Soldaten erklärt mir, dass er verstehen kann, dass man Drang verspüren kann. Dass man Lust haben kann, mit einem Mann zu schlafen. Dass man aber ja auch sonst nicht jedem Bedürfnis nachgeht, nicht jedes Mal Sex hat, wenn man Lust darauf hat oder alles isst, was man möchte.
Als ich mich verabschieden will, halte ich ihm die Hand hin und merke zu spät, dass er einer dieser Religiösen ist, die Frauen nicht berühren.
Weibliche Stimmfarben und ein Tagebuch

Tamir Lederberg
Tamir Lederberg ist eine lesbische Fotografiestudentin aus Jerusalem, die in einem fotografischen Tagebuch auch ihre Sexualität und die israelische Besatzung thematisiert. Bei ihrer Abschlussausstellung wurde ihr geraten, einige ihrer Bilder zu entfernen, woraufhin sie sich weigerte, auszustellen.

Tamir Lederberg
"Wir reden über Kunst. Kunst redet über die Gesellschaft, den Ort an dem wir leben, wie wir ihn finden, wie wir die Dinge finden. Es stimmt etwas nicht mit dem Ort, an dem diese Frage zensuriert werden muss."
Sie sagte noch vor der Schießerei in Tel Aviv zu mir, dass es für sie viel leichter wäre, in Tel Aviv zu arbeiten. "Ich sehe nicht wie eine gewöhnliche Frau aus. Wenn du mit mir durch Jerusalem gehts, wirst du sehen, dass mich Menschen anschauen. Die meisten wissen nicht genau, was ich bin, aber ahnen, dass da etwas mit meinem Gender ist. Selbst wenn ich als Mann durchginge, ist da meine Stimme."
Die Familie erklärt dich für tot
Tamir ist in einer orthodoxen Familie aufgewachsen. Als lesbische säkulare Frau, die in ihrer künstlerischen Arbeit die israelische Besatzung thematisiert, hat sie seit Jahren nicht mit ihrem Vater gesprochen.
In manchen ultraorthodoxen Familien wird für homosexuelle Familienmitglieder eine Shiva gehalten. Sieben Tage der Trauer, in denen sich die Familie mit demselben Ritual von einem Familienmitglied löst, als wäre es gestorben. In diesen Tagen darf nicht gearbeitet werden, Spiegel werden verhangen, eine Kerze brennt sieben Tage durch und die engsten Familienmitglieder sitzen auf auf dem Boden zusammen.

FM4 / Clara Trischler
Gewehrlose, noch unbekannte Straßen
Natürlich gibt es Gewalt überall auf der Welt. Tamir aber sieht eine Verbindung zwischen der Schießerei und der Gewalt, mit dem man in Israel aufwächst. Sie musste erst reisen, um zu bemerken, wie ungewöhnlich es ist, dass Menschen auf den Straßen Gewehre tragen.

NoaXktanan
Das subtile Angstbewusstsein, das allgegenwärtige Waffen und deren uniformierte Träger ausstrahlen, hinterlässt jeden mit seinem eigenen Trauma. "Helden sind in Israel meist Soldaten. Schon Kinder denken darüber nach, ob sie in der Armee Pilot werden wollen. Manche Religiöse begreifen Palästinenser nicht als Menschen. Die Armee ist eine Organisation gegen Menschen, gegen Frauen. Selbst wenn man es nicht merkt oder nicht so meint, hinterlässt diese Gesellschaft ihre Spuren in Deinem Leben."

FM4 / Clara Trischler
Tamirs Blog Mugdarim (mugdar heisst Gender)
It's All About Love
Tamir lebt mit ihrer Freundin zusammen relativ offen in Jerusalem. "Manchmal habe ich das Gefühl, ich habe gar keine Wahl. Meine eigene, kleine Veränderung bedeutet schon Veränderung. Ich muss mich auch selbst akzeptieren. Aber ich lebe, wie es sich für mich richtig anfühlt. Wir können nicht viel tun, aber wir schweigen nicht." Obwohl sie Fotografie studierte, weil ihr die Worte ausgingen. Etwa, wenn sie auf der Straße als "pervers" bezeichnet wird. "So I use the frame".

Johannes Rausch
Tränen in den Augen hatten die Menschen bei den Trauerwachen gestern nicht nur, weil sie die involvierten Menschen kannten.
Sondern weil es beängstigender geworden ist, außerhalb der eigenen Wohnung verliebt zu sein. Oder bloß auf städtischen Boulevards Hände zu halten.