Erstellt am: 10. 7. 2009 - 17:01 Uhr
Journal '09: 10.7.
Manfred Jochum, Radiodirektor von 98 bis 02, also in der Phase, in der FM4 seine Umstellung auf 24/7-Betrieb erlebte, ist heute Morgen verstorben.
Hier eine Würdigung der Ö1-Kollegen.
Willy Mitsche, Hörfunkdirektor seit 07, muss nach einer schweren Erkrankung auf unabsehbare Zeit im Krankenhaus bleiben.
"Irgendwie doch eh Einsparungs-Potential", sagt der Kollege mit Funkhaus-Vergangenheit, als das Stichwort "Radiodirektor" fällt, gestern beim kurzen Rumstehen und Austauschen nach einer Pressekonferenz.
Und er ist überrascht über meinen Widerspruch, und lässt meinen kurzen Exkurs über die aktuelle und erst künftige Bedeutung eines Koordinators des der Medienkonvergenz geschuldeten engen Zusammenrückens der ohnehin schon verwobenen Ausspieler Radio & Internet durchaus interessiert über sich ergehen. "Wenn man's so sieht und auch so anlegt..." sagt er dann.
Mir fällt erst später ein, dass es aktuell keinen aktiven Radiodirektor gibt. Und heute, nach der Meldung des Todes von Manfred Jochum, den ich zuletzt im Herbst des Vorjahres Innsbruck beim Forum Alpbach begegnet war, gibt es gleich doppelt keinen Radiodirektor mehr.
Kein Radio-Intendant
Früher hieß der Direktor Intendant.
Als ich ins Funkhaus kam, in den frühen 80ern, war der Intendant ein Mann, dessen dröhnende Stimme allein genügte um sich Respekt zu verschaffen. Ernst Grissemann war, wie die Radiointendanten nach ihm, vor allem der Chef des Standorts Funkhaus Argentinierstraße, an dem sich der Hörfunk immer recht deutlich, als mitten in der Stadt gelegen, gegen das zentralistische, fernab auf dem Hügel platzierte System Küniglberg abgrenzte.
Sowas funktioniert, wie bei allen solchen Strukturen, bei den "großen" Entscheidungen gar nicht, in der alltäglichen Praxis aber sehr gut. Vor allem, weil das Funkhaus immer der Talente-Pool war, auf den (wie gleichermaßen auf den der Landesstudios) sich die in der Nachwuchs-Arbeit an unselige heimische Fußball-Traditionen anschließende Zentrale stützte. Merke: auch Armin Wolf kam vom Landesstudio zuerst ins Funkhaus, ehe er "oben" entdeckt wurde.
In dieser Zwickmühle lebt der Radiodirektor, lebte der Radio-Intendant: die Vertretung der vitalen Interessen eines eigenständig agierenden Mediums gegen die Exekution der Beschlüsse der Zentrale abzuwägen. Das ist eine Aufgabe, die aufreiben kann, vor allem, wenn man etwas wider besseres Wissen umsetzen muss.
Dass dazu natürlich auch die Schwierigkeit kommt, so unterschiedliche Programme und Machercharaktere wie die von Ö1 und Ö3, später auch FM4 unter einen Hut zu bringen, ist da eine vergleichsweise leicht zu erfüllende Aufgabe.
Arbeits- und andere Strategien
Rudolf Nagiller, der Grissemann 1990 nachfolgte, versuchte diesem Druck durch eine fast esoterische Leichtigkeit des Handelns entgegenzuwirken. Das kam seltsam an, als der Direktor der Musicbox-Redaktion in philosophischer, fast buddhistischer Weise erklären wollte, dass die Verschiebung vom Nachmittag in die Nachtstunden ein Gewinn wäre, weil es ein Schmäh war, einerseits; andererseits ist der positive Blick auf Unvermeidliches natürlich eine sinnhaft Arbeitsstrategie.
Die strategisch interessanteste Radiodirektoren-Phase war die des Gerhard Weis (94-98). Weis war ein wichtiger Player innerhalb des Hauses, ein Leitlinien-Gestalter. Dass die FM4-Gründung in seine Ära fiel war kein Zufall: jemand mit seiner Macht konnte sich ein Risiko wie dieses unser Experiment erlauben; dass er es in seiner Struktur auch noch verstanden hat, obwohl es von seiner Lebenswelt meilenweit entfernt war, ist eine der verblüffenderen Erkenntnisse im Umgang mit den Radiodirektoren.
