Erstellt am: 9. 7. 2009 - 13:52 Uhr
Kino wider die Tabus
Das Handy vor der Pressevorführung abzugeben gehört bei größeren Produktionen längst zum Kritikeralltag. Bei diesem Film sind die Bedingungen aber wieder mal verschärft.
Taschendurchsuchungen, seltsame Gerätschaften, die am Körper herumgeschwenkt werden, das erinnert an die Kontrollen auf Flughäfen oder an Besuche in Hochsicherheitsgefängnissen. Als die Lichter ausgehen, stehen im Dunkel einige Gestalten mit dem Rücken zur Leinwand, richten Nachtsichtgeräte auf die anwesende Journalistenmenge.
Spätestens als auf der Leinwand Themenbereiche wie Terrorismus, Analverkehr, Kindesmissbrauch oder der Holocaust witztechnisch gestreift werden, bekommt das aufwändige Prozedere im Saal einen vollends bizarren Beigeschmack. Denn hier geht es nicht um eine rabiate Indie-Produktion, wir befinden uns mitten im mainstreamigsten Mainstream.
"Brüno", der neueste Streich des Brachialsatirikers Sacha Baron Cohen, dieser relativ kleine und verdammt gemeine Film, soll gegen die fetten Blockbusterproduktionen des Jahres antreten, riesige Umsätze lukrieren und global die Massen erreichen.
Ein schwuler, politisch gnadenlos unkorrekter österreichischer Modereporter versucht all den Terminatoren und Transformern Konkurrenz zu machen: Ich muss zugeben, dass ich diesen Aspekt, ganz unabhängig von der Qualität des Films, sehr faszinierend finde.
Denn Subversion beginnt ja schließlich erst da, wo ein gewagter Künstler das eigene, sichere Umfeld verlässt und in einem ganz anderen Kontext agiert. Vor dem österreichischen Fernsehpublikum, inklusive all den Omas und Opas, Onkeln und Tanten, entfalten beispielsweise bestimmte Stermann/Grissemann-Wuchteln auch eine andere Wirkung als in der abgebrühten FM4-Community.
Sacha Baron Cohen kann sich diesbezüglich sicher sein, dass die ganze Welt zusieht, wenn er als Borat, Ali G oder jetzt Brüno mit schmerzhaften Pointen provoziert. Und Baron Cohen schenkt der Welt erwartungsgemäß nichts.
UIP
Österreich als auch das Modeuniversum kommen dabei vergleichsweise glimpflich davon. Die ganz kurzen Wiener Straßenszenen, in irgendeiner anderen europäischen Stadt gedreht, sind nicht der Rede wert, die paar aufgelegten Naziwitze könnten auch von einem Manfred Deix stammen.
Sein angestammtes Fashionista-Terrain verlässt der rasende Reporter des ÖJRF (Österreichischer Jungen-Rundfunk) schon nach wenigen Szenen. Stattdessen begibt sich Brüno, wie schon zuvor sein kasachischer Kollege Borat, auf einen Trip ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Es wird eine Reise ins Herz der Finsternis. Verzweifelt jagt unser Klagenfurter Held dem amerikanischen (Alb-) Traum hinterher, versucht dort selbst zu einer jener Celebrities zu werden, die er ansonsten mit dem Mikro umschwirrt.
Brüno trifft auf vertrottelte Prominente, rabiate Swingerclubgäste, aggressives Talkshow-Publikum, auf militante Homophobe und - in einer der großartigsten Sequenzen - einen Milli Vanilli-Geist.
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Exakt wie bei ihrem gemeinsamen Vorgängerfilm vermischen Coautor/Hauptdarsteller Sacha Baron Cohen und Regisseur Larry Charles dabei schamlos semidokumentarische Ansätze und bewusst inszenierte Eklats, reihen spontanen Irrsinn und perfide Drehbucheinfälle aneinander.
Das passt zur Figur des Brüno wie die Faust aufs Auge, denn viel mehr als Borat bewegt sich der gockelnde Entertainment-Berichterstatter grundsätzlich in einem Bereich, wo das sogenannte Echte und der Fake, Realität und Reality nicht mehr zu trennen sind.
Damit sich bei Cohen-Fans, denen die Machart höchst vertraut ist, nicht allzu viele Leerläufe einstellen, schraubt der Film das Schocklevel höher. Noch bewusster begeben sich die Macher auf ideologische Minenfelder, versuchen neben naheliegenden reaktionären Opfern auch in liberalen Lagern für Verstörung zu sorgen.
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Den letzten Zweiflern sei dabei aber gesagt: Natürlich steht "Brüno" letztlich in einer Tradition anarchischer Popkultur. Es geht darum, mit menschenverachtenden Scherzen den menschenverachtenden Alltag zu enttarnen.
Spätestens die hinreißende Abspannsequenz, die ich hier nicht spoilen möchte, legt deutlich offen, dass sich hinter dem knochenharten Satiriker Cohen ein humanistischer Aufklärer verbirgt.
Zu unterhalten und gleichzeitig vor den Kopf zu stoßen, Schranken zu überschreiten und manchmal auch nur ganz kindisch mit Tabus zu spielen, das waren einmal die Aufgaben des Rock'n'Roll. Heute haben Komiker wie wahlweise Ricky Gervais, Russell Brand, die Judd Apatow-Posse, das Frat Pack oder eben Sacha Baron Cohen diesen Part übernommen.
Ach ja, bevor ich es vergesse: Abseits aller Analysen ist dieser Film tatsächlich überwiegend zum Brüllen komisch. Wobei ich an die deutsche Synchronfassung nicht einmal denken mag und ausschließlich das Original empfehle.