Erstellt am: 12. 7. 2009 - 21:19 Uhr
Tanztheater dieser Stadt
"Psycho Killer!!!" ruft jemand aus den ersten Reihen noch vor Konzertbeginn hinauf zu David Byrne. "Well, THAT's not on the menu tonight," sagt der darauf und grinst, "We ran out of that one". Ein Knalleffekt zur Eröffnung eines Konzertabends, das geht anders. Gerade ist David Byrne gemeinsam mit seiner siebenköpfigen Band, allesamt in einheitliches Weiß gekleidet, auf die Openair-Bühne der Wiener Arena geschlendert, hat das Publikum ausführlich begrüßt und ihm, noch bevor ein einziger Ton gespielt wird, in kumpelhaftem Gestus dargelegt, halb langjähriger Freund, halb Biennale-Kurator, was an diesem gerade noch dezent von der Sonne durchstrahlten Samstagabend zu erwarten sei. Irgendjemandem irgendetwas beweisen, das kann man an diesem betont unreißerischen Beginn schon ablesen, das muss David Byrne schon lange nicht mehr.
Byrnes aktuelle Tour trägt den sprechenden Titel "The Songs of David Byrne und Brian Eno" und legt den einen Schwerpunkt in der Setlist also auf das sehr gute, gemeinsam mit Brian Eno eingespielte Album "Everything That Happens Will Happen Today" aus dem Vorjahr, den anderen, und das dürfte den Großteil der Anwesenden interessieren, auf Material von Byrnes einstiger Band, den mighty, bis heute hinauf hypereinflussreichen Talking Heads. Keine Band sagt akzentuierter "New York!" und "Art School!", keine Band bebildert stilvoller den Wandel von Postpunk nach New Wave hin zu weltmusikalisch geküsstem Pop. An drei Alben der Talking Heads, ihren drei besten, hat Brian Eno als Produzent, Musiker, Arrangeur und Songwriter maßgeblich mitgewirkt, so darf die Losung "Songs of Byrne and Eno" durchaus auch als Rahmen für ein Best-Of-Talking-Heads-Programm verstanden werden.

FM4 susi ondrusova

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Mit dem Stück Strange Overtones, einem der Höhepunkte von "Everything That Happens Will Happen Today", eröffnet Byrne das Konzert, begleitet wird er an diesem Abend von einem Bassisten, einem Drummer, einem Tastenmann, zwei Frauen und einem Mann am Backgroundgesang und einem - wichtig - Percussionisten, ohne Gerassel und Gebimmel geht's nicht. Für die Gitarre ist fast ausschließlich Byrne selbst zuständig. Insgesamt mag die Band etwas dünn besetzt anmuten, wenn man bedenkt, dass seinerzeit für Konzerte der Talking Heads bisweilen halbe Funk-Big-Bands angemietet wurden oder auch Byrne schon live den einen oder anderen Karneval auf der Bühne aufgeführt hat. Dicke Bläserschichten, Opulenz und die satt schmatzende Studio-Wizardry, die die Platten der Talking Heads mitunter auszeichnet, können so freilich nicht dargeboten werden, aber auch die entschlackten Versionen stehen den Stücken gut zu Gesicht. Der Sound ist gut und VIEL zu leise. Die einzige Gegebenheit, die am Gesamttriumph des Abends kratzen wird.

FM4 susi ondrusova

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Alles Ist Die Sekte
Nach der Eröffnungsnummer gleitet die Band sogleich in einen Talking-Heads-Hit: Das an ein Gedicht von Dada-Impressario Hugo Ball angelehnte I Zimbra vom dritten Album der Talking Heads, "Fear Of Music". I Zimbra, ein Stück, das 1979 erstmals das Interesse der Band an Afrobeat und Polyrythmik verdeutlichte, ein Interesse, das auf dem Folgealbum, dem Meilenstein "Remain In Light", zur Perfektion fand. Während "I Zimbra" werden Byrne und Band erstmals an diesem Abend von zwei jungen Damen und einem jungen Herren besucht, die später noch öfters das Konzert performativ aufpeppen werden: Tänzerinnen! Tänzer! OMG! Zwischen Ballett und Jazzdance gleiten und springen und jubilieren die drei so im choreografierten Ausdruckstanz über die Bühne und sehen gut dabei aus. Glücklicherweise haben wir es hier nicht mit sehr ernst gemeintem, superostentativ arty-smarty Hippiequatsch zu tun. In den Formationstanz wird die Band miteinbezogen, man integriert misslungene Robot-Dance-Versuche und kurze Andeutungen von HipHop-Klischees mit geshaktem Booty. Und wenn dann Byrne selbst Grimassen schneidend und gewohnt linkisch ins Gruppenschunkeln einsteigt, dann wird's nur mehr: Awkward. Awkward im besten Sinne.
"Electronic Gospel Music" haben Byrne und Eno die Stücke ihres Albums "Everything That Happens..," genannt, und wenn Byrne und Band an diesem Abend diese Stücke, heute sieben an der Zahl, ja, darreichen wirken sie, beseelt schaukelnd, mit glühenden Augen, mitunter mit Lagerfeuerklampfe und einander die Hände reichend, gerade so als wären sie Mitglieder einer tatsächlich erleuchteten Glaubensgemeinschaft. Join The Church Of David Byrne!

FM4 susi ondrusova

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Das Konzert ist dramaturgisch perfekt durchorchestriert, die neuen Stücke wechseln sich mit größeren und kleineren Hits ab, von "My Life in the Bush of Ghosts", Enos und Byrnes erstem gemeinsamen Album aus dem Jahr 1981, das seinerzeit ebenso wegweisend war für die Verschränkung von Elektronik und World Music wie für die Kunst des Samplens, wird nur ein Stück gegeben, der Abend soll unter dem Stern von Popmusik stehen. Pop with an Edge.
Die neuen Stücke werden von den rund 2000 Anwesenden zwar herzlich angenommen, wirklich hören will man aber die alten Gassenhauer. Im letzten Drittel des regulären Blocks gibts die dann auch massiv, mit Hauptaugenmerk auf "Remain In Light": Crosseyed and Painless, Born Under Punches, Once in a Lifetime und Life During Wartime vom Album "Fear of Music". Nach dem aktuellen Stück I Feel My Stuff ist erst mal Schluss.
David Byrne weiß wie es geht: Es folgen drei Zugabenblöcke, mit beispielsweise ewigen Hits wie dem Al-Green-Cover Take Me To The River, Road To Nowhere und Burning Down The House. Letztgenannte haben zwar mit Brian Eno nichts mehr zu tun, aber - hey! - diese Stücke, DIESE Stücke wollen ALLE hören. Mit der sakralen Wehmut von Everything That Happens entlässt Byrne seine Jünger in eine von Harmoniesucht und Zukunftsoptimismus getränkte Nacht. Jubel. Wanna See Grown Men Weep? 21 Stücke, ein Konzert, ein Abend, ein Kuss, ein Glück.