Weis wurde Generaldirektor und befand sich schnell im Abwehrkampf gegen die Pläne der neuen Wenderegierung sich einen neuen ORF zurechtzuschnitzen. Sein Nachfolger als Hörfunk-Intendant war Manfred Jochum, zuvor jahrelang als Chef der Wissenschaft ein Experte, also keine politische Besetzung, sondern eine "aus dem Haus", ein Redakteur als Radio-Chef.
Der Schutzschirm Jochum
Und es wurde eine schwierige Zeit. Die FM4 goes 24/7-Kick-Off-Party fiel zeitlich genau mit der Bekanntgabe der schwarz-blauen Koalition zusammen, und die Konfliktlinien zwischen einer medial schwer unter Druck geratenen Regierung und einem Rundfunk, der in den Jahren davor gewohnt war durchaus forsch zu berichten, wurden stärker und stärker.
Das in jeder Hinsicht kritische Jahr 2000 überstanden wir auch deshalb, weil der Radio-Intendant alles, was an (damals institutionalisierten) Interventionsversuchen auf die Radios einprasselte, abfing. Später hat Jochum einmal auf die Frage wie viel Druck er da aushalten musste, abgewiegelt: so arg wäre es (außerhalb des aktuellen Dienstes, wo Westenthaler und Co ja gezielt anriefen) nicht gewesen.
Wir haben jedenfalls nichts mitbekommen - und das war gut und wichtig so.
Seitdem hat sich alles wieder mindestens zweimal gedreht. Die politische Einflussnahme konzentriert sich längst wieder auf das Offensichtliche - und da sind die Radios außen vor.
Also konnte sich Willy Mitsche, der 2007, ein wenig wie die Jungfrau zum Kind zum Job des Radiodirektors kam, um Sinnvolles kümmern: die Zukunft etwa.
Mitsches Think Tank
Er berief, zweimal (weil es nachhaltig wirken sollte) eine radioübergreifende Nachdenk-Klausur ein, in der sich die ORF-Radiomacher mit den Herausforderungen der Zukunft (ich muss die Stichworte nicht extra nochmal erwähnen - seit Monaten sind sie hier im täglichen Journal Stammgäste...) beschäftigen sollten. Und das war mehr als ein reiner Debattier-Klub, dabei kamen durchaus wichtige Forderungen und To-Do-Listen raus.
Ich hab einige von ihnen unlängst, im Gespräch mit einem fernsehmachenden Freund, zusammengefasst - der sprach nachher von "augenöffnenden" Ansätzen.
Wohlgemerkt: der Anstoß dazu kam von einem Radiochef, in den niemand Erwartungen gesetzt hatte, der keine hauspolitischen Ambitionen hat und sich genauso einen Lenz hätte machen können.
Das verdient tiefen Respekt.
Jetzt liegt Mitsche in einem Krankenhaus in seiner Heimat, und niemand kann sagen, ob er jemals wieder in die Arbeitswelt zurückkehren wird. Der topfit wirkende Mitsche ist aus heiterem Himmel umgeworfen worden. Ob wir einen dritten Teil unserer kleinen Zukunftswerkstatt erleben werden, darf bezweifelt werden.
Das ist alles bitter und auch gemein.
Post von einem Toten
In dieser Sammlung von Vorträgen anlässlich des gleichnamigen Symposiums ist ein kleiner Text von mir drin, deshalb diese Paketsendung...
Während ich das hier schreibe - und das ist kein Schmäh, das ist genau so passiert - teilt die Kollegin Marian Schönwiese die Post aus und gibt mir einen Buchkarton.
Ich reiß' ihn sofort auf (ich muss Buch-Packerln immer sofort aufmachen, meine Neugier ist zu groß) und finde drin den Reader Kultur - Harmonie und Konflikt vor. Herausgeber Manfred Jochum.
Das ist, angesichts seines heute gemeldeten Todes, gerade starker Tobak.
Sicher, jeder hatte über den schlechten Gesundheits-Zustand des Radiodirektors a.D. Bescheid gewusst, er war auch schon im Herbst schlecht beinand', wie man so schön sagt, aber zwischen dem Konstatieren einer schlechten Verfassung und einer Todesnachricht liegt trotzdem noch eine ganze Welt.
In jedem Fall gibt es jetzt, gefühlt und echt, genau gar keinen Radiodirektor.
Und ab genau heute ist für mich jeder, der da was von "Einsparungspotential" daherredet, nicht nur schlicht im Irrtum, sondern auch ein Idiot.