Erstellt am: 8. 7. 2009 - 19:55 Uhr
Journal '09: 8.7.
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Ich frag mich ja seit einiger Zeit, warum sich gerade im aktuellsten Spannungsfeld medialer Entwicklungen gerade das Listen/Thesenwesen so durchsetzt. Ich denke, dass das nicht nur mit der US-Dominanz und der deutschen Fleißigkeit des AufdenPunktbringens zu tun hat, sondern damit, dass wir hier alle in einem Bereich agieren, der noch nicht ausdefiniert ist.
Denn das, was Medientheoretiker und -praktiker in jahrzehntelanger Mühe zu an und in sich schon komplexen Feldern wie Print, Radio oder TV erarbeitet haben ist wegen der rasanten Bedeutungssteigerung der neuen Medien im Online-Bereich schon wieder ein wenig obsolet.
Und wie immer, wenn es noch Definitions-Lücken, uneinheitliche Ansichten und Verständigungs-Probleme gibt, ist die These das probateste Mittel um den Stand der Dinge auszuloten.
Unlängst wurde mir eine 9 Kernthesen-Liste zugespielt, die ein Professor für Medienwissenschaften an der Hochschule Darmstadt, nämlich Geribert E. Jakob aus wohl diesen Gründen erstellt hat.
Und auch die sind überlegt, haben denkerische Klasse und bieten hervorragende Hilfestellung zum AufdieReihekriegen dieser durchaus zentralen Medienproblematik unserer Tage.
Nutzbringende Thesen-Schleuderei
Jakob veröffentlichte auf dem Kooptech-Blog auch sowas wie seinen Notizzettel mit den Gedanken, die ihn zu diesem 9 Punkten geführt haben. Auch sehr löblich.
Die Fragestellung lautet:
Klassische Medien im Spannungsfeld mit dem Internet und seinen vielfältigen Onlineerscheinungsformen, das heißt:
Abwehr? Rückzug?
Annäherung? Kritische Nutzung?
Koexistenz? Vereinnahmung?
Gut gefragt, was?
Jakob kombiniert die Krise samt ihren Auswirkungen, vor allem auf den US-Print-Sektor mit sehr hiesigen Problemen, nämlich der Krise der Qualitätsmedien, deren Hörer und Zuschauer in größer werdender Zahl altersbedingt wegsterben. Man muss sofort ans ZDF denken...
In dem Moment ist mir dann auch schlagartig klar geworden, warum Österreich in diesen Prozessen so weit hinterherhinkt: weil das überalterte Land dieses (auch deutsche) Problem erst in einer Generation haben wird
Dann spricht Jakob einen ganz bedeutenden Punkt an:
Nebulöses Verständnis der Begriffe und Zusammenhänge.
Die meisten Menschen, auch und vielleicht sogar gerade Journalisten, benutzen wie selbstverständlich Begriffe und Zusammenhänge, deren exakte Bedeutung sie niemals hinterfragt haben weil alle der Überzeugung sind, das gleiche darunter zu verstehen und die Sachlage ehedem klar wäre.
Nebulöses Begriffswissen
Das ist allzu wahr.
Mir ist unlängst ein Gespräch mit einem gebildeten Rechercheur, der auch in den Medien arbeitet, passiert. Und ich musste feststellen, dass dieser überdurchschnittlich von medialen Zusammenhängen durchdrungene Typ den Begriff des Blog nicht zuordnen konnte. Für ihn ist alles ein Blog, was auf Online-Seiten auftaucht, auch die copypaste-Agentur-Meldung, aus der selbst die derstandard.at-Site zu 80% besteht. Es war auch extrem schwer ihm den Unterschied zwischen diesen (hundsnormalen) Artikeln und einem Blog klarzumachen.
Das führt direkt zu einem anderen kapitalen Missverständnis:
Das Internet wird als Medium verstanden - was es nicht ist! Das Internet ist eine Sammlung uni- und bidirektionaler Kommunikationskanäle, nicht mehr und nicht weniger.
Der entscheidende Unterschied liegt im Rückkanal:
Durch die Ergänzung von Broadcast, also “eins-zu-viele”-Kommunikation, um Rückkanäle, asynchrone und echte (realtime) Kommunikationskanäle, ändern sich die Anforderungen, d.h. die Rolle von Journalisten mit ihrer publizistischen, vermittelnden und öffentlichen Aufgabe.
Die Veränderungen sind also nur durch das Verstehen des Internets und die Akzeptanz des bereits erfolgten Paradigmenwechsel im journalistischen Selbstverständnis (der aber noch nicht alle durchdrungen hat) zu bewältigen.
Das und anderes mehr führt Jakob zu seinen 9 Thesen:
Kernthese 1
Durch die Ergänzung klassischer Publikationskanäle mit Internettechnologie und die bis 2009 daraus entstandenen Werkzeuge befindet sich die Qualität der verfügbaren und publizierten Information auf dem höchsten jemals verfügbaren Stand.
Das ist, allen Beteuerungen der Retter der Abendländer zum Trotz ein Fakt. Natürlich kommt es wegen der Menge des Angebots auch zu einer Menge an Dreck. Da allerdings auch das Selektieren, das Scannen noch nie so einfach war wie heute, fällt dieser Aspekt aber wieder raus.
Voraussetzung, für Macher und Nutzer, ist und war: gute Bildung, eigenständiges Denken.
Jakob schleust unter dieser These auch gleich eine meiner Meinung nach anderswo besser aufgehobene Macher-Kritik ein: Die Allgemeinheit, darunter auch nicht wenige Journalisten, scheitert an der Auswahl der relevanten Quellen, an fehlender Rechercheexpertise und Technologieaffinität, fehlender Befähigung zur Quellenbewertung sowie fehlender Fähigkeit zur Orientierung in komplexen Strukturen.
