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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 7. 2009 - 21:00

Journal '09: 12.7.

Free. Neues vom Erfinder der Long Tail-These. Und was das für Österreich bedeuten könnte.

Unlängst, in Rahmen einer Anforderungsliste für den multimedial gebildeten Journalisten der Zehnerjahre, hat ein Statement die Lacher abgestaubt, das die aktuelle Crux der Online-Medien auf den Punkt bringt: "Find a way to financially sustain acts of journalism online."

Natürlich ist die finanzielle Basis des Online-Gewerbes ein wichtiger Punkt. Dass Online-Kommunikation abseits von rein kommerziellen Interessen aber exzellent funktioniert ist eine andere Wahrheit, die von der einen nicht zu trennen ist.

Mit derlei Zeug beschäftigt sich der Wired-Chefredakteur Chris Anderson bereits seit einiger Zeit.
Ganz aktuell mit Free. The Future of a Radical Price, das an seine berühmte Long Tail-Theory andockt.

Die Nische als Held

Die LT-Theorie sagt im Wesentlichen, dass durch die Demokratisierung von Produktion und Vertrieb und neue Formen der Mundpropaganda auch mit Nischenprodukten Gewinn zu machen ist, soferne man einen nachhaltigen Ansatz hat. Und dass seine Entwicklung auf Kosten des klassischen Konsum-Verhaltens der kurzfristig erfolgreichen Mainstream-Sternschnuppen geht: "Forget squeezing millions from a few megahits at the top of the charts. The future of entertainment is in the millions of niche markets at the shallow end of the bitstream.”

Das ist fürwahr kein Ansatz, der in diesem Jahrtausend über uns hereinbricht, interessant ist der Massenaspekt, der erst durch die Kommunikations-Explosion ermöglicht wurde.

Letztlich, und ich erwähne das, weil ich am Freitag aus traurigem Anlass in einen historisierenden Modus gekommen bin, ist das auch das Modell, dem FM4 zugrunde liegt. Die Long Tail-Theorie ist letztlich das, was in der von Angelika Lang und mir '94 verfaßten Präambel des FM4-Basis-Konzepts als Ausgangspunkt diente: eine Menge an Subkulturen (Nischen) sind in ihrer Gesamtheit kulturell zumindest ebenso mächtig wie der Mainstream. Wer es (inhaltlich) schafft sie (richtig) zu bündeln, hat einen Markt-, aber vor allem einen Definitions-Vorteil - auch weil der ökonomische Aspekt im öffentlich-rechtlichen Kern-Bereich nicht so wichtig ist. Dieses Argument war es wohl, das den damaligen Radiodirektor überzeugte. Einschub Ende.

Free Radio, Free TV

Ans Radio erinnert Anderson auch in "Free", dem Nachfolger von "The Long Tail". Und zwar daran, dass Radio, wie die meisten Medien, als frei empfangbar, also gratis begonnen hat. Ebenso wie das Fernsehen.
Die Finanzierungs-Modelle schließen einen, neben Anbieter und Konsument, dritten Teilnehmer ein - die werbende Wirtschaft; oder die öffentliche Hand, oder, wie im öffentlich-rechtlichen System die Micro-Payments der Bürger.

Diese Micro-Payments tauchen auch in den diversen Vorschlägen Andersons auf - und für Nischen-Medien ist dieser Weg wahrscheinlich auch gangbar.

Für die größeren Medien-Einheiten empfiehlt Anderson einen Mix aus frei Zugänglichem und Kostenpflichtigem. Aber hört selber - in einem ausführlichen Radio-Interview erzählt Anderson mehr; und er hat eine ausgesprochen angenehme Radiostimme (Danke an Barbara M. für den Tipp!).

Der Kanal, auf dem der Wired-Chefdenker da auftritt sind die amerikanischen National Public Radios, die möglicherweise wichtigste Bezugsquelle seriöser und ausführlicher Hintergrund-Information in den USA. Die Public Radios leisten Enormes, was grassroots-policy und Bildung betrifft - man könnte sagen, dass sie der lebende Beweis sind, dass eine mäßige staatliche Unterstützung und Micro-Payment der Hörer eher schlecht als recht funktionieren.

Lisa Simpsons Public Radio

Hierzulande kennt man das Public Radio-System wahrscheinlich maximal wegen ihren Nebenrollen bei den Simpsons. Einmal wirft Lisa einen Dollar ins Autoradio, als um Spenden gebeten wird, und die Stimme aus dem Äther dankt sofort dafür. Diese (und andere) ironische Darstellungen zeigen sowohl die Verbundenheit der Lisa Simpsons mit ihren Stationen als auch die armenhäuslerische Abhängigkeit von Spenden in einem von grellen Medien überflutetem Land.

Viel interessanter ist es da die aktuellen Thesen auf Österreich umzulegen.
Wenn wir nämlich davon ausgehen, dass sich im Online-Bereich nur Blockbuster- und Kauf-Kanäle viel Geld machen, Medien aber mit der Eichhörnchen-Strategie anfangen müssen, dann mag das auf die Basis-Ideologie der Medienlandschaften in den USA, dem UK, Deutschland oder Frankreich keine so großen Auswirkungen haben: man wird sich dort abwartend arrangieren.

In Österreich gehen die Uhren ein wenig anders: schließlich handelt es sich um eine überaltete und an der Außenwelt großteils desinteressieren Dungeon-Gesellschaft (danke an Brüno an dieser Stelle), in der man als Bursch gilt, wenn man mit der Anschaffung von Unterhaltungselektronik klotzt, aber als Freak, wenn man sich substanziellen Input dafür besorgt oder gar drei Zeitschriften in der Trafik kauft.

Im Keller

Eine Gesellschaft des reinen Scheins also ist für ein System wie die Micro-Payments, oder eine Koalition der Nischen nach der Long Tail-These nicht wirklich reif. Und das nicht nur, weil "der Markt zu klein" ist, wie die erste Ausrede immer lautet.
Nein: die Bildung ist zu schwach. Deshalb würde zb auch die Radiohead-Philosophie des "pay what you want" nicht so recht funktionieren. Auch weil die Jungen, die diese Entwicklung tragen müßten, so wie jede, zu wenige und bereits vorab mit Ressentiments gegen alles, was mit unbelohnter und unbezahlter Anstrengung verbunden ist, vollgestopft sind. Nebst vielen anderen, die in anderen Zusammenhängen viel schwerer wiegen.

Wenn also Anderson in Free die Perspektive geraderückt und auf den Gratis-Charakter der neuen Medien der letzten Generation verweist (für die sich dann schließlich auch ein Geschäftsmodell fand, Krisen hin oder her) und Wege sieht, hat das für Österreich weniger Belang.

Es wird bloß Bestehendes einzementiert: der Boulevard wird auch versuchen aus dem Netz spektakulär Geld zu ziehen - der Bereich der Qualitäts-, Nischen- und öffentlich-rechtlichen Medien, der auf einen mündigen und selbstbestimmten Bürger zurückgreifen können müßte, wird sich zunehmend schwerer tun, so jemanden überhaupt zu finden.
Die klassische Medien-Geschäftsmodelle des Mainstreams werden also in Österreich von beiden Seiten ganz speziell ausgehöhlt. Auch weil das Konzept "Free" ja von einigen in fast selbstzerstörerisches Absicht vom Online-Bereich auch in den Print-Bereich retourgetragen wird. Das alles ist zu konfus um von internationalen Beobachtern mit ihren (an anderen Normen) standardisierten Erkenntnissen berührt zu werden.

Weshalb auch künftig alle außerösterreichischen Entwicklungen erst dem Mediensonderfall Österreich angepaßt werden müssen.