Erstellt am: 14. 7. 2009 - 16:26 Uhr
Journal '09: 14.7.
2009 - Das Jahr, in dem Österreich kippt.
Was bisher geschah:
Teil 1, Es ist vorbei. Der Weg zur Security-Demokratie ist fix vorgezeichnet..
Widerspruch von Tom Schaffer.
Teil 3, Die Verachtung der Jungen und der Aktivisten.
Teil 4, Einwurf über die Diskrepanz zwischen Politikblase und sozialer Realität.
Vor über drei Wochen hab ich an dieser Stelle eine Debatte losgetreten - eher unabsichtlich. Mit einem Journal mit dem Titel Es ist vorbei. 2009 ist das Jahr, in dem Österreich kippt. Der Weg zur Security-Demokratie ist fix vorgezeichnet, in dem ich versucht habe, die vielen mulmigen Gefühle, die in den letzten Jahren gearbeitet haben, auf einen fassbaren Punkt zu bringen.
Die Reaktionen waren tiefgehend und weitreichend.
Immerhin.
Mir geht es in der seither, durch Zurufe, Verweise und andere Reaktionen entstandenen Reihe nicht darum, hier einseitig Schuld zu verteilen.
Denn: zum Kippen gehören immer mehrere.
Die, die aufschaukeln - weil sie's bewusst vorantreiben wollen.
Die, die das zulassen - weil sie's entweder so unterhaltsam oder gar eh "irgendwie richtig" finden oder weil sie über keinerlei Reflexionsfähigkeit oder weil sie über keinerlei Wehrhaftigkeit verfügen.
Und auch die, die den Boden bereiten, indem sie ein systemisches Problem nicht erkennen können oder wollen, von einem Behebungsversuch gar nicht erst zu reden.
Verdruss, Passivität, Ressentiment
Robert Misik, Österreichs bester Blogger und auch Vlogger, hat in diesem Zusammenhang - im Gegensatz zu mir - Hoffnung. Auch wenn die von ihm erwähnten Bedingungen, unter denen die "Verhängnis-Spirale" (schöner Begriff) noch aufzuhalten ist, wie ein Wunschzettel an ein demokratiepolitisch sehr fittes Christkind klingen.
Misiks Begleittext zu seinem Vlog (das auf misik.at , im Standard-TV und auf seinem Youtube-Kanal jede Woche zu sehen ist:
"Es gibt ein Parlament, es gibt Wahlen, es gibt eine Regierung, die sich auf eine Mehrheit im Nationalrat stützen kann und sie verwaltet das Land - meist nicht einmal schlecht.
Also, die Demokratie funktioniert ja prima. Aber sie funktioniert auch nicht: Immer mehr Leute haben das Gefühl, dass sie das eigentlich nichts angeht und dass sie 'denen' bei jeder Gelegenheit einen Denkzettel verpassen muss.
36 Prozent derer, die bei der jüngsten EU-Wahl zu den Urnen gingen, haben für populistische oder rechtsradikale Parteien gestimmt.
Und legt man die Zahl der Wahlberechtigten zugrunde, hat die 'siegreiche' ÖVP gerade mal 15 Prozent der Stimmen erhalten, die einst mächtige SPÖ hat nur mehr jede/r Zehnte gewählt.
Es gibt also eine massive Krise des Parteiensystems. Die Parteien umzirzen die Wähler mit blöden PR-Slogans, die quittieren's mit Verdruss. Das ist kein österreichisches Spezifikum, aber in Österreich noch mal spezieller, soll heißen: ärger.
Woran liegt's? Und kann man gar nichts dagegen tun? Darüber wird im Laufe der Sommermonate bei FS Misik in loser Folge nachgedacht."
Seht selbst: "Verdruss, Passivität, Ressentiment. Wie gefährdet ist unsere Demokratie? (FS Misik Folge 85)"
Apropos Postdemokratie
Noch ein paar Worte zum Begriff der Postdemokratie, der da bei Misik auftaucht, und auch bei Žižek vorgekommen ist.
Der erwähnte Colin Crouch hatte bei seiner Analyse Europa im Blick, nicht Österreich. Crouch besetzt den Begriff nicht positiv oder negativ, sondern beschreibt und analysiert. Er geht von der zunehmenden politischen Apathie aus, die auf die größer werdende Machtlosigkeit der Politik (ein kleiner Einspruch von mir dazu war Teil 5 dieser Reihe) gegenüber der tatsächlich die Geschicke lenkenden Wirtschaft zurückzuführen wäre. Schlussendlich, so beschreibt das Eberhard Rathgeb in einem Essay über Crouchs Postdemokratie-Buch in der FAZ , würde diese Entfremdung der Menschen von politischen Prozessen zu einer Politik hinter verschlossenen Türen und einem gebannten Starren auf das Funktionieren des Marktes führen.
Die Bürgergesellschaft, die auf Partizipation angelegt war, wird also zu einer output-orientierten reinen Konsumgesellschaft, in der nur noch die Ergebnisse, nicht aber die Prozesse zählen.
Man lagert die politische und damit auch die moralische Verantwortung also aus, in die Hände derer, die am besten um dieses Top-Geschäft werben. Das sind einerseits die Populisten, die sich das Vertrauen des Wahlvolks durch unerfüllbare Heilsversprechen und das Ausfindigmachen von Feindbildern und Sündenböcken erschleichen, andererseits die Bosse, die Mächtigen, denen ein Wahlvolk nicht nur (meist ja irrtümlich) Führungsqualitäten zuschreibt, sondern auch im Glauben, dass die sich nicht bereichern würden, weil sie schon reich wären (ein noch größerer Irrtum, der die Konstante "Gier" sträflich außer Acht lässt), delegiert.
Im wilden Optimal-Fall sind sie das in einer Person (Berlusconi, in gewissem Maß auch Haider).
Die spezielle Postdemokratie in Österreich
Also wird Berlusconi gern als Erklärungs-Maßstab genommen. Das verzerrt den Blick auf die Lage aber: was für ihn und Italien gilt, hat für die Entwicklungen zb in Ungarn oder Österreich wenig Belang.
Das hat etwa mit der einzigartigen Stellung der Kronen-Zeitung zu tun, die das populistisch-politische Mainstream-Denken des Landes vorgibt. Das hat mit der nie ernsthaft aufgearbeiteten und deswegen zum Spielball der Rechtspopulisten verkommenen Nazi-Vergangenheit zu tun, die zu einer Blockwarte-Mehrheit in der Bevölkerung geführt hat. Das hat mit einer dem speziell alpinen katholischen Provinzialismus geschuldeten xenophoben Abschottungs-Politik gegenüber den "Anderen" zu tun. Das hat mit der Vertreibung der Intelligenz, der nicht erfolgten Rückholung und der Marginalisierung des urbanen Bürgertums zu tun. Das hat mit einer unterentwickelten Schein- bzw Haberer-Demokratie zu tun. Das hat mit dem sehr österreichischen Konzept der Missgunst, das auch einem historischen Minderwertigkeits-Komplex entstanden ist, zu tun.
Das alles führte in den letzten Jahren zu (und ich wiederhol' mich jetzt, so sorry ...) einem Schlechtreden der demokratischen Werte zugunsten einer zunehmenden Beförderung nach starken Männern, zu einem mittlerweile flächendeckenden Delegieren von Verantwortung, also zu einer Ausreden- und Outsourcing-Gesellschaft und zu einer ständigen Neuvermessung moralischer Standards, einem dauernden Ausreizen.
Da die nachrückende Generation durch das postdemokratische Aufweichen ihrer Beiträge bis hin in die Bedeutungslosigkeit und andere Versäumnisse (etwa bewusste politische Bildung für die in den großteils undemokratischen Strukturen ihrer Herkunftsgesellschaften gefangenen Secondos) hier auch kein Hoffnungsträger, sondern - im Gegenteil - ein Brandbeschleuniger für den populistischen Flächenbrand sein wird, ergibt sich folgende groteske Situation:
Phantom-Schmerzen mit Breitband-Hämmern begegnen
In einem wirtschaftlich (Nummer 6 oder 7 weltweit), kulturell und lebensqualitätstechnisch (mit ähnliche Ranking-Zahlen) florierenden Land werden Phantom-Schmerzen zu einer zu behandelnden schweren Krankheit hochgepitcht, werden im weltweiten Kontext als Kinkerlitzchen nebenbei zu erledigende Probleme zu Katastrophen aufgeblasen.
Der große Herausgeber kann unhinterfragt eine "große Wendung", von der nicht nur er, sondern ganz Österreich träume, propagieren - ohne diese Heilsverkündung inhaltlich zu konkretisieren; es reicht Personen zu nennen.
Es reicht, weil der ganz spezielle (zuvor beschriebene) österreichische Mix das nicht nur zulässt, sondern sogar verlangt.
Und deshalb denke ich, dass auch die besten aller Maßnahmen-Kataloge jetzt nicht mehr effektiv greifen werden. Wenn Europa zunehmend in einer postdemokratischen Struktur versumpert, wird der österreichische Weg einer sein, der unserer speziellen Anmutung entspricht. Nicht der Realität wohlgemerkt, sondern der Selbstzuschreibung, die tief drin und dahintersteckt - also nicht der des Häuslbauers, sondern der des Kellerverließ-Errichters.