Klar, der Umgang mit den neuen Medien will gelernt sein.
Kernthese 2
Primär- und Leitmedien, aber auch alle anderen professionell geführten journalistischen Medien werden künftig nicht mehr durch den Kanal identifiziert über den sie empfangen oder gelesen werden, sondern durch Branding.
Siehe dazu auch diesen Input aus dem Februar.
Soll sagen: nicht der Ausspielweg ist künftig wichtig, sondern das, was ausgespielt wird. Es ist egal ob Ö3 (um jetzt einmal nicht FM4 als Beispiel heranzuziehen) aus dem Radio, dem Laptop, aus dem Video auf der Homepage, als Podcast oder als Fernsehen (wie eben passiert) kommt, es ist Ö3. Es definiert sich über seine Themen, seine Anmutung, seinen Brand.
Ähnliches wird künftig für alle Medien gelten.
Kernthese 3
Medien, die ihrer Aufgabe als vierte demokratische Macht und damit gesellschaftlicher Aufgabe nicht nachkommen, werden zu Konsumgütern, d.h. kommerzialisiert, und verschwinden als journalistische Einheit.
Das ist gewagt, aber wohl richtig.
Wer sich nicht als gesellschaftliche Kraft positioniert, wird künftig anders, als simples Warenangebot wahrgenommen werden. Viele Medienbetreiber und -häuser werden mit dieser Position auch sehr zufrieden sein.
Überraschenderweise ist Österreich bei diesem Punkt weiter vorne als Deutschland, was mit dem gefühligerem Zugang heimischer Medienmacher zu tun hat (dessentwegen die ja auch gerne ins überrationale Medien-Deutschland abgeworben werden).
Die Gefahr die Jakobs dabei sieht: Große Teile der Gesellschaft werden nicht erreicht, weil “Sendekanäle” benutzt werden, die angesprochenen Rezipienten ignorieren (insbesondere die “junge Generation” mit ihrer neuen Medienmixnutzung) oder nicht verstehen.
Ja, eh. Aber damit hat man sich in Österreich bereits abgefunden.
Kernthese 4
Medien müssen Informationsscout und Entscheidungsunterstützer für ihre Rezipienten werden.
Diese These lässt sich letztlich mit These 9 zusammenlegen. Und ja, es ist die große Hoffnung der Medienhäuser, dass ihnen genau diese Rolle des Medien-Assistents, der in den vielen Zukunfts-Szenarios auftaucht, zufallen wird.
Dabei ist es sogar egal, ob der Rezipient der Zukunft ein Häppchen-Fan ist oder eine Couch-Kugel, die ohnehin nur mediale Rituale konsumieren will.
Kernthese 5
Medien müssen sich besser vernetzen.
Ein Nona-Punkt. Trotzdem extrem wichtig - weils in der Praxis (noch) nicht funktioniert. Natürlich ist alles, was über die Eilt-Meldung hinausgeht nicht von Medium zu Medium übertrag- und einsetzbar. Jeder Ausspielweg braucht sein spezielles Format um optimal anzukommen.
Jakob spricht hier aber auch etwas anderes an: er bezeichnet das Internet als das Underdog-Sprachrohr das viele wichtige Themen in den Raum werfe, die von den Mainstream-Medien nicht aufgegriffen würden.
Ich sehe da kein Vernetzungs- sondern ein Konkurrenz-Problem.
Kernthese 6
Medien müssen die dargestellte Gegenwart um in die Zukunft gewandte Prinzipien und ihnen verfügbares kulturelles Erbe erweitern.
Das gehts um Archiv-Gedanken, die mich zurzet nicht sehr interessieren. I skip this.
Kernthese 7
Das Internet ist kein Medium, es ist eine Technologie und ein Kanal wie das Fernsehen oder Radio oder die Zeitungen und Zeitschriften.
Hatten wir bereits in der Hinführung.
Kernthese 8
Medien müssen, jedes auf ihrem Level - meist durch Örtlichkeit oder Provenienz definiert -, ihre spezifischen Kernkompetenzen in den Vordergrund stellen.
Das passiert, meine ich, ohnehin zunehmend.
Im von föderalen Strukturen durchaus über Gebühr bemänteltem Land wie Österreich allemal. Und da ist auch noch Raum nach oben. Wenn zb die, die mit einem PC umgehen können, einmal im fortgeschrittenen Alter sind, wird der Bedarf nach sehr lokalen und Special-Interest-Seiten plötzlich explodieren.
Unter diesem Punkt sagt Jakob:
Es ist erstaunlich, dass von den Printverlegern der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer als Staatsfunk bezeichnet wird, aber gleichzeitig hier die meisten und wichtigsten Kooperationen in Nachrichtenaustausch und gemeinsamen Publikationsplattformen zwischen Verlegern und Landesrundfunkanstalten bestehen.
Kernthese 9
Medien müssen exklusive Inhalte anbieten. Nur dafür sind Rezipienten bereit zu bezahlen.
Ich verbessere: nur das sind die Rezipienten überhaupt bereit zu beachten.
Dabei geht es nicht nur um Lokales oder Special-Interest.
Wer, um hier ans Journal von Freitag anzuknüpfen den Rat "Report on something that hasn't been written about already." beherzigt wird in jedem Bereich, egal ob Film, Fußball oder Fliegerei, gewinnen.
Jakob spricht hier sogar von tragfähigen Geschäftsmodellen. Der traut sich